Mit ihren Schlappen in der Hand stapft Rama Diop barfuß durch den Schlick, der bei jedem Schritt ein Schmatzen erzeugt. Ab und zu knackt ein leeres Schneckengehäuse unter ihren Füßen. Das macht der Fischerin nichts aus, die in ihrem Leben selten Schuhe getragen hat. „Ich komme häufig hierher, um nach den Mangroven zu sehen. Das macht mich glücklich“, sagt sie. Kreischend steigt ein Reiher auf. Rama Diop kneift die Augen zusammen und sieht ihm nach, wie er Richtung offenes Meer fliegt.
Weiße Wellenkämme sind dort hinten zu erkennen. Sie branden an den Strand einer vom Wasser geprägten Landschaft. Hier im Delta des Flusses Senegal kann man schnell den Überblick verlieren. Ebbe und Flut ändern ständig das Bild. Tümpel, Priele und Lagunen entstehen und verschwinden. Der breite Strom des Senegal sucht sich auf dem Weg in den Atlantik immer wieder neue Wege durch die Landschaft, die vielerorts an das Wattenmeer im Norden Deutschlands erinnert.
Wie das Wattenmeer ist das Delta des Senegal zum Teil Naturschutzgebiet. Doch es hat mit vielen Bedrohungen zu kämpfen: Siedlungen, Straßen und Brücken wuchern in die Natur. Immer mehr Fischer übernutzen die Gewässer und beschädigen teilweise die Uferzonen. Vor allem aber steigt wegen der Erderhitzung der Meeresspiegel und nimmt immer mehr Land mit sich. Ganze Dörfer verschwinden, Böden versalzen.
Mangroven könnten dagegen helfen, denn sie brechen die Wellen und festigen den Boden. Laut WWF kann ein 100 Meter breiter Streifen Mangrovenwald bei Stürmen die Höhe der Wellen um zwei Drittel verringern. Doch was von ihnen in den letzten Jahrzehnten nicht wegen Trockenheit und Versalzung verschwunden ist oder um Platz für Siedlungen zu machen, das wird häufig als Feuer- und Bauholz gefällt. Mehr als ein Drittel der weltweiten Mangrovenbestände sind nach Angaben des UN-Umweltprogramm (UNEP) seit 1980 verloren gegangen. Auch wenn der Verlust mittlerweile abgemildert werden konnte, sind mehr als drei Viertel der weltweiten Mangrovenwälder gefährdet. Der Senegal hat nach Angaben der NGO Livelihoodsfunds bereits jetzt ein Viertel seiner Mangroven eingebüßt.
Kleine Pflanzen der Hoffnung
„Während meiner Kindheit war der gesamte Ufersaum dicht mit Mangroven bewachsen“, erzählt Rama Diop und zeigt den breiten Flussarm entlang. Die weiten, sandig-matschigen Flächen sind heute zu großen Teilen frei von Vegetation. Zumindest auf den ersten Blick. Denn beim genauen Hinsehen sind da Reihen dünner, fingerlanger Stecklinge zu erkennen – kleine Pflanzen der Hoffnung.
Das ist der 56-jährigen Fischerin zu verdanken. Gemeinsam mit rund dreißig anderen Fischerinnen und Bewohnern aus ihrem Dorf hat sie die Stecklinge im vergangenen Jahr gepflanzt. Gebückt und barfuß haben sie sich voran bewegt, immer darauf bedacht, die Pflanzen tief, aber nicht zu tief in den Boden zu stecken und auf die Mindestabstände zu achten. „Sonst wachsen sie nicht an“, sagt Rama Diop und verschränkt die kräftigen Arme vor ihrer breiten Brust.
Wie die Frau wirken auch die knorrigen Pflanzen mit den langen Wurzeln robust. Das sind sie auch in gewisser Weise. Schließlich steht ein Mangrovenwald zwei Mal am Tag komplett unter Salzwasser. Das überstehen nur wenige der weltweit mehr als 70.000 Baumarten.
