„Gesundheitsarbeit ist auch ein Beitrag zum Frieden“

Kamerun
Im englischsprachigen Westen Kameruns haben zivilgesellschaftliche Proteste einen bewaffneten Konflikt ausgelöst. Friedensaktivistinnen wie Esther Omam setzen sich für ein Ende der Gewalt ein.

Esther Omam  ist Direktorin der kamerunischen nichtstaatlichen Organisation Reach Out  und engagiert in regionalen und nationalen Friedensprozessen. Zusammen mit weiteren kamerunischen Friedensaktivistinnen  erhielt sie Ende November 2023 den Afrika-Preis der Deutschen Afrika Stiftung. Gemeinsam bilden sie die erste Nationale Frauen-Konvention für Frieden in Kamerun.

Wie ist es im Westen Kameruns zu einem bewaffneten Konflikt  gekommen?
Im Nord- wie auch im Südwesten fordern die zwei englischsprachigen Regionen Kameruns mehr Unabhängigkeit ein. Auf einen friedlichen Protest von Lehrern, die dort 2016 gegen die Ausweitung des Französischen im Unterricht demonstrierten, antwortete das Militär mit Waffengewalt. Daraufhin bildeten junge Männer bewaffnete und separatistische Gruppen, die von der Diaspora gefördert wurden. Ganze Dörfer wurden während der Kämpfe abgebrannt, Frauen und Kinder starben. Sie waren die Hauptleidtragenden. Das wollten und wollen wir stoppen.

Wie gehen Sie dabei vor?
Wir haben nach Ausbruch der Gewalt einen Friedensplan entwickelt, der humanitäre Hilfe und Friedensaktivitäten verbindet. Das konnten wir, weil die örtlichen Gemeinden uns vertrauten, denn wir arbeiteten schon jahrelang mit ihnen zusammen. Bis dahin hatten wir deren Entwicklung gefördert, nun mussten wir plötzlich humanitäre Hilfe für im Land Vertriebene organisieren und koordinieren. Erste Hilfsgelder erhielten wir von der Church of Christ aus den USA. Danach halfen uns weitere Kirchen, denn wir sind alle Christen. Zudem boten internationale humanitäre Organisationen Unterstützung. 

Wie sieht ihre Friedensarbeit konkret aus?
Es ist gleichermaßen Friedens- und Advocacy-Arbeit. Es ist uns wichtig, Frauen eine Stimme zu geben, sie aus der Opferrolle zu holen und ihre eigenen Aktivitäten zu stärken. Deshalb haben wir Räume geschaffen, in denen sie sich über ihre Vorstellungen zur Beendigung der Konflikte austauschen können. Wir haben Friedenshäuser eingerichtet, in denen Gewaltopfer medizinische und psychologische Hilfe und eine sichere Unterkunft finden. Dort bieten wir ihnen auch finanzielle Unterstützung und Beratung dazu an, wie sie ein eigenes Einkommen erzielen können. Denn Frauen, die eigentlich die Felder bearbeiten und ihre Familien versorgen, sind wegen der vielen Gewaltopfer zu Totengräberinnen geworden. Gleichzeitig organisieren wir Trauermärsche und Friedensdemonstrationen. Zudem arbeiteten wir mit der Presse und appellieren an die Regierung, die Waffen zum Schweigen zu bringen. 
In Siedlungen, in die Vertriebene geflohen sind, veranstalteten wir Gemeindedialoge, um neue Feindseligkeiten zu stoppen. Zu einem umfassenden Verständnis von Frieden gehört auch wirtschaftliche Gerechtigkeit. Dazu trägt die Unterstützung von Kleinstunternehmerinnen bei. Wir setzten uns bei Banken dafür ein, dass sie kleinen neuen Start-ups Kredit geben. Örtliche Spargruppen gab es bereits, daran knüpften wir an.

