Die Christen in prekärer Lage

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Ostergottesdienst in Qaraqosh 2021. In der christlichen Stadt nahe Mossul leben heute nur halb so viele Menschen wie vor den Angriffen des Islamischen Staates ab 2017.
Nordirak
Christliche Zentren im Nordirak wie Qaraqosh haben sich von den Angriffen des Islamischen Staates kaum erholt. Lokale Kirchen fordern nun, die christliche Stimme im Parlament zu stärken.

Die Lage der Christen ist im Irak nach wie vor unsicher – besonders in der Niniveh-Ebene nördlich und westlich der Stadt Mossul im Nordirak, in der seit vielen Jahrhunderten Christen siedeln. Um sie zu verbessern, fordert der Ende Februar gegründete Niniveh-Rat aus sieben Kirchen des Gebietes Reformen im irakischen Wahlsystem. Die Zukunft der Christen hänge davon ab, ob sie ihre Interessen selbst auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene vertreten können, hat er im März erklärt.

Die prekäre Lage geht auf die Zeit des Islamischen Staates (IS) im Irak zurück. Von 2014 bis 2017 hatte sich die Terrorgruppe in der Niniveh-Ebene rund um Mossul festgesetzt und ihren Einflussbereich bis weit hinein nach Syrien ausgeweitet. Die im Sindschar-Gebirge östlich von Mossul lebenden Jesiden wurden als Ungläubige blutig verfolgt und vertrieben. Die Christen in der Niniveh-Ebene mussten ebenfalls fliehen und suchten überwiegend, wie die überlebenden Jesiden, Zuflucht im von den Kurden kontrollierten Gebieten im Nordirak. 2017 konnte eine Koalition aus irakischen Truppen, schiitischen Gruppen, christlichen Milizen, den kurdischen Peschmerga und der US-Luftwaffe den IS vertreiben. Viele Gebäude und große Teile der Infrastruktur waren zerstört. 

Der Ort Qaraqosh zeigt beispielhaft die ambivalente Situation der Christen 

Heute sind einige Kirchen wiederaufgebaut, allen voran in Qaraqosh, einem der wenigen noch rein christlichen Orte in der Niniveh-Ebene. Dieser Ort zeigt beispielhaft die ambivalente Situation der Christen im Irak, die vor der Invasion der US-Streitkräfte vor zwanzig Jahren noch 1,5 Millionen von 25 Millionen Irakern stellten; heute ist die Bevölkerung auf 43 Millionen angewachsen, doch nur noch 300.000 sind Christen. Vor 2014 hatte Qaraqosh, das auf manchen Karten mit dem assyrischen Namen Bachdida bezeichnet wird, 45.000 Einwohner. Als der IS kam, mussten alle Hals über Kopf fliehen. Anfang 2023 sind gerade mal die Hälfte der Einwohner wieder zurückgekehrt. Einige leben im Ausland, die allermeisten aber in Erbil, der Hauptstadt des kurdisch kontrollierten Teils des Irak. 

Dass sie irgendwann einmal zurückkehren, wagt in Qaraqosh niemand zu hoffen. „Der IS hatte damals alle Häuser und Wohnungen geplündert. 40 Prozent waren total zerstört“, sagt der Leiter einer NGO, die diejenigen unterstützt, die nach Qaraqosh zurückkehren wollen. Namentlich möchte er aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden. 

Die NGO hilft vor allem bei der Wiederbeschaffung von Dokumenten, die den Grundbesitz einwandfrei nachweisen. Keine leichte Sache in einem Land, in dem man nicht einfach auf ein Grundbuchamt gehen kann, um einen beglaubigten Auszug zu holen. Die Behörden im Irak sind durchlässig und korruptionsanfällig. „Vom irakischen Staat fließt so gut wie keine finanzielle Hilfe nach Qaraqosh. Die internationalen Gelder, die wir bekommen, werden über die Kirche verteilt. Ich habe nicht den Eindruck, dass der irakische Staat tatsächlich ein Interesse daran hat, dass wir Christen wieder zurückkommen“, sagt der Gesprächspartner. 

