Heftig fallen schwere Regentropfen auf die ausgedörrte Erde. Die Straßen von Rumbek, wo früher das Hauptquartier der südsudanesischen Volksbefreiungsarmee SPLM war, verwandeln sich schnell in eine Seenlandschaft: Bombenkrater, die die Angriffe sudanesischer Kampfjets überall hinterlassen haben, laufen binnen Minuten voll. Mehr als drei Jahre ist es her, dass das SPLM und ihre ehemaligen Todfeinde aus dem islamischen Norden in einem Friedensvertrag einen mehr als zwanzigjährigen Bürgerkrieg mit geschätzten zwei Millionen Toten und doppelt so vielen Vertriebenen beendet haben. Doch die 200.000-Einwohnerstadt Rumbek hat bis heute nicht eine asphaltierte Straße.
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In einem schmucklosen Flachbau treffen sich die Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen einmal die Woche, um sich mit der örtlichen SPLM zu beraten. Probleme gibt es genug: Wasser fließt nur an den weit verstreuten Handpumpen, Latrinen sind rar, an eine zentrale Stromversorgung ist nicht zu denken. Trotz Millionenhilfen hat sich die Stadt im Herzland der Dinka, Südsudans größter Bevölkerungsgruppe, kaum entwickelt. Nicht nur ausländische Helfer machen dafür eine Mischung aus Korruption und Unfähigkeit seitens der SPLM verantwortlich. „Wenn wir etwa über Probleme im Gesundheitssektor diskutieren, ist von den zuständigen Behörden nie jemand dabei“, berichtet ein Arzt, der seit drei Jahren für eine Hilfsorganisation in Rumbek arbeitet. „Da gibt es dieses große Missverständnis, so als wären wir dazu da, das Land aufzubauen und nicht, um der Regierung dabei zu helfen.“
Die herrschende Klasse bedient sich vor allem: Südsudans oberster Korruptionsbekämpferin Pauline Riak wurden im ersten Halbjahr 2008 14.000 Fälle von Korruption gemeldet. „Auf allen Ebenen der südsudanesischen Administration beobachten wir Diebstahl, anders kann man das nicht nennen“, sagt Riak. Rebecca Nyandeng, die Witwe des Befreiungshelden John Garang, hat erst kürzlich Südsudans Vizepräsident Riek Machar vorgeworfen, im Alleingang ausländische Investoren im Südsudan anzusiedeln, „um Kommissionen zu kassieren“.
Die Unterredungen mit den Parteisoldaten in Rumbek muten unterdessen an wie Sitzungen von Politbüros in längst vergangenen Zeiten. Die Helfer harren auf stapelbaren Plastikstühlen aus und lassen sich von zu Abteilungsleitern aufgestiegenen Ex-Rebellen erklären, was sie zu tun haben. Als ein UNICEF-Mann zu fragen wagt, warum das einzige Gymnasium der Stadt seit Wochen geschlossen ist, wird der SPLM-Vertreter aus dem örtlichen Bildungsministerium sauer: „Das ist doch Ihre Aufgabe als Vertreter humanitärer Organisationen, sich um solche Angelegenheiten zu kümmern.“ Oft schaffen es die Behörden monatelang nicht, Lehrern oder Soldaten Gehälter zu zahlen. Dass Hilfsorganisationen sich beim gleichen Treffen über fast tägliche Übergriffe von Bewaffneten in Uniform beschweren, überrascht da kaum. Die wenigen südsudanesischen Geschäftsleute haben sich längst daran gewöhnt, dass jeder Bewaffnete umsonst bedient werden muss. Ausländer beschweren sich über unausgebildete Ex-Soldaten, die wortwörtlich fürs Nichtstun bezahlt werden wollen. „Die denken, sie haben das Land befreit, und wir müssen sie jetzt dafür belohnen, der Staat macht es ja nicht“, schüttelt der deutsche Arzt seinen Kopf.
