Gewerkschaften unerwünscht

Guillermo Granja/REUTERS
Arbeiter auf einer Plantage in Ecuador waschen und verpacken Bananen nach der Ernte.
Ecuadors Bananenindustrie
In Ecuador zeigt die Gewerkschaft der Bananenarbeiter, wie wichtig es ist, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter organisieren. Doch ausgerechnet ein deutsches Entwicklungsprojekt ignoriert das und stützt damit den gewerkschaftsfeindlichen Kurs der ecuadorianischen Regierung.

Seit Jahren werden auf den Bananenplantagen des Weltmarktführers Ecuador Arbeits- und Gewerkschaftsrechte verletzt. Ermutigend ist, dass sich nun die deutschen Supermarktketten diesem Problem stellen wollen. Aber es beunruhigt, dass sie – ebenso wie die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – eine wichtige lokale Entwicklung ignorieren: die Entstehung von Branchengewerkschaften. 

Bisher ist in Ecuador nur eine einzige Möglichkeit formal zugelassen, sich gewerkschaftlich zu organisieren: die Bildung einer Betriebsgewerkschaft, also einer Arbeitnehmervertretung für nur ein Unternehmen. Hierfür müssen sich mindestens 30 dauerhaft Beschäftigte eines Unternehmens finden und die Gründungsurkunde mit allen Namen beim Arbeitsministerium einreichen. 

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Quito und des ecuadorianischen Forschungsinstituts IEE aus dem Jahr 2022 zeigt am Beispiel der Bananenindustrie anschaulich, was dann typischerweise passiert: Einige Arbeiterinnen und Arbeiter werden von der Unternehmensführung eingeschüchtert, anderen wird Geld angeboten, wenn sie ihre Unterschrift zurückziehen. In einigen Fällen wird entdeckt, dass die Person nicht sozialversichert wurde (der Betrieb sie also betrogen hat) und sie deshalb nicht ordentlich beschäftigt ist, so dass sie keine Gewerkschaft mitgründen kann. Wer dennoch hartnäckig bleibt, wird entlassen. Die Studie zählt eine ganze Reihe solcher Fälle von Gewerkschaftsunterdrückung auf – und zwar bei großen ecuadorianischen Unternehmen, die Bananen auch an deutsche Supermarktketten liefern.  „Wir haben seit Jahren diese Repressionen erlebt und daraus unsere Lehren gezogen: Es braucht eine Branchengewerkschaft für den gesamten Sektor mit seinen 200.000 Beschäftigten“, sagt Jorge Acosta. Er hat im Februar 2014 die Gewerkschaft der Land- und Bananenarbeiter und -arbeiterinnen ASTAC mit gegründet. 

Jorge Acosta hat 2014 die Gewerkschaft für die Bananenbranche mit gegründet, die noch immer nicht endgültig zugelassen ist.

Über ihre Zulassung gab es einen jahrelangen Rechtsstreit. Das Arbeitsministerium hat den Antrag mehrfach abgelehnt mit der Begründung, dass ASTAC-Mitglieder in verschiedenen Betrieben arbeiteten und deshalb nicht einer gemeinsamen Gewerkschaft angehören könnten. Sowohl im internationalen Recht als auch in der ecuadorianischen Verfassung und im Arbeitsrecht wird aber die Vereinigungsfreiheit anerkannt und eine Branchengewerkschaft an keiner Stelle ausgeschlossen. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat in den Jahren 2017 und 2019 die ecuadorianische Regierung aufgefordert, ASTAC formal zu registrieren.

Im Mai 2021 hat ein ecuadorianisches Gericht das Arbeitsministerium verpflichtet, ASTAC als Branchengewerkschaft anzuerkennen und öffentlich um Entschuldigung für die Blockadepolitik zu bitten. Das Ministerium ist Anfang 2022 beiden Forderungen nachgekommen. „Damit hatten wir nicht gerechnet, denn die Justiz ist in Ecuador meist aufseiten der Unternehmen“, sagt Acosta. „Hilfreich war sicher der langjährige Protest von Gewerkschaften und NGOs aus Ländern, in denen unsere Bananen verkauft werden.“ In Europa haben sich Organisationen wie Action Aid, Misereor, Oxfam, Südwind (Wien), verschiedene Gewerkschaften und selbst Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für ASTAC eingesetzt. Die ecuadorianische Regierung hat inzwischen allerdings Widerspruch gegen das Gerichtsurteil eingelegt und verzögert seine Umsetzung. Der ausstehende Entscheid des Verfassungsgerichts dürfte kaum vor 2024 fallen. 