Die Wurzeln der Mangroven dürfen nicht zu lange geflutet sein
Aber auch Mangrovenbäume dürfen nur höchstens ein Drittel der Zeit geflutet sein. Steigt der Meeresspiegel oder verändert sich die Mischung zwischen Salz- und Süßwasser, zum Beispiel weil der Regen ausbleibt, dann geraten sie in Bedrängnis. Wie alle Pflanzen produzieren sie per Photosynthese Sauerstoff, müssen für ihr Wachstum aber auch Luft aufnehmen, was bei Mangroven zu einem großen Teil über die großporigen Luftwurzeln geschieht. Diese dürfen deshalb nicht zu lange überflutet sein. Auch können sie in gut durchlüftetem Boden mit ausreichend Sand noch Sauerstoff aufnehmen, in zu lange überfluteten, dichtem Schlamm aber nicht mehr. Es kann deshalb einiges schief gehen bei der Aufforstung von Mangroven.
Kein Wunder also, dass Rama Diop sich freut, die langen Reihen Setzlinge in einem guten Zustand zu sehen. „Wir brauchen die Mangroven – und das immer dringender“, sagt sie. Die Folgen von Erderhitzung und steigendem Meeresspiegel braucht ihr niemand zu erklären. Die Frau mit den wachen Augen muss nur vor die Tür ihres kleinen, unverputzten Hauses treten.
Ihr Dorf Bopp Thior liegt auf einer Insel gegenüber der Stadt Saint-Louis. „Da vorne hat früher mein Onkel gewohnt“, sagt Diop und zeigt auf das Wasser. Von Häusern ist dort nichts mehr zu sehen, längst haben Fluss und Ozean sie mitgerissen. Das Feld, auf dem sie bis vor acht Jahren Kohl und Tomaten angebaut hat, gibt es zwar noch. Doch der Boden ist versalzen, so dass dort nichts mehr wächst – genauso wie das Wasser, das die Bewohner des Dorfes früher aus dem Brunnen geschöpft haben. Heute kann man es nicht mehr trinken. Trinkwasser müssen sie jetzt einmal pro Woche mit dem Boot aus Saint-Louis holen. „Das wird dann randvoll mit Kanistern beladen“, sagt die Fischerin.
Jedes Jahr kommt das Meer näher
Mangroven senken nicht den Meeresspiegel, aber sie halten das Wasser von der Küste ab, indem sie wie eine Art Schutzwall wirken. Außerdem kühlen sie das Mikroklima und binden das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2). Nach Angaben des WWF können Mangroven drei bis fünf Mal so viel Co2 speichern wie ihre Verwandten an Land, die so genannten terrestrischen Baumarten. Einerseits binden sie Co2 durch ihr Wachstum in Blättern und Holz. Zusätzlich speichern sie Kohlenstoff aus hereingeschwemmten, organischen Materialien von Pflanzen und Tieren dauerhaft in ihren Sedimenten, weil deren Abbau dort nur sehr langsam von statten geht. Umso dramatischer ist, dass Mangrovenwälder bedroht sind – nicht nur im Senegal und in Westafrika, sondern auch vor allem in Südostasien.
Was Rama Diop und andere Freiwillige vor ihrer Haustür gegen den Rückgang der Mangroven leisten, ist deshalb von Bedeutung für die ganze Welt. Angeregt dazu hat sie Mamadou Mbodji von der Organisation Naturfreunde International. „Was hier mit den Mangroven passiert, ist auch wichtig für Euch in Europa“, sagt der hoch gewachsene und schlanke Umweltaktivist.
Der 66-Jährige ist in Saint-Louis aufgewachsen. Vorbei an alten Häusern mit abgebröckelten Fassaden geht er mit großen Schritten durch die schmalen Gassen der vorderen Insel von Saint-Louis in Richtung Strand. Vor den Häusern sind Ziegen angeleint. Neben zerbeulten Taxis französischer Bauart ruckeln Pferdegespanne durch die staubigen Gassen. Am Strand liegen bunte Fischerboote. Die letzte Gebäudereihe davor besteht zum Teil nur noch aus Trümmern und Ruinen, zerstört vom ansteigenden Meer. Der Betonbau einer Schule, die vor fünf Jahren aufgegeben werden musste, ist wie ein Kartenhaus zusammengefallen. „Saubermachen ist gut, nicht schmutzig machen noch besser“ steht in verblichener Schrift an einer der Innenwände. Eine seltsam klingende Mahnung, angesichts der Zerstörung. „Jedes Jahr kommt das Meer näher, ein Drittel der Häuser dieses Distriktes ist schon im Meer verschwunden“, sagt Mbodji.