Wie binden Sie Jugendliche und Lehrkräfte in Ihre Friedensarbeit ein?
Wegen der Gewalt waren viele Schulen zerstört oder jahrelang geschlossen. Wir befürchteten, dass eine ganze Generation ohne Bildung aufwachsen würde. Deshalb haben wir uns direkt an die Unterstützer der Separatisten in der Diaspora gewandt. So konnten wir erreichen, dass sie Schulgebäude nicht weiter angriffen und noch erhaltene Schulen wieder den Unterricht aufnahmen. Darüber hinaus haben wir Lehrkräfte als Friedensmediatoren ausgebildet und Jugendliche motiviert, Friedensclubs zu gründen. Es ist ein erfolgreiches Modell, das wir gern ausweiten würden. Bislang fehlt uns dazu aber das Geld.

Sie arbeiten mit einem holistischen Friedensansatz. Was ist damit gemeint?
Wir besuchen seit vielen Jahren abgelegene ländliche Siedlungen mit mobilen Gesundheitsstationen. Sie bieten gute Möglichkeiten zur Information und zum Dialog mit der Bevölkerung – auch über brisante Themen wie HIV/AIDS, geschlechtsspezifische Gewalt oder Kinderehen und Zwangsheirat. In unserer Gesundheitsberatungen geht es meist um reproduktive Rechte, deshalb verteilen wir Verhütungsmittel. Für den Erfolg dieser Gesundheitsarbeit brauchen wir die Zustimmung der örtlichen Würdenträger. Wir wissen, wie man deren Ego streichelt, damit sie Vorbehalte abbauen, denn unsere Gesellschaft ist sehr patriarchal. Für uns sind Gesundheits- und Dialogangebote auch ein Beitrag zum Frieden, denn wir bestärken ländliche Gemeinden dabei, Probleme selbst zu lösen. 

Was sagt die Regierung dazu? 
Inzwischen hat die Regierung den Wert unserer umfassenden Basisgesundheitsversorgung erkannt. Ein Türöffner dazu sind regionale Verwaltungsgremien. So habe ich unsere Arbeit bei einer großen Versammlung mit vielen unterschiedlichen lokalen Würdenträgern vorgestellt. Dreh- und Angelpunkt ist es, Diversität anzuerkennen und sich zu respektieren. Das schafft Vertrauen und ist eine Basis für Problemlösungen. Dafür arbeiten wir auch mit unterschiedlichen Kirchenvertretern zusammen, die ebenfalls lernen müssen, ihre Differenzen untereinander zu überwinden und Diversität als Stärke zu erkennen.

Wie organisieren Sie die Arbeit mit anderen Friedensaktivistinnen?
Wir haben WhatsApp-Gruppen gebildet, zudem treffen wir uns ein Mal pro Monat persönlich. Für den landesweiten Austausch in unserer Nationalen Frauen-Konvention für den Frieden in Kamerun haben wir im Juli 2021 eine große Friedenskonferenz organisiert. Dafür kamen über 1500 Frauen ganz unterschiedlicher Herkunft nach Jaunde. Die Zusammensetzung unseres Vorstands ist dynamisch, das bedeutet: Führungsposten werden nicht dauerhaft besetzt, um Verantwortung und Erfahrungen zwischen verschiedenen Frauen zu teilen. Zudem fördert unser Mentoring-Programm junge Menschen, die Führungsaufgaben übernehmen möchten. Erfahrene Führungskräfte stehen ihnen beratend zur Seite; ein besonderes Anliegen ist die Kompetenzvermittlung an junge Frauen. Wir kommunizieren übrigens in den regionalen Verkehrssprachen und in Lokalsprachen. Auch Pidgin, eine Mischung aus Englisch und Lokalsprachen, dient uns zur Kommunikation. So erreichen wir viele Frauen an der Basis. Während des langjährigen Konfliktes konnten wir einige Mütter überzeugen, mit ihren erwachsenen Söhnen zu sprechen, die Waffen niederzulegen. 

Das Gespräch führte Rita Schäfer.

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