Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach dem G20-Gipfel im September in Indien zu Bescheidenheit gemahnt. Zwar hätten die zwanzig großen Industrie- und Schwellenländer sich nicht geeinigt, Russlands Krieg in der Ukraine erneut so klar zu verurteilen wie ein Jahr zuvor. Aber man dürfe nicht erwarten, dass Länder wie Indien, Brasilien oder Südafrika einfach „dem Westen folgen“, so Scholz im ZDF. Wirtschaftlich würden diese Länder immer wichtiger; der Westen müsse „auf Augenhöhe“ mit ihnen sprechen.
Wie richtig das ist, hat der Gipfel der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) im September gezeigt: Er beschloss, die BRICS zu erweitern um Ägypten, Äthiopien, Argentinien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Das stellt den Anspruch des Westens infrage, die globale Ordnung zu bestimmen. Die Geburt eines mächtigen von China geführten Blocks ist es aber nicht. Dafür gibt es zu viele Konflikte in der Gruppe, etwa zwischen Indien und China oder dem Iran und Saudi-Arabien; einige der Länder gehören auch zugleich zu von den USA geführten Koalitionen.
In der Finanz-und Handelsordnung gibt es keine "Augenhöhe"
Vereint sind die BRICS-plus jedoch im Ziel, mehr Einfluss auf Schaltstellen der Weltwirtschaft zu bekommen wie Weltbank und Weltwährungsfonds (IWF) und die Rolle des US-Dollars als Weltwährung zurückzudrängen. Der Ruf von Scholz nach Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist da richtig. Nur hat er kaum praktische Folgen: In der globalen Finanz- und Handelsordnung drücken Europa und besonders die USA weiter ihre Konzepte durch und geben eigenen Interessen Vorrang.
Das zeigt sich gerade bei Versuchen, Steuervermeidung global einzuschränken. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit kalkuliert, dass transnationale Konzerne den Staaten mittels Profitverlagerung in Niedrigsteuerländer 311 Milliarden US-Dollar Steuern jährlich vorenthalten; der Wettlauf um niedrige Steuersätze bringt zusätzliche Steuerverluste. Der größte Teil trifft wirtschaftsstarke Industrieländer, aber im Verhältnis zu ihrem Etat verlieren arme Länder mehr. Entwicklungsländer fordern deshalb, in den UN ein Steuerabkommen auszuhandeln; die UN-Generalversammlung hat Ende 2022 beschlossen, diesen Prozess zu beginnen.
Das Inclusive Framework scheint nur inklusiv
Doch der Club der Industrieländer, die OECD, will in Steuerfragen das Kommando behalten. Die OECD hat seit 2013 einen Informationsaustausch unter Steuerbehörden erreicht und Verfahren etabliert, um für Lizenzen und Vorleistungen zwischen Teilen desselben Konzerns Marktpreise anzusetzen. Das soll Profitverlagerung mittels Fantasiepreisen zwischen Konzernstandorten verhindern. Es wirkt aber nur sehr begrenzt und gar nicht bei Digitalkonzernen, die auch ohne Niederlassung mit virtuellen Diensten Gewinne machen können.
Um die zu besteuern, haben einige Länder, darunter Indonesien, Digitalsteuern eingeführt. Die OECD und die G20 treiben dagegen das sogenannte Inclusive Framework voran: Zum einen sollen die größten und profitabelsten Konzerne mindestens 15 Prozent Steuer vom Gewinn zahlen; diesem Beschluss von OECD und G20 haben sich Mitte 2021 über 130 Staaten angeschlossen. Zum anderen sollen gewisse Besteuerungsrechte an Länder übertragen werden, in denen ein Konzern ohne Niederlassung Umsatz erzielt, sogenannte Marktländer. Ein multilaterales Abkommen dazu namens Amount A will die OECD demnächst vorlegen. Das würde die Einnahmen von Entwicklungsländern aber kaum steigern. Marktländer sollen nur für die größten und profitabelsten Firmen Steuern erheben können und nur auf den Teil ihrer Profite oberhalb von zehn Prozent; ergiebigere Digitalsteuern wären dafür verboten.
Mit dem Abkommen der OECD wäre der UN-Prozess tot
Ein Bericht des UN-Generalsekretärs hat gerade den OECD-Prozess mit einem UN-Abkommen verglichen. Ergebnis: Der OECD-Prozess ist nicht effektiv, weil viele Länder das sehr komplizierte Regelwerk nicht umsetzen werden. Und obwohl rund 140 Staaten teilnehmen, ist er nicht inklusiv, weil die meisten Entwicklungsländer kaum Einfluss haben. Ein UN-Steuerabkommen sei in beider Hinsicht besser. Doch falls die OECD-Länder Amount A in Kraft setzen – das kann vor allem am Widerstand in den USA scheitern –, sind die Verhandlungen in den UN praktisch tot.
Die UN-Generalversammlung debattiert demnächst über das Thema Steuerabkommen. Die USA, wo große Digitalkonzerne sitzen, gehören zu den Bremsern – und die Bundesregierung? Wir „begleiten den UN-Prozess konstruktiv“, erklärt ein Sprecher des Finanzministeriums, aber man sei gegen Doppelarbeit. Der OECD-Prozess sei „von einer breiten internationalen Akzeptanz getragen“ und funktionsfähig. Das sehen Entwicklungsländer anders. Doch was Augenhöhe ist, wird wohl in Berlin entschieden.
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