Österreich hat Ende Oktober mit den Philippinen ein Abkommen zur Anwerbung von qualifizierten Fachkräften unterzeichnet. Der Inselstaat zählt zu einem der sechs Fokusländer, aus denen Österreich im Rahmen einer internationalen Fachkräfteoffensive gezielt Menschen anwerben will; die anderen sind Albanien, Brasilien, Indonesien, Nordmazedonien und der Kosovo. Denn es herrscht Fachkräftemangel in Österreich. Laut Wirtschaftskammer sind 82 Prozent der Firmen davon betroffen. Gesucht werden vor allem Pflegepersonal, Elektroinstallateure, Tischlerinnen und IT-Fachkräfte, aber auch Mitarbeiter in anderen Berufen.
Österreich hat Erfahrung mit der Anwerbung von Arbeitskräften. In den 1960er und 1970er Jahren kamen an die 265.000 Menschen aus der Türkei und Jugoslawien als Gastarbeiter – und viele blieben. Während damals aber vorwiegend Männer für die Bauwirtschaft gesucht wurden, sucht das Land heute gut qualifiziertes Personal.
Für den Aufenthalt brauchen Fachkräfte von außerhalb der EU eine sogenannte Rot-Weiß-Rot-Karte, die zunächst für zwei Jahre ausgestellt wird. Die Bedingungen dafür wurden vergangenes Jahr gelockert. So erhält sie leichter, wer in Österreich studiert hat. Die Mindestverdienstgrenze für Schlüsselkräfte, also Personen mit hochqualifizierter Ausbildung und besonderen Kenntnissen, die auf dem österreichischen Arbeitsmarkt nachgefragt sind, wurde auf 2835 Euro brutto pro Monat gesenkt. 2022 wurden 6182 Rot-Weiß-Rot-Karten ausgestellt, nun ist das Ziel ehrgeizig: Bis 2027 sollen es 15.000 Karten pro Jahr werden. „Was das österreichische System meines Erachtens nun auszeichnet, ist, dass die Fachkräfte auch die Familienangehörigen mitbringen können und diese unbeschränkten Arbeitsmarktzugang haben“, sagt Hermann Deutsch von der Sektion Arbeitsmarkt des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft.
Kein Braindrain gewünscht
Doch ist es vertretbar, dass ein reiches Land wie Österreich Fachkräfte aus einkommensschwachen Ländern abzieht? „Uns ist die Problematik bewusst“, sagt Deutsch, „aber wir wissen zum Beispiel von den Philippinen, dass sie genau darauf achten, wie viele Arbeitskräfte sie aus dem Land lassen.“ Bis zu einem gewissen Grad sei es auch Aufgabe der jeweiligen Länder, sicherzustellen, dass ausreichend Erwerbstätige zur Verfügung stehen. „Dennoch schauen wir uns natürlich auch an, wie sich die Arbeitsmarktentwicklung dort gestaltet“, ergänzt er.
„Auf den Philippinen gibt es durchaus eine Strategie, Personen im Pflegebereich für eine spätere Migration auszubilden“, sagt dazu Petra Dannecker, Leiterin des Instituts für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Man müsse aber bedenken, dass die Ausbildung von den philippinischen Steuerzahlern finanziert werde. „Für die Länder bedeutet es eine Abwanderung gut ausgebildeter junger Menschen“, sagt die Entwicklungssoziologin. Meist werde das für Schwellenländer als Win-Win-Situation dargestellt, da Migranten und Migrantinnen auch Geld nach Hause schicken. „Bisher sehen wir aber keinen empirischen Beleg dafür, dass sich die Balance zwischen Ausbildungskosten und Geldtransfers hält“, so Dannecker. Zudem gehen die Geldtransfers meist an private Haushalte. Vergessen werden dürfe auch nicht, dass bei Ländern aus dem globalen Süden oft Entwicklungshilfe in die Sektoren fließt, aus denen der globale Norden zur gleichen Zeit Fachkräfte abwirbt. Ein klassisches Beispiel: das Gesundheitswesen.
Wettlauf um die Besten
Warum braucht Österreich überhaupt Arbeitskräfte aus Drittstaaten, wenn zurzeit über 260.000 Menschen hier arbeitslos sind? Fachkräfte werden vor allem in der Zukunft fehlen. Die Bevölkerung altert, die Babyboomer gehen in Pension, die Geburtenrate ist niedrig. Vor allem in der Pflege fehlt es jetzt schon an Personal. „Die Anwerbung von Fach- und Schlüsselkräften aus Drittstaaten kann aber nur ein Teil der Maßnahmen sein“, sagt Hermann Deutsch vom Arbeitsministerium. Zusätzlich müsse die Kinderbetreuung ausgebaut werden, um mehr Frauen in Vollzeitstellen zu bringen, und das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser genutzt werden – auch das der rund 40.000 Arbeitssuchenden mit anerkanntem Fluchtstatus.
Österreich ist nicht allein im Wettbewerb um Fachkräfte. Auch Deutschland und andere EU-Länder buhlen um qualifizierten Zuzug. „Dabei vergessen viele Länder, dass sie längst nicht mehr so attraktiv sind“, sagt Petra Dannecker. Warum etwa in ein deutschsprachiges Land gehen, wenn britische Krankenhäuser Personal suchen und man bereits Englisch spricht?
Menschen mit Migrationsgeschichte kämpfen zudem mit Schwierigkeiten in Österreich. Eine Erhebung der Statistik Austria 2021 zeigt, dass ein Viertel der im Ausland geborenen Erwerbsfähigen auf Probleme bei der Suche nach einer passenden Arbeit trifft. Es gibt etwa keine Jobs, die der Qualifikation entsprechen, oder ausländische Bildungsabschlüsse werden nicht anerkannt. Zudem geht aus einer repräsentativen Umfrage der EU-Grundrechteagentur hervor, dass in Österreich 76 Prozent der Befragten mit afrikanischer Abstammung angeben, in den letzten fünf Jahren von Rassismus betroffen gewesen zu sein, etwa bei der Arbeits- und Wohnungssuche; im Durchschnitt der 13 untersuchten EU-Länder waren es 45 Prozent, in Deutschland 77 Prozent – mehr als irgendwo sonst.
Petra Dannecker verweist auch auf die allgemein restriktive Migrationspolitik. Die Aufnahmekultur und die generelle Stimmung gegenüber Zugewanderten spielten eine Rolle. Daher sollten mit Fachkräfteoffensiven umfassendere Überlegungen einhergehen, was in Österreich gegen Rassismus getan wird und wie Fachkräfte sinnvoll vor Ort unterstützt werden können.
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