Bartwuchshemmer gegen Schlafkrankheit

Patentrecht
Vernachlässigte Tropenkrankheiten oder seltene Feldfrüchte zu erforschen, verspricht wenig Profit. Damit es trotzdem geschieht, schlägt der US-amerikanische Agrar- und Entwicklungsökonom Chris Barrett übertragbare Patentverlängerungen vor.

Christopher B. Barrett ist Professor für Angewandte Wirtschaft und Management sowie für Landwirtschaft an der Charles H. Dyson School der Cornell Universität in New York, USA. Außerdem ist er Professor an der Jeb E. Brooks School of Public Policy.

Drei Viertel der weltweiten Investitionen in Forschung und Entwicklung werden in Ländern mit hohem Einkommen getätigt. Warum ist das ein Problem? Von den wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren doch alle, oder?
Ja und nein. Von neuen Behandlungsmethoden für Krebs, Diabetes oder auch Covid-19 profitieren tatsächlich alle. Das neueste Smartphone mit hochauflösender Kamera und noch raffinierteren Zusatzfunktionen aber wird ebenso wie das besonders hautschonende, kostspielige Enthaarungsmittel fast ausschließlich in Ländern mit hohem Einkommen genutzt, auch wenn dort nur 15 Prozent der Weltbevölkerung leben. Die restlichen 85 Prozent könnten eher einen Impfstoff gegen die verbreitete Wurmerkrankung Schistosomiasis gebrauchen oder neuartige Getreidezüchtungen, die besser mit Dürre und Überschwemmungen zurechtkommen, oder auch erneuerbare Energiequellen, die dezentral auf dem Land funktionieren. Das Innovationspotential zur Verbesserung der Lebensumstände ist in diesen Ländern deutlich größer. Trotzdem lohnt sich Forschungsarbeit für die Unternehmen dort kaum – weil die potentiellen Nutzer sich das Produkt am Ende nicht leisten könnten. Oder jedenfalls nicht zu dem Preis, den das Patent für seine Entwickler wert ist. 

Es gibt ja bereits Ansätze, dieses Problem zu lösen, etwa Social Impact Bonds, Zwangslizenzen nach dem TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation und den Ruf nach einem globalen Fonds für Forschung und Entwicklung. Genügt das nicht?
All diese Wege haben einen Haken: Sie setzen auf Philanthropie und Vorschriften, verzichten aber darauf, sich bewährte Marktmechanismen zunutze zu machen. Mein Vorschlag ist: Erstens sollen Unternehmen, die Produkte von hohem sozialem Wert in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen entwickeln, davon profitieren. Zweitens sollen nicht die Armen und auch nicht die Steuerzahler für diese „Belohnung“ bezahlen, sondern die Reichen.

Und das funktioniert wie?
Eine Firma, die beispielsweise eine patentfähige Behandlung für eine vernachlässigte Tropenkrankheit entwickelt hat, erklärt sich bereit, das Wissen darüber entweder der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung zu stellen oder das Mittel weltweit zum Selbstkostenpreis zu verkaufen. Dann bietet ihr die Patentbehörde an, das Patent beziehungsweise die Laufzeit des Patents auf irgendein „Luxusprodukt“ aus ihrem Haus zu übertragen. Sagen wir, die Firma hat ein innovatives Mittel gegen Schistosomiasis entwickelt. Dann darf sie dafür das Patent für ein profitables, aber sozial weit weniger nützliches Produkt, etwa gegen Haarausfall, einige Jahre länger halten und in dieser Zeit einen deutlich höheren Preis erzielen. Oder ein Life Science Unternehmen hat eine besonders dürreresistente Getreideart entwickelt und stellt sie lizenzfrei dem Markt zur Verfügung. Dann darf sie anstelle des Patents dafür ein anderes Patent, das sie hält, verlängern – beispielsweise das für einen beliebten Zierrasendünger. 

Das setzt voraus, dass Unternehmen allerhand Patente in ihrem Portfolio halten, oder?
Nein. Denn der nächste Schritt ist, die Patentverlängerungen nicht nur unter Produkten, sondern auch unter Unternehmen übertragbar zu machen. Dann könnte ein reiches Unternehmen wie Apple etwa einem Labor im Senegal, das Impfstoffe für vernachlässigte Krankheiten entwickeln möchte, Mittel für Forschung und klinische Studien zur Verfügung stellen. Im Erfolgsfall bekäme Apple das Patent zugesprochen. Es bräuchte den neuartigen Impfstoff aber überhaupt nicht zu produzieren, sondern könnte allen, die ihn produzieren wollen, das lizenzfrei erlauben. Im Gegenzug dürfte Appel ein Patent auf eines seiner hochentwickelten Geräte aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik länger halten. Das würde auch mehr Investitionen in Labore und wissenschaftliches Personal im globalen Süden nach sich ziehen. 

Gibt es schon Beispiele für das Potential des Verfahrens?
Die wechselvolle Geschichte des Arzneistoffs Eflornithin zeigt, welchen enormen Einfluss Marktchancen und Patente auf die Entwicklung lebenswichtiger Medikamente haben. Eflornithin wurde in den 1980er Jahren als Mittel gegen Krebs entwickelt, zeitigte aber dann doch keine Erfolge. Zufällig entdeckte man aber, dass Eflornithin höchst wirksam gegen die in Afrika südlich der Sahara verbreitete, durch Fliegen übertragene Schlafkrankheit (afrikanische Trypanosomiasis) war, die unbehandelt zum Tod führt. Die Weltgesundheitsorganisation nahm den Arzneistoff deshalb auf ihre Liste der unentbehrlichen Medikamente auf. Dennoch stellte die Firma Aventis 1995 die Produktion ein, weil sie sich für das Unternehmen nicht rentierte. Erst als Eflornithin in einem Anti-Bartwuchs-Mittel für Frauen auf den Markt kam und intensiv beworben wurde, einigte sich der inzwischen mit Sanofi zu Sanofi-Aventis fusionierte Konzern mit der WHO auf ein Programm, Eflornithin wieder in Afrika einzusetzen. 

Für wie realistisch halten Sie Ihre Vorschläge zu flexiblen Patentverlängerungen?
Ich habe mich deshalb schon mehrfach mit Abgeordneten des US-Kongresses getroffen, die das Prinzip befürworten, es auch für realistisch halten und auch in mittlerer Zukunft umsetzen wollen. Patentrecht ist ja vor allem eine nationale Sache, das muss jeder Staat für sich festlegen. Aber der Teufel steckt im Detail: Natürlich muss man klären und definieren, welche Bedingungen ein Patent erfüllen muss, um einen großen öffentlichen Nutzen zugesprochen zu bekommen. Und in welchem Ausmaß ein Unternehmen, das es der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, mittels Patentrecht belohnt wird. Wichtig ist mir vor allem, dass wir Marktmechanismen und Anreize zugunsten der Schwachen nutzen. Schließlich bin ich in erster Linie Ökonom.

Das Gespräch führte Barbara Erbe.

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