Mehr Schaden als Nutzen im Vorzeigeprojekt

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AFP via Getty Images/TONY KARUMBA
Wie viel CO2 wird hier gebunden? Kenianische Umwelttechniker erheben 2023 Daten dazu, welche Menge Emissionen der Naturschutz im Trockenwald des Kasigau-Nationalparks vermeidet.
Klimakompensation
Mit einem preisgekrönten Projekt in Kenia vermarktet Boehringer Ingelheim seine Geschäfte als „klimaneutral”. Im Projekt haben Menschenrechtsorganisationen sexuellen Missbrauch aufgedeckt, ein Gericht zieht den ökologischen Nutzen in Zweifel.

Eric Sagwe and Constance Mwandaa patrouillieren durch die Savanne. Sie schauen durch ihre Ferngläser und sehen eine Gruppe Elefanten am Wasserloch: Fünf erwachsene Tiere und ein Neugeborenes. Eine Idylle, die sie und ihre mehr als 300 Mitarbeiter vor Ort für schützenswert für künftige Generationen halten.” 

Mit dieser Szene bewirbt der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim seinen Beitrag zum Klimaschutz: Mit der Finanzierung des Kasigau Corridor Projects würden 2000 Quadratkilometer Trockenwald und 11.000 Elefanten geschützt – und Boehringer Ingelheim könne damit bis 2030 klimaneutral” werden. Der Pharmakonzern aus dem rheinland-pfälzischen Ingelheim beschäftigt weltweit 52.000 Mitarbeitende und setzte vergangenes Jahr rund 24 Milliarden Euro um. Ende November gewann der Konzern den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2023. 

Aber sein Beitrag zum Klimaschutz dürfte weniger idyllisch sein als eingangs im Werbespot beschrieben. Einst Vorzeigeprojekt der CO2-Kompensation, gerät das kenianische Naturschutzprojekt vermehrt in die Kritik. Über „weit verbreitete sexuelle Belästigung und Missbrauch von weiblichen Angestellten und anderen Frauen“ über mehr als ein Jahrzehnt im Kasigau-Waldschutzprojekt und seinem Umfeld berichten die Menschenrechtsorganisationen Centre for Research on Multinational Corporations (SOMO) und Kenya Human Rights Commission (KHRC). Und im Oktober 2023 zog das Landgericht Berlin auch den ökologischen Nutzen des Projekts in Zweifel. 

Geschickte Vermarktung von Umweltschutz

Das Projekt im Südosten Kenias begann vielversprechend: Die 2000 Quadratkilometer des Kasigau Schutzgebiet beherbergen tausende Elefanten, Zebras und Löwen. Im Jahr 2011 startet das US-amerikanische Unternehmen Wildlife Works hier ein Waldschutzprojekt und ist bis heute einer der wenigen Arbeitgeber der Region. Neben dem Schutz der Wälder soll das Projekt auch den Kampf gegen Armut und die Förderung von Geschlechtergleichheit unterstützen.

Wildlife Works verstand es, Umweltschutz zu vermarkten: Es forstete mit Unterstützung internationaler Geldgeber auf und verkaufte CO2-Gutschriften für das so der Atmosphäre entzogene Treibhausgas an Unternehmen weltweit. Solche Gutschriften kauft, wer den Schaden seines CO2-Ausstoßes, der etwa bei der Produktion pharmazeutischer Produkte entsteht, ausgleichen will. Mit dem Geld wird dann andernorts, beispielsweise in Kenia, entsprechend Kohlendioxid eingespart, so die Idee.

Und die Idee kam an: Das Projekt wurde 2017 vom Magazin Environmental Finance als bestes Kompensationsprojekt des Voluntary Carbon Market Ranking ausgezeichnet, und eine über Kasigau gedrehte Netflix-Doku gewann beim Wildlife Conservation Film Festival 2022. 