Bisher habe zum Beispiel niemand eine Lizenz bekommen, um eine Fabrik oder ein Unternehmen in Qaraqosh wiederaufzubauen. Mehr als die Hälfte der Menschen sei arbeitslos, weil es für Christen kaum mehr möglich sei, im öffentlichen Dienst eine Stelle zu bekommen. Die Jugend studiere vor allem an der Hamdaniye-Universität, die vor wenigen Jahren in der Nähe von Qaraqosh gebaut wurde, auch um den christlichen Studierenden den Weg nach Mossul zu ersparen. Von den einst 50.000 Christen ist dorthin so gut wie niemand zurückgekehrt. Das Vertrauen zur muslimischen Bevölkerung ist seit der schnellen Übernahme des IS vor neun Jahren nachhaltig zerstört. 

Aus Misstrauen schottet die Stadt sich nach außen ab

Gegen Pläne, die Uni in Qaraqosh anzusiedeln, hatten sich die Einwohner gewehrt. Sie wollten verhindern, dass auf diese Weise muslimische Studierende in die Stadt kommen. „Wir wollen lieber getrennt bleiben von anderen ethnischen Gruppen“, sagt der NGO-Leiter. Alle hätten Interesse, Qaraqosh zu übernehmen. „Die Kurden, die Araber (gemeint sind die sunnitischen Muslime) und auch die Schiiten wollen sich hier einkaufen und bieten Mondpreise für Häuser von Leuten, die endgültig ins Ausland gehen.“ Dies gelte es zu verhindern. 

Deswegen wird Qaraqosh auch von der einzigen rein christlichen Miliz kontrolliert. Wer in die Stadt will, muss vor Ort einen Fürsprecher haben, am besten einen Priester. Ansonsten kann man am Checkpoint gleich wieder umdrehen. Dass die Stadt damit de facto zu einem Ghetto wird, ist dem Leiter der NGO klar. „So können wir aber freier leben als in einer islamischen Gesellschaft. Frauen können bei uns ungehindert unterwegs sein, können allein ins Restaurant gehen.“ 

Neue Häuser, Arbeitsplätze und eine christliche Miliz, die für die Sicherheit sorgt, werden allerdings nicht ausreichen, um den Christen wieder das Vertrauen zu geben, dass sie im Irak dauerhaft eine Zukunft haben. Sie brauchen auch auf politischer Ebene Vertreter, die sich für ihre Interessen einsetzen und zum Beispiel dafür sorgen, dass Christen genauso wie Muslime Zugang zu Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst haben, dass sie Fabriken aufbauen können oder dass Kinder, von denen ein Elternteil zum Islam konvertiert, nicht automatisch auch Muslime werden, wie es ein unlängst im Parlament verabschiedetes Gesetz bestimmt. 

Das Wahlrecht konterkariert die Quote für christliche Abgeordnete 

Zwar gibt es im Irak eine Quotenregelung: Fünf der insgesamt 329 Sitze im irakischen Parlament sind Christen vorbehalten. Allerdings werden die Kandidaten für diese Sitze nicht allein von Christen gewählt, sondern können von allen anderen Irakern auch gewählt werden. Das ist für eine kleine Minderheit ein Risiko, wie sich bei den letzten Parlamentswahlen im Herbst 2021 gezeigt hat. Vier dieser fünf Abgeordneten kommen aus der sogenannten Babylon-Bewegung, die behauptet, pro-christlich zu sein, was ihr aber weder die Kirchenführer noch die Christen abnehmen. Vielmehr wird der Babylon-Bewegung nachgesagt, mit schiitischen Milizen zu kooperieren und die Interessen des Iran im Irak und insbesondere in der Niniveh-Ebene zu vertreten. 

Vor diesem Hintergrund hat sich nun Ende März der neu gegründete Niniveh-Rat, zu dem die sieben in der Region vertretenen Kirchen gehören, zu Wort gemeldet. Er fordert, dass die für Christen vorgesehenen Sitze in den lokalen und nationalen Parlamenten nur noch von der christlichen Minderheit besetzt werden können. Andernfalls würden die Christen künftig Wahlen boykottieren. Das derzeitige Wahlsystem führe dazu, dass die Mehrheit der gewählten Kandidaten für die den Christen vorbehaltenen Sitze „nicht wirklich die legitimen Forderungen und Interessen der irakischen christlichen Gemeinschaften auf politischer Ebene vertreten“, heißt es in der Erklärung.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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