Ein Vertrag allein kann die Gewalt nicht beenden

Ohne Versöhnung an der Basis wird der Südsudan nicht zu einem stabilen Frieden finden

Von Emmanuel LoWilla

Der Friedensvertrag für den Südsudan, der im Januar 2005 unterzeichnet wurde, hat wie erhofft die Kämpfe zwischen dem Norden und dem Süden mehr oder minder beendet. Damit das Abkommen von Dauer ist, bedarf es allerdings mehr als eines unterschriebenen Papiers. Im Sudan herrschen weitere Konflikte – nicht nur in Darfur, sondern auch im Südsudan. Hierzu gehören der um Abyei sowie um die Rolle der so genannten „anderen bewaffneten Gruppen“; das sind Milizen, die weder der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) noch der Regierungsarmee angeschlossen sind. Auch Spannungen zwischen Volksgruppen und Gemeinschaften, besonders in der an Äthiopien grenzenden Provinz Jonglei, wirken sich auf das Leben der Menschen oft drastisch aus. Die Kämpfe zwischen Volksgruppen sind hier oft verquickt mit Angriffen von Seiten „anderer bewaffneter Gruppen“. Bei ihrer Lösung haben lokale Organisationen, insbesondere kirchliche, eine führende Rolle übernommen. Sie nutzen dazu eine Mischung von traditionellem Konfliktmanagement und modernen Methoden der Konflikttransformation, zu denen auch Trauma-Arbeit gehört.

Eine lange Geschichte von Spannungen, Kämpfen und Entführungen zwischen den Völkern der Murle, Jieh, Toposa, Dinka, Nuer und Anyuak hat dazu geführt, dass die Provinz Jonglei besonders instabil ist. Diese Situation hat sich während des Bürgerkrieges noch dadurch verschärft, dass die Bevölkerung von Jonglei unterschiedliche Befreiungsbewegungen unterstützte: 1991 spaltete sich die SPLA in zwei Parteien. Die Torit-Fraktion, die auch als Hauptfraktion bekannt war, stand unter der Führung des verstorbenen John Garang, eines Dinka aus Bor. An der Spitze der anderen Fraktion stand Riek Machar, ein Nuer aus Leer. Obwohl beide SPLA-Gruppen sich später wieder zusammengeschlossen und das Friedensabkommen ausgehandelt haben, blieben die seelischen Verletzungen und Traumata, die diese Spaltung verursacht hatte. Viehdiebstähle und die Suche nach Weideland haben in den vergangenen Monaten die Gewalt zwischen den Murle und den Nuer wie auch zwischen den Murle und den Dinka Bor eskalieren lassen.

Die Konflikte im Staat Jonglei gefährden weiterhin die Umsetzung des Friedensabkommens vom Januar 2005. Ende 2007 kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Murle aus dem Bezirk Pibor und den Dinka Bor. Als Grund wird angegeben, dass eine Gruppe von Murle-Viehdieben im Bezirk Bor Dörfer überfiel, etliche Zivilisten der Dinka tötete und Vieh raubte. Viele Menschen wurden vertrieben und flohen in die Stadt Bor. Einige rächten sich, indem sie verletzte Murle töteten, die ins Krankenhaus von Bor gebracht wurden. Das Vorgehen dieser kleinen Gruppe von Dinka, die mit ihren Morden an den Murle Selbstjustiz übte, wurde von vielen Sudanesen und auch von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), die in dieser Gegend arbeiten, verurteilt.

Die Morde provozierten weitere Kämpfe zwischen den Murle und den Dinka Bor und hätten möglicherweise sogar benachbarte Volksgruppen in die Auseinandersetzung hineingezogen, wenn die Regierung des Staates Jonglei und die Regierung des Südsudan nicht Maßnahmen ergriffen hätten, um unter den kämpfenden Gruppen Recht und Ordnung wiederherzustellen.

Gleichzeitig starteten die beiden großen Kirchen – die Episkopalkirche des Sudan und die Presbyterianische Kirche im Sudan – in beiden Gemeinschaften eine Initiative, um die Gruppen möglichst schnell miteinander zu versöhnen. Dies geschieht mit der Arbeit von RECONCILE, einer kirchlichen NGO, die sich im Südsudan in der Friedensarbeit und der psychosozialen Rehabilitation engagiert. Die Organisation wurde 2003 vom damaligen Neuen Sudanesischen Kirchenrat als unabhängiges kirchliches Friedensinstitut gegründet und hat ihren Sitz in Yei.

Zusammenbruch der überkommenen Werte

Das RECONCILE-Team, das die Region besuchte, stellte fest, dass der Zusammenbruch der sozialen Ordnung und der überkommenen Werte, die früher auch in schwierigen Zeiten Frieden und Verständigung ermöglicht hatten, zu Anarchie, Gesetzlosigkeit und Chaos geführt hat. Menschen werden vertrieben und ermordet und sehr häufig gehen die Täter straffrei aus. Alte Rivalitäten und kulturelle Unterschiede sind wieder zum Vorschein gekommen, wenn benachbarte Stämme einander überfielen und angriffen, um den anderen zu schaden oder Menschen zu entführen. Das Team stellte auch fest, dass die Gemeinschaften in Akobo (Nuer), Pibor (Murle), Nasir (Nuer) und Bor (Dinka) schon lange unter Unsicherheit und Gewalt leiden – vor allem unter Viehdiebstahl, der vom jahreszeitlich bedingten Wassermangel sowie vom Streit über Weideland und von Armut bedingt ist.

RECONCILE entwickelte vor diesem Hintergrund Methoden, auf die Konflikte einzuwirken. Mit verschiedenen Gruppen aus der Region wurden Gespräche geführt, darunter mit Regierungsvertretern und der Volksbefreiungsarmee (SPLA). Dabei stellte sich heraus, dass neben den üblichen Überfällen auch der Besitz von Handfeuerwaffen ein Faktor war, der die Kämpfe begünstigte. Doch gab es Ansatzpunkte für einen Friedensprozess. Die Gemeinschaften besannen sich darauf, dass sie durch Mischehen miteinander verbunden sind, dass selbst zur Zeit von Angriffen für Alle ein Gastrecht gilt und dass sie lebenswichtige Ressourcen wie Wasser und Weideflächen miteinander teilen.

Auf Grundlage dieser Einsichten wurden Workshops einberufen, um die Führer der Gruppen über ihre Handlungsmöglichkeiten aufzuklären und darüber, wie die Konflikte das Wohl der Gemeinschaften gefährden. Auf dem Programm stand auch die psychosoziale Rehabilitation einschließlich der Trauma-Arbeit, so dass die Betroffenen darüber sprechen konnten, was sie erlitten hatten. Die Kurse wurden zunächst separat durchgeführt: in Akobo für die Nuer, in Pibor für die Murle und in Bor für die Dinka. Dann folgte die zweite Stufe des Trainings mit gemischten Gruppen: Jede Gemeinschaft brachte ihre Klagen vor und berichtete über ihr Leid, die andere Gruppe reagierte jeweils darauf.

Wenn die Teilnehmer während des Dialogs über ihre Gefühle sprachen, kam es zu heftigen Ausbrüchen. Manchmal versuchten Einzelne, eine Kampfstimmung zu erzeugen. In solchen Fällen griffen Vertreter der Gruppen ein, um die Gemüter wieder zu beruhigen. Am Ende dieses Prozesses standen so genannte Austauschbesuche. Einige einflussreiche Führer von Gemeinschaften wurden aufgefordert, zu Gast bei jener Gemeinschaft zu sein, die ihnen feindselig gegenübergestanden hatte. Sie hielten sich tagelang dort auf, um ihre Geschichten mit den anderen zu teilen. Bei ihrer Rückkehr wurden sie von ihren Gastgebern begleitet, die dann ihrerseits Gäste der anderen Gemeinschaft wurden. Auf diese Weise erkannten die Menschen, dass die Gefahr vorüber war und die Beziehungen wiederhergestellt waren. Dadurch wurde das Vertrauen wiederhergestellt zwischen Menschen, die einander lange mit Misstrauen begegnet waren.

Solche Dialogprozesse werden im Südsudan hauptsächlich von NGOs durchgeführt – vor allem von kirchlichen, darunter auch internationalen. Die Regierung des Südsudan hat die Initiativen bisher begrüßt, da sie das Friedensabkommen stützen. Die NGOs sind jedoch auf die Bereitschaft der Regierung angewiesen, sich an das zu halten, was lokale Friedenstreffen beschließen. Wenn zum Beispiel eine Gemeinschaft ihre Waffen abgegeben hat, muss die Regierung für Sicherheit sorgen. Polizisten sind nötig, die den Frieden überwachen und die festnehmen, die gegen das Gesetz verstoßen. Die Polizei ist aber in einzelnen Provinzen nur sehr eingeschränkt handlungsfähig. Und sie hat es mit Personen zu tun, die zum Teil mit wesentlich moderneren Waffen ausgerüstet sind als sie selbst. In einem Distrikt haben wir zum Beispiel festgestellt, dass 230 Polizisten insgesamt nur 16 Gewehre besaßen.

Aus dem Friedensprozess in Jonglei lassen sich einige grundsätzliche Lehren ziehen. Erstens: Menschen möchten an den Prozessen beteiligt werden und können motiviert werden, ein Friedensabkommen aufrecht zu erhalten. Wer einen Dialogprozess initiieren will, sollte die Konfliktparteien in Verhandlungen über eine friedliche Lösung einbeziehen. Zweitens: Wenn Konfliktparteien das erste Mal zusammengebracht werden, sollte dies auf neutralem Boden geschehen – im eigenen Land oder auch im Ausland. Außerdem muss deutlich werden, dass der Vermittler den Prozess erleichtert und die Begegnung aller am Konflikt beteiligter Parteien auf gleicher Ebene ermöglicht.

Drittens müssen die Gruppen oder Personen identifiziert werden, die den Friedensprozess torpedieren könnten. Ein Motiv für solche „Störenfriede“ ist der Eindruck, sie seien aus dem Prozess ausgeschlossen oder würden nicht gefragt. Sie können aber auch befürchten, dass eine Lösung des Konflikts für sie von Nachteil wäre. Zudem werden Konflikte, die lokal begrenzt scheinen, in den meisten Fällen von andernorts geschürt. Daher ist es wichtig, Beteiligte zu identifizieren, die möglicherweise nicht zu den lokalen Kräften gehören, aber trotzdem einen Anteil am Konflikt haben.

Verhandeln sollten nicht nur Politiker

Viertens muss ein Vermittler klar und konsequent vorgehen und mit voller Überzeugung hinter dem Prozess stehen, an dem er mitarbeitet. Er sollte an das glauben, was er tut, und darauf vertrauen, dass es zu den gewünschten Ergebnissen führen wird.

Solche Dialogprozesse sind zurzeit auf den Südsudan beschränkt. Die Erkenntnisse daraus lassen sich jedoch auf Situationen wie in Darfur anwenden. Dazu ist aber eine Gruppe nötig, die den Prozess anstößt und die Regierung davon überzeugt – Khartum verfolgt alle Initiativen dort mit Argwohn. Und vor allem müssen die Menschen bereit sein, über das Erlebte zu sprechen und eine Lösung zu finden, die die Konfliktparteien akzeptieren können.

Im Südsudan werden lokale Konflikte meist zwischen Volksgruppen ausgetragen, in Darfur hingegen zwischen Fraktionen der Befreiungsbewegungen sowie der Regierung. Doch ein Dialogprozess, der die Verhandlungen dadurch beeinflusst, dass er mehr Menschen und ihre Sichtweisen einbezieht, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg künftiger Verhandlungen. Wenn diese nur unter hochrangigen Politikern stattfinden, die so weit wie möglich ihre eigenen Interessen zu schützen versuchen, werden die Belange der Menschen, für die sie vorgeblich eintreten, nicht berücksichtigt.

Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner

Emmanuel LoWilla ist der Leiter von RECONCILE seit der Gründung dieser kirchlichen NGO 2003. Zuvor hat er für den Kirchenrat des Südsudan Versöhnungsprozesse an der Basis gefördert.

 

erschienen in Ausgabe 9 / 2008: Sudan: Krieg an vielen Fronten
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