Ein Unternehmer macht mobil

Sam Olukoya
Ayuba Gufwan setzt sich für Menschen mit Behinderungen ein. Ein Gesetz, für das er gekämpft hat, soll seit kurzem im Bundesstaat Plateau den Zugang mit Rollstühlen zum öffentlichen Schulsystem erleichtern.
In Nigeria leben viele Menschen, die Polio überlebt haben und seitdem teilweise gelähmt sind. Im „Beautiful Gate Handicapped People Centre“ im Bundesstaat Plateau stellen Polio-Überlebende Mobilitätshilfen her, die kostenfrei an Betroffene vergeben werden.

Als Ayuba Gufwan fünf Jahre alt ist, verändert sich sein Leben dramatisch zum Schlechteren. Er erkrankt an Poliomyelitis, kurz: Polio. Die Infektionskrankheit kann für Kinder tödlich sein und führt so gut wie immer zu nicht heilbaren Lähmungen. Gufwan, der heute 49 Jahre alt ist, kann nicht mehr gehen. Das Leben in seinem Dorf im Bezirk Mangu, der zu Nigerias Bundesstaat Plateau gehört, wird damals für den kleinen Jungen mit einem Mal sehr hart. Ohne jegliche Gehhilfe ist er gezwungen, sich auf Händen und Knien fortzubewegen oder auf dem Boden zu sitzen. „In unserem Dorf gab es damals keine Schule, und auf allen vieren kam ich nicht ins nächste Dorf, wo es eine gab“, erinnert er sich heute.

Seine Geschichte ist kein Einzelfall. In Nigeria leben viele Menschen, die Polio überlebt haben und seitdem teilweise gelähmt sind. Die meisten von ihnen können sich keinen Rollstuhl leisten, um mobiler zu werden. In einem Land, in dem Menschen mit Behinderungen keine Entwicklungsmöglichkeiten erhalten, diskriminiert werden und oft noch nicht einmal eine Schule besuchen können, enden sie oft als Bettler auf der Straße. 

Als Gufwan 19 ist, schafft es seine Familie, das Geld für einen Rollstuhl zusammenzubringen, den sein Onkel ihm aus der Stadt besorgt. So kann er wieder zur Schule gehen. „Dass ich durch den Rollstuhl mobiler wurde, brachte mir das Gefühl von Würde zurück, ich schöpfte wieder Hoffnung und konnte mich weiterentwickeln“, erinnert er sich. Trotz seiner späten Schullaufbahn und seiner Beinlähmung studiert Gufwan Jura und wird Anwalt. Seine eigene Leidensgeschichte hilft ihm dabei, andere Polio-Überlebende und ihre Probleme zu verstehen und sie zu unterstützen. „Mein Traum war zunächst, als Anwalt zur Stimme der Menschen mit Behinderung zu werden“, sagt er. Doch er merkte auch bald, dass die Menschen, denen er helfen wollte, „zunächst einmal ganz praktische Unterstützung brauchen“. 

Die Fähigkeit, sich von einem Ort zu einem anderen zu bewegen

Inzwischen gibt er ihnen genau die: Als Direktor des „Beautiful Gate Handicapped People Centre“ in Plateaus Hauptstadt Jos kann er den Alltag von Polio-Überlebenden auf ganz praktische Art verändern. Das spendenfinanzierte Zentrum, dessen Mitbegründer er ist, stellt vor allem gelähmten Polio-Überlebenden kostenfrei Mobilitätshilfen zur Verfügung. Es sind Menschen, die zuvor unter harten Bedingungen leben mussten, weil sie sich in einer Gesellschaft, die nicht für Leute wie sie ausgerichtet ist, kaum bewegen konnten. 

Gufwan weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer das Leben mit einer Behinderung ist. „Wenn da nichts Handfestes passiert, um die betroffenen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes aufzurichten und ihnen wieder ein Stück Hoffnung zu geben, wäre dies das Ende ihrer Träume.“ Die Fähigkeit, sich von einem Ort zu einem anderen zu bewegen, das betont er immer wieder, ist ein Grundbedürfnis von Menschen mit Behinderungen. 

Seit seiner Gründung 1999 hat das Zentrum Zehntausende Tricycles und rund 10.000 reguläre Rollstühle hergestellt, dazu etliche Gehhilfen. Betroffene bekommen die Hilfen kostenfrei. „Wir suchen sie sorgfältig aus, um sicherzugehen, dass diejenigen profitieren, die es am dringendsten brauchen – zum Beispiel um eine Schule zu erreichen, eine Ausbildung anzutreten oder ein Gewerbe zu gründen.“ Bei der Entscheidungsfindung arbeitet das Zentrum mit Dritten zusammen wie etwa Kirchengemeinden oder Regierungsabteilungen. „Wir wollen, dass die Betroffenen weniger abhängig von Hilfeleistungen werden und sich ein eigenes Leben aufbauen können.“ 

Zum Zusammenbauen der Rollstühle werden Fahrradteile genutzt

Die Tricycles und Rollstühle werden von den 65 Beschäftigten des Zentrums zusammengebaut – viele von ihnen sind selbst Polio-Überlebende, die ein Hilfsmittel vom „Beautiful Gate Handicapped People Centre“ erhalten haben. Zum Zusammenbauen der Rollstühle und Tricycles benutzen sie Fahrradteile. „Fahrräder gibt es hier überall, so dass man sich auch im Dorf Ersatzteile besorgen kann“, erklärt Gufwan. 