Weder Betriebs- noch Branchengewerkschaften

„Doch dieses Urteil hat andere Sektoren motiviert, über die Gründung von Branchengewerkschaften nachzudenken“, erläutert Angie Toapanta vom CIDDT (Zentrum für Studien und Verteidigung des Rechts auf Arbeit), einem jungen Anwaltskollektiv in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. „Wir arbeiten hierzu unter anderem mit Beschäftigten der Filmbranche, Hausangestellten und selbstständig Erwerbstätigen.“ Besonders aktiv sind Beschäftigte von digitalen Plattformen von Essensauslieferern und Fahrdiensten wie Uber. Ihre Gewerkschaft FrenApp wird von der Regierung nicht anerkannt. Dieses Beispiel verdeutlicht die Schwäche der offiziellen Position: Essensboten werden nicht als Beschäftigte der Firmen formal angestellt, daher können sie keine Betriebsgewerkschaften bilden. Und branchenweit wird ihnen das auch nicht gestattet. Sie bleiben also der Ausbeutung schutzlos ausgeliefert.

Autor

Frank Braßel

ist Historiker und Journalist. Er hat unter anderem für die Menschenrechtsorganisation FIAN und die Hilfsorganisation Oxfam gearbeitet.
Woher rührt der Widerstand der ecuadorianischen Regierung, grundlegende Arbeitsrechte in der Praxis umzusetzen? „Traditionell stehen unsere Regierungen aufseiten der Unternehmen. Das war in Bezug auf Gewerkschaftsrechte sogar unter der linken Regierung von Rafael Correa so“, sagt die Anwältin Sylvia Bonilla vom CIDDT (Correa regierte von 2007 bis 2017). „Wir sehen auch immer wieder Unternehmensvertreter im Kabinett. So kam der vorletzte Landwirtschaftsminister aus dem Imperium des Bananenproduzenten und bekannten Gewerkschaftsgegners Álvaro Noboa.“ 

Selbst innerhalb der wenigen anerkannten Gewerkschaften – der Organisationsgrad beträgt keine drei Prozent in dem Andenstaat – findet man Zurückhaltung beim Konzept Branchengewerkschaft. Offenbar gibt es hier Sorgen, Erreichtes wieder zu verlieren, auch eigene kleine Machtpositionen. Zaghaft zeigt sich ein Umdenken bei einigen Führungspersönlichkeiten in den Gewerkschaften, analysieren die Mitarbeitenden des CIDDT. Lohnen würde es sich auf jeden Fall. „Das Gerichtsurteil hat den Beschäftigten mehr Vertrauen zu unserer Arbeit gegeben“, erläutert Maricela Guzmán, Regionalkoordinatorin von ASTAC. „Damit ergibt sich erstmals die Möglichkeit von Tarifverhandlungen für alle Arbeitskräfte in den Bananenplantagen.“

Deutsche Supermärkte: Von ausbeuterischer Tiefpreispolitik zum Kostenaufschlag? 

Doch die Initiative nachhaltige Agrarlieferketten (INA) deutscher Supermarktketten, die von der GIZ koordiniert wird, greift diese Dynamik nicht auf. Und das, obwohl das Erreichen „existenzsichernder Einkommen und Löhne“ in der ecuadorianische Bananenindustrie ihr erklärtes Ziel ist. Zwei Aspekte sind hier hervorzuheben: Erstens erkennen die deutschen Supermärkte mit der Initiative indirekt an, dass sie für die Lage in den Produzentenländern mitverantwortlich sind. Denn in den vergangenen zwanzig Jahren haben sie mit ihrer Macht und Tiefpreispolitik die traditionelle Ausbeutung in vielen Ländern des globalen Südens verschärft. Mit dem Engagement reagieren Supermärkte auf öffentliche Kritik und in Deutschland auch auf den vom neuen Lieferkettengesetz ausgehenden Druck. Sollte festgestellt werden, dass die bislang gezahlten Bananenpreise keine existenzsichernde Entlohnung der Arbeitskräfte ermöglichen, wollen Aldi und Co „anteilig ihrer Bezugsmengen einen Kostenaufschlag zahlen“, heißt es auf der INA-Website. Wie genau, bleibt abzuwarten. Ähnliche Initiativen gibt es inzwischen in Belgien, Großbritannien und den Niederlanden.

Zweitens bedeutet die Initiative der Supermarktketten, dass sie die Arbeit der Branchengewerkschaft ASTAC indirekt anerkennen. Die hat auch international immer wieder auf Rechtsverstöße in der ecuadorianischen Bananenindustrie hingewiesen; weder die Unternehmen noch die Regierung konnten die Vorwürfe entkräften. Nicht ohne Grund hat die INA Ecuador als Pilotland ausgewählt. Aldi-Nord und Aldi-Süd, Kaufland und Rewe haben sich dafür zusammengeschlossen. Lidl hat anfangs teilgenommen, strebt aber inzwischen eine schnellere Lösung in einer Kooperation mit FLO-Cert an, dem Zertifizierer des fairen Handels. Edeka war von vornherein nicht dabei und setzt stattdessen auf eine in der Praxis wenig wirksame Zertifizierung durch den WWF.