In Saint-Louis versalzen die Felder
Im vergangenen Jahr hat die Stadtverwaltung am Strand mit dem Bau einer Befestigung aus großen Steinen begonnen. „Besser als nichts, das hält die Katastrophe etwas auf – es muss aber viel mehr passieren, sonst wird Saint-Louis 2050 verschwunden sein“, sagt Mbodji. Der Umweltschützer macht keinen Hehl daraus, dass er Mangroven für die bessere Lösung hält.
Bisher hat er mithilfe von Spenden auch aus Deutschland die Aufforstung von insgesamt 15 Hektar an verschiedenen Orten in und um Saint-Louis organisiert. Nicht alle Anpflanzungen liegen so idyllisch wie die bei der kleinen Sandinsel, auf der die Fischerin Rama Diop lebt.
Mamadou Mbodji zeigt Setzlinge in Buchten, die an Gewerbegebiete, Schnellstraßen oder dicht besiedelte Wohnviertel grenzen. Manche sind beschädigt. „Es kommen immer mehr Menschen nach Saint-Louis, auch weil auf dem Land ihre Felder versalzen.“ So wächst der Druck stetig. Anpflanzungen müssen deshalb besser geschützt werden. Die Menschen würden sich selbst damit helfen.
Mangrovenwälder schützen auch den Artenreichtum
In einem Mangrovenwald kommen der Artenreichtum aus der Luft, dem Land und dem Meer zusammen. Darin leben wilde Bienen und andere Insekten, unzählige Vogelarten, Reptilien, Wildkatzen, Austern, Krabben, Krebstiere und Fische. Für viele Meeresbewohner sind Mangrovenwälder Brutstätte und Kinderstube. Nachhaltig genutzt, bieten sie eine gute Ernährungsgrundlage für Küstenbewohner.
„Anpflanzen alleine ist nicht genug, wir müssen die Menschen dazu bringen, die Mangrovenwälder in Ruhe zu lassen oder sie nachhaltig zu nutzen.“ Yakhya Gueye sitzt in einem schwankenden Boot unter dem Sonnenschutz. Neben ihm hocken Wissenschaftler und andere Kollegen der Organisation Wetlands International Afrique auf den Bootsbänken. Sie haben hier am Fluss Casamance, im Süden des Senegal, bereits 300 Hektar Mangroven wieder aufgeforstet. Nun wollen sie mit Maßbändern, Messgeräten und anderem Spezialwerkzeug deren Wachstum kontrollieren, Bodenproben entnehmen oder den PH-Wert dokumentieren. Das könnte neben der Überprüfung der eigenen Arbeit auch die Grundlage liefern, um mit großflächiger Aufforstung in den weltweiten Handel mit Kohlenstoff-Zertifikaten einzusteigen, so dass, wer Mangroven aufforstet, mit der CO2-Bindung Geld einnehmen kann. Aber das ist noch Zukunftsmusik.
In den Mangroven setzen sich Austern fest
Ihre Wiederaufforstungen begleitet die NGO mit Kampagnen und praktischen Hilfen zur richtigen Nutzung der Mangrovenwälder. Austern zum Beispiel setzen sich in Reihen an dem weit verzweigten Wurzelgeflecht der Mangroven fest. Austernsammlerinnen, die mit einem Einbaum durch den Wald paddeln, brechen die Wurzeln häufig ganz ab. „Das ist für sie einfacher, als die Austern aus dem Boot heraus einzeln abzuziehen – die Mangroven aber können dadurch eingehen“, erklärt Yakhya Gueye. Er und seine Kollegen trainieren deshalb mit den Frauen, wie sie mit Holzrahmen und Tauen wilde Austern ansiedeln und ernten können.
Auch Rama Diop bei Saint-Louis hat das gelernt. Sie setzt sich aber vor allem für die Mangroven ein, damit es wieder mehr Fisch gibt. „Als hier noch alles voller Mangroven stand, war das Boot meines Vaters immer voll mit Fisch, wenn er zurückkam“, sagt sie. So soll es wieder werden. Dafür würde die entschlossene Fischerfrau jederzeit von neuem gebückt durch den schmatzenden Schlamm stapfen und Setzlinge in den Boden stecken.
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