„Der Rollstuhl hat mein Leben sehr verändert“, sagt Emmanuel Ahmadu, der im Zentrum arbeitet und als Einjähriger an Polio erkrankte. „Ich kann mich jetzt frei bewegen.“ Als er noch keinen Rollstuhl hatte und kriechen musste, um sich fortzubewegen, waren sein Körper und seine Kleider immer schmutzig und oft auch zerrissen, erinnert er sich. Ahmadus Kollege Dauda Bitrus war fünf Jahre, als er Polio bekam. Er sagt, es mache ihn glücklich, an einem Ort zu arbeiten, der Menschen mit Behinderungen beschäftigt. „Ich habe auf der Suche nach Arbeit so viel Diskriminierung erlebt. Jetzt habe ich eine Arbeit, konnte heiraten und eine Familie gründen. Bevor Bitrus im Jahr 2001 ein Tricycle bekam, mussten seine Eltern ihn von Ort zu Ort transportieren, er fühlte sich als Last. 

Die Polio-Überlebenden, die im Zentrum arbeiten, sind glücklich, daran mitzuwirken, Mobilitätshilfen für andere Polio-Überlebende herzustellen und so auch deren Leben zu verändern. „Je mehr Rollstühle wir herstellen, desto mehr Menschen bekommen wir von der Straße“, sagt Ahmadu, der seit 2006 dabei ist. Auch Gufwan bekräftigt, dass Menschen, die wegen ihrer Behinderung auf dem Boden kriechen müssen, dringend Mobilitätshilfen brauchen: „Mobilität ist die Grundlage dafür, dass Menschen mit Behinderung am Alltag teilhaben können.“ Und selbst wenn diese Menschen mit Rollstühlen, Tricyclen oder Gehhilfen versorgt sind, ist Teilhabe kein Selbstläufer. Die Regierung muss sich der Integration von Menschen mit Behinderungen annehmen. Deshalb beteiligt sich Gufwan an der Lobbyarbeit für eine Gesetzgebung, die die Rechte von Menschen mit Behinderungen stärkt. Ein Gesetz, für das er gekämpft hat und das kürzlich verabschiedet wurde, regelt den leichteren Zugang von Schülerinnen und Schülern mit Rollstühlen zum öffentlichen Schulsystem im Bundesstaat Plateau.

Ebenso wichtig findet Gufwan den Kampf gegen Polio und damit die Hauptursache der Behinderungen, von denen die Menschen betroffen sind, für die er sich einsetzt. Dabei arbeitet er mit einer Reihe von Organisationen zusammen, unter ihnen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Rotary Club.

Gufwan ist auch „Impfbotschafter“

Auch wenn es in Nigeria seit einigen Jahren keinen neuen Fall von Polio mehr gab, gilt das Land immer noch als Risikoland für einen möglichen Ausbruch. Solch ein Ausbruch könnte sich im Ernstfall schnell ausbreiten. Polio ist nach wie vor nicht heilbar, aber Eltern können der Krankheit vorbeugen, indem sie ihre Kinder impfen lassen. In Teilen Nordnigerias, auch in der Region, in der Gufwan lebt, wird die Impfung allerdings nicht allzu ernst genommen. Teilweise haben die Menschen wegen ihrer Armut andere Sorgen, teilweise können sie die Informationen dazu einfach nicht lesen, und einige Muslime halten die Impfkampagne gar für einen Trick westlicher Staaten, um die muslimische Bevölkerung zu dezimieren.

Gufwan arbeitet als „Impfbotschafter“, um Polio zu beenden. Eine wirkungsvolle Art sei es, über die Folgen von Polio aufzuklären, wenn er Rollstühle an Polio-Überlebende verteilt. Dann nutzt er die Gelegenheit, den anwesenden Eltern zu erklären, dass die Betroffenen keine Rollstühle bräuchten, wenn ihre Eltern sie als Kinder hätten impfen lassen. 

Dass Nigeria nun seit drei Jahren keinen Fall von Polio mehr gesehen hat, ist ein Anlass zum Feiern. Und es ist das Werk von Menschen wie Gufwan. Der wiederum betont: „Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Wir müssen die Krankheit besiegen, und wir müssen dafür sorgen, dass alle, die Polio mit Behinderungen überlebt haben, am Leben teilhaben können.“ 

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2023: Im Protest vereint
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