Auch schwierige Länder brauchen Investitionen

Klimaschutz
Länder, die von Fragilität, Konflikten und Gewalt geprägt sind, sind für viele Investoren in Klimaschutz zu riskant. Aber dort leben Millionen Menschen, die zu den Ärmsten der Armen gehören und nicht vergessen werden dürfen.

Hugo Slim ist Senior Research Fellow am Las Casas Institute for Social Justice in Blackfriars Hall an der Universität von Oxford. Er hat sich auf die Untersuchung von Ethik, Krieg und humanitärer Hilfe spezialisiert.
Sogenannte Klimafinanzierung, also Geld, das eingesetzt wird, um CO2-Emissionen zu mindern und sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, soll fragilen Staaten zugutekommen – dafür setzen sich im Vorfeld der 28. UN-Klimakonferenz im November und Dezember in Dubai humanitäre Organisationen nachdrücklich ein. Zu Recht betonen sie: In diesen Ländern, die von Fragilität, Konflikten und Gewalt geprägt sind (Fragility, Conflict, Violence, kurz FCV), leben Millionen Menschen, die zu den Ärmsten der Armen gehören und von Gebern der Klimamittel schlicht übersehen werden. 

Die Bevölkerung dieser Länder ist besonders oft von komplexen Notlagen betroffen, bei denen Klimakatastrophen, Gewalt und Vertreibung zusammenwirken. Investitionen in Klimaschutz und Anpassung können jedoch zunichte gemacht werden, wenn Gewalt aufflammt, und sie sind als Reichtümer umkämpft. Bewohnerinnen und Bewohner von fragilen Krisenregionen leiden zudem unter den schlechtesten Regierungssystemen. Daher gehen Klimafinanzierung und andere Entwicklungsgelder an ihnen vorbei, denn das Risiko gilt als zu hoch für eine verlässliche Rendite. 

Risiken anders bewerten

Humanitäre Helfer, die überwiegend in fragilen Staaten arbeiten, wollen aber verhindern, dass diese Menschen übersehen werden. Sie wollen, dass Klimagerechtigkeit auch für fragile Staaten gilt. Und sie drängen die Geber der Klimamittel, die Risiken anders zu bewerten.

Aber haben die Geldgeber vielleicht nicht ganz unrecht? An riskanten Orten zu investieren, kann in der Tat ethisch problematisch sein. Im Raum steht dabei ein Gespenst, dem in der Klimapolitik niemand ins Gesicht sehen will: das einer humanitären Triage, die unter extremen Bedingungen ethisch notwendig sein könnte. Wenn es unmöglich ist, allen Menschen und Regionen in Not zu helfen, und die Hilfe in fragilen Staaten so schwierig ist, ist es dann nicht besser, anderen zu helfen? Ist es vielleicht falsch, an sehr gefährlichen Orten zu investieren, wenn man knappe Mittel besser und mit schnellerer Wirkung anderswo einsetzen kann, wo ebenfalls Millionen Menschen verwundbar sind und beispielsweise neu geschaffene Infrastruktur nicht in Gefahr ist, in Gewaltkonflikten schnell wieder zerstört zu werden? 

Banker folgen stets solchen Risikoabschätzungen. Vertreter humanitärer Organisationen hassen es, wenn sie dazu gezwungen sind. Dennoch müssen wir die Möglichkeit von verschiedenen Arten der Triage im Klima-Notstand anerkennen und prüfen, ob sie nötig sind oder nicht. 

Jetzt ist aber nicht die Zeit für Triage. Nothilfeorganisationen haben Recht, dass die Geber der Klimafinanzierung am heutigen Punkt der Klimakrise moralisch verpflichtet sind, alles zu versuchen, um fragilen Staaten beizustehen. Dafür gibt es mindestens drei Gründe.

Erstens sind die kommenden Jahre entscheidend, um zu lernen, wie man besonders verletzliche Gruppen am besten darin unterstützen kann, zu überleben und sich anzupassen. Milliarden Menschen auch anderswo werden in den 2030er Jahren extrem verletzlich werden; wir müssen jetzt herausfinden, wie man ihnen am besten hilft. Strategien der humanitären Hilfe, die heute für fragile Staaten entwickelt werden – etwa die Führungsrolle örtlicher Gruppen, mehrstufige Risikoszenarien und Fonds, die bei Naturereignissen rasch auszahlen –, sind noch nicht umfangreich getestet. Wir müssen wissen, ob sie sich bewähren. 

Zweitens sind die wichtigen Risiken in fragilen Staaten bekannt und einige mögen beherrschbar sein. Wir können nicht Unwissen oder unüberwindbare Hindernisse als Grund nehmen, nichts zu tun. 

Eins davon  ist der Vorrang des Kurzfristigen bei Machthabern und der Bevölkerung in Staaten wie Sudan oder Myanmar. Es überrascht nicht, dass sie mehr mit Kriegsführung und dem täglichen Überleben beschäftigt sind als mit mittel- und langfristigenr Klimaproblemen. Aber vielleicht kann man in der Politik und in den Gemeinschaften eine kritische Zahl Menschen für eine andere Haltung gewinnen, je mehr sie klimabedingte Notlagen erfahren. 

Ein weiteres ist, dass schwache und/oder korrupte Regierungen sowie Gemeinschaften Klimafinanzierung nur begrenzt aufnehmen und verantwortlich nutzen können. Nötig sind daher kreative Strategien für den Aufbau basisnaher Institutionen unter lokaler Führung sowie geduldiger Geldeinsatz, der weniger auf schnelle Gewinne als auf langfristige Resilienz setzt. Das kann in manchen Gebieten durchaus erreichbar sein, zumal von Konflikten meist nicht alle Teile eines fragilen Staates betroffen sind. Man muss es versuchen. 

Letzte Option Abwanderung

Weiter bedeuten die extremen Bedingungen in vielen fragilen Staaten auch geringe Fähigkeiten zu Klimaanpassung. Viele Menschen sind infolge von Krieg und Vertreibung bettelarm, und ganze Landstriche sind nach wiederkehrenden Dürren, Überflutungen, Wirbelstürmen oder Gewalttaten nahezu unbewohnbar; die Möglichkeiten, sich anzupassen, sind da extrem begrenzt. Die letzte, oft einzige Option ist Abwanderung innerhalb des Landes, oft in Städte. Daher muss mit Klimafinanzierung in vielen fragilen Staaten ein „geordneter Rückzug“ unterstützt werden. Diese Strategie wird in naher Zukunft in vielen Teilen der Welt nötig sein; es ist sinnvoll, sie jetzt zu lernen.

Der dritte Grund, fragilen Staaten beizustehen, ist: Die Klimafinanzierung ist bereits zugunsten der Reichen verzerrt. Der ausgezeichnete Bericht der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) zur Klimafinanzierung zeigt, dass ein zu großer Teil auf Klimaschutz statt auf Anpassung entfällt und das meiste auf am wenigsten verwundbare Länder. Weil es einfacher und weniger riskant ist, bevorzugen die Geber Länder, die vergleichsweise reich und stabil sind. Das mag sinnvoll sein, wenn es darum geht, mit Investitionen in Industriestaaten den Übergang von fossiler zu grüner Energie zu fördern. Doch die meisten dieser Länder könnten solche Schritte auch aus eigenen Mitteln finanzieren. Und das sollten sie auch, denn sie haben mit ihrer industriellen Entwicklung überproportional zur Erderhitzung beigetragen und tun das weiterhin. 

Wenn der Trend zur Fehlzuteilung der Mittel aus Klimafonds anhält, wird sich ein Ausgabepfad verfestigen, der global gesehen der Anpassung schaden kann: Vorrang bekommt Anpassung in der reichen Welt mit Mitteln, die in der Welt der Mehrheit gar nicht anwendbar sind. Aber es wird nicht in erneuerbare Energien, Wasserversorgung, Ernährungssicherheit und „geordnete Rückzüge“ in ärmeren Weltteilen investiert. Das ist keine Klimagerechtigkeit. 

Das alles bedeutet nicht, dass die Bedürfnisse fragiler Staaten die Debatte über die Verteilung der Klimafinanzierung völlig dominieren sollten. Die Menschen in diesen Ländern sind global noch eine Minderheit. Und auch außerhalb fragiler Länder – in großen Teilen Asiens, des Pazifik, Afrikas, Lateinamerikas und sogar Europas und Nordamerikas – sind große Bevölkerungsgruppen extrem verwundbar für Folgen des Klimawandels. Es ist wichtig, dass fragile Staaten einen fairen Anteil an Hilfs- und Förderprogrammen zum Klimawandel erhalten. Allein das zu betonen wäre aber auch keine Klimagerechtigkeit.

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

Transparenzhinweis: Dieser Beitrag wurde in der Originalfassung am 31. Mai 2023 auf der Website des Humanitarian Practice Network  und auf dem Blog des  Centre for Humanitarian Action (CHA) veröffentlicht

 

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