Beliebte gelbe Frucht: Einkauf in einem REWE-Markt in Köln. REWE trägt die Initiative für nachhaltige Lieferketten mit.

Aber warum wird das Konzept von Branchengewerkschaften, Mitbestimmung und Tarifverträgen, das im westdeutschen „Wirtschaftswunder“ so erfolgreich war, in diesem Projekt der Entwicklungszusammenarbeit nicht verfolgt? Bei der Vorstellung der INA auf der Grünen Woche im Februar 2020 waren keine Gewerkschaften dabei. 

Eine kaum bekannte Gewerkschaftsföderation und ein regierungsnaher Dachverband

Nach öffentlicher Kritik daran fördert die GIZ nun parallel zu dem Projekt, aber nicht als Teil davon, über die britische nichtstaatliche Organisation Banana Link die wenig bekannte ecuadorianische Gewerkschaftsföderation Sinutrabe. Die ist auf einigen Plantagen des US-amerikanischen Konzerns Dole vertreten, aber außerhalb davon bislang kaum in Erscheinung getreten. Mehr schon ihr Dachverband CUT, aber der tritt stets so regierungsnah wie möglich auf – zunächst als Anhänger des linken Präsidenten Correa und nun seines neoliberalen Nachfolgers Guillermo Lasso. Die großen landesweiten, von der Indigena-Bewegung CONAIE angeführten Streiks und Sozialproteste im Juni 2022 lehnte die CUT als einzige Gewerkschaft in Ecuador ab.   

Man hört aus diversen Quellen, dass die ecuadorianischen Bananenunternehmen sowohl ihrer Regierung als auch ihren Geschäftspartnern gegenüber deutlich gemacht haben, dass sie eine Mitwirkung von ASTAC ablehnen und im Zweifelsfall an der INA nicht teilnehmen würden. Die deutschen Supermärkte und die GIZ tragen dies mit, verweigern die Kooperation mit der einzigen Branchengewerkschaft im Sektor und stärken damit faktisch die traditionell gewerkschaftsfeindliche Haltung in der ecuadorianischen Bananenindustrie.

Bislang wurde das INA-Projekt ohne jede Beteiligung der vermeintlichen Nutznießer – der Arbeitskräfte in den Plantagen – konzeptionell entwickelt und praktisch erprobt. Aldi-Süd soll kürzlich ein Pilotprojekt unter Beteiligung von Gewerkschaften durchgeführt haben, doch darüber sind keine Details bekannt

Starke Gewerkschaften sind unverzichtbar

Ein erster „Lohnlückenbericht“ der INA vom Januar besagt, dass mehr als 99 Prozent der Beschäftigten bei den Lieferanten der teilnehmenden Supermärkte einen existenzsichernden Lohn erhalten. Das widerspricht allen Berichten der letzten Jahre über die Situation auf den Plantagen und verdeutlicht die Fragwürdigkeit des Ansatzes. Immer mehr Beschäftigte werden nach Stücklohn bezahlt, ihre vielen Überstunden werden nicht vergütet. Rund die Hälfte der Beschäftigten ist nicht sozialversichert. Die INA geht davon aus, dass ein existenzsichernder Lohn erreicht ist, wenn 1,6 Mitglieder der Familie für diesen Lohn arbeiten; das ist gerade bei Familien alleinerziehender Frauen kein Standard. Nichts davon spiegelt sich in dem Bericht.
Zukünftig soll bei den Zertifizierungen der Rainforest Alliance und bei FLO-Cert für den fairen Handel mit geprüft werden, ob Löhne existenzsichernd sind. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass die Zertifizierung durch Rainforest, die bisher nicht verhindert hat, dass Mindestlohngesetze oder die Gewerkschaftsfreiheit verletzt wurden, nun bei der Erreichung eines existenzsichernden Lohnes wirksam sein soll. 

Bei Fragen von Menschenrechten ist Fortschritt nicht denkbar ohne echte Beteiligung der Rechtsträger, in diesem Fall der Beschäftigten und ihrer Organisationen. Das gilt umso mehr im hochgradig autoritär verfassten Plantagensektor Ecuadors. Gegen eine enge Allianz von Unternehmen und Regierung sind starke Gewerkschaften unverzichtbar. Leider verschenken der deutsche Lebensmitteleinzelhandel und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit diese Chance.  

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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