Boehringer und Porsche kauften die CO2-Zertifikate

Boehringer Ingelheim ließ im Jahr 2022 und 2023 eigene CO2-Emissionen über das Projekt in Kenia kompensieren, 2022 allein 3550 Tonnen – in etwa so viel, wie 320 Menschen in Deutschland im Jahresschnitt emittieren. Auch die Porsche-Tochter Porsche Consulting kaufte 2019 und 2020 CO2-Gutschriften aus Kasigau und ließ damit 30.000 Tonnen CO2 ausgleichen, teilt ein Sprecher auf Anfrage von welt-sichten mit. Mit der Finanzierung trage man zum Artenschutz, zum Schutz des Ökosystems sowie zur Bildung und der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort bei”, schreibt das Unternehmen 2021 in einer Presseaussendung.

Der Bericht der Menschenrechtsorganisationen SOMO und KHCR wirft ein anderes Licht auf das Projekt. Hohe Bedienstete des Kasigau Wildlife Corridor-Projekts sollen ihre Machtposition ausgenutzt und Angestellte und Anwohnerinnen über elf Jahre systematisch sexuell genötigt und belästigt haben – „Sex als Gegenleistung für eine Beförderung und bessere Behandlung am Arbeitsplatz”, heißt es im Bericht. Die Vorfälle reichten demnach von herabwürdigenden Bemerkungen bis zu Vergewaltigung. Es habe ihr Angst gemacht, mit ihm allein in einem Raum zu sein...denn er war sehr mächtig. Er habe ihr klar gemacht, dass er nicht akzeptieren würde, wenn sie ihm diese Sache” verweigere, sagt eine von zahlreichen Frauen laut dem jüngst veröffentlichten Bericht der beiden Organisationen.

Der Projektbetreiber Wildlife Works aus den USA will von all dem nichts gewusst haben. In einer Reaktion auf den Bericht beteuerte das Unternehmen, es handele sich lediglich um zwei Mitarbeiter, ihrem “zutiefst unangebrachten Verhalten” werde man null Toleranz” entgegenbringen. 

Bei Boehringer Ingelheim habe man Anfang November” von den Vorwürfen erfahren und seine Investitionen eingestellt. ”Das Projekt erfährt bis auf Weiteres keine Unterstützung mehr”, heißt es aus Ingelheim. Man kaufe aber Gutschriften von sechs weiteren Co2-Kompensionsprojekten weltweit. Ein Unternehmens-Sprecher der Porsche Consulting zeigt sich über die Vorwürfe entsetzt”, betont jedoch, man habe die Unterstützung des Projekts in Kenia bereits vor zwei Jahren beendet. Man kaufe zwar weiterhin CO2-Gutschriften, aber bevorzugt von Projekten in Deutschland und Europa”.

Die meisten CO2-Zertifikate aus Waldprojekten sind heiße Luft 

Zuletzt zogen auch Wissenschaftler und Gerichte den Klimanutzen von Waldschutzprojekten zur CO2-Kompensation in Zweifel. Ein Team der Universität Cambridge hat für das Fachmagazin Science 26 Projekte in Südamerika, Afrika und Asien untersucht. Ihr Fazit: Die Waldschutzprojekte seien für die Betreiber zwar wirtschaftlich ertragreich, aber ineffektiv für den Klimaschutz”. Lediglich sechs Prozent der verkauften CO2-Gutschriften würden die versprochenen Emissionen tatsächlich einsparen.

Im Oktober untersagte das Landgericht Berlin dem Essenslieferanten HelloFresh, sich als klimaneutrales Unternehmen” darzustellen. Das Unternehmen hatte damit geworben, seine Emissionen mit der Finanzierung des Projekts in Kasigau zu reduzieren. Im Urteilsspruch heißt es, die Werbung sei irreführend”, da “eine Klimaneutralität durch den Erwerb der entsprechenden Zertifikate nicht erzielt werden kann”. Das Gericht folgte damit einer Klage der Verbraucherschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe. HelloFresh verzichtete auf eine Berufung und teilte öffentlich mit, die beanstandete Werbung nicht weiterzuverwenden”.

Boehringer Ingelheim betont, man setze bei der Auswahl von Klimaschutzprojekten höchste Qualitätskriterien und Standards”, die Auswahl der Projekte unterlaufe einen mehrstufigen Auswahlprozess”. Auf seiner Homepage wirbt der Konzern bis heute mit dem Projekt, einen Monat nach Erscheinen des Berichts über mutmaßlichen strukturellen sexuellen Missbrauch und zwei Monate nach dem Urteil in Berlin.

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