Während in Juba, der designierten Hauptstadt des Südsudan, immer mehr Landcruiser und Mercedes-Limousinen durch die Straßen rasen, sieht auf dem Land fast alles noch so aus wie im Krieg. Auf der Geschäftsstraße von Rumbek sitzen die Verkäufer vor fensterlosen Räumen aus unverputztem Beton, in denen Holzkohle oder Zementsäcke gestapelt sind. Bis Mai haben Hassan und John, zwei Kenianer, die ihre Nachnamen nicht nennen wollen, hier noch lachend eingekauft, die Waren auf ihren Truck geladen und sie für eine der vielen Hilfsorganisationen über die armseligen Straßen transportiert. „Aber dann haben uns Soldaten an einer Straßensperre aus dem Lastwagen gezwungen“, berichtet John, als könnte er es selbst noch nicht fassen. „Sie haben uns mit ihren Kalaschnikows bedroht, sind auf den leeren Wagen gestiegen und in Richtung Kaserne abgehauen.“ Ihren Truck haben die beiden Fahrer nie mehr gesehen. Der Wagen, so erfuhren sie später von angetrunkenen Soldaten in einer Kneipe, war nur wenige Stunden nach dem Überfall schon auf dem Weg nach Abyei an der Grenze zum Nordsudan – die Ladefläche vollgeladen mit Soldaten. Auch andere Trucks soll die ehemalige Rebellentruppe in Ermangelung eigener Fahrzeuge gekapert haben, um gegen die nordsudanesische Armee ins Feld ziehen zu können.
Bei den Kämpfen in der Stadt Abyei im Mai 2008 sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) rund hundert Menschen ums Leben gekommen, mindestens 60.000 wurden vertrieben. Zwar haben die vom islamischen Nationalkongress dominierte Regierung in Khartum und die SPLM Anfang Juni einen Waffenstillstand geschlossen, doch nur wenige Soldaten sind zurückgekehrt. Zu wichtig ist der umstrittene gleichnamige Distrikt, als dass eine Seite darauf verzichten würde. Obwohl die Stadt Abyei, die binnen weniger Wochen in Schutt und Asche gelegt wurde, seit dem Herbst von gemischten Polizeitrupps patrouilliert wird, verstecken sich immer noch Einheiten beider Armeen im Umland – mindestens 300, schätzt der sonst auf Optimismus bedachte UN-Sonderbeauftragte für den Sudan, Ashraf Qazi.
Bei dem brodelnden Konflikt geht es um Millionen: Unter Abyei lagert der Reichtum des Südsudan, Öl, das derzeit chinesische Firmen im Auftrag Khartums ausbeuten. Im Jahr 2011, so sieht es der Friedensvertrag vor, sollen die Bewohner darüber abstimmen, ob Abyei, der südlichste Distrikt der Provinz Süd-Kordofan, wie bisher dem Nordsudan oder aber dem Südteil angehören will. Kaum jemand zweifelt daran, dass die Mehrheitsethnie der Dinka Ngok sich für den Südsudan entscheiden wird. Sollte der Südsudan in der gleichen Abstimmung – wie erwartet – für die Unabhängigkeit stimmen, wären die Ölquellen für Khartum verloren. Um das zu verhindern, so glauben viele, wäre Khartum auch eine zweite Krise wie in Darfur recht.
Der SPLM-Generalsekretär Pagan Amum sieht bereits einen neuen Bürgerkrieg aufziehen: „Die Soldaten aus dem Norden haben seit Jahresanfang mehr als 100.000 Angehörige der Dinka Ngok vertrieben und ganze Dörfer niedergebrannt. Das sind ganz klar ethnische Säuberungen.“ Eine Volkszählung im April, die Grundlage für eine Volksabstimmung über die Zukunft von Abyei in drei Jahren, hatte die Regierung al-Bashir bereits behindert, indem sie arabischstämmige Missiriya-Reitermilizen mit Waffen ausrüstete und auf Feldzüge gegen die afrikanischen Dinka schickte. Das System ist erprobt: Die Bewaffnung der Dschandschawid-Milizen in Darfur, die für einige der schlimmsten Massaker in der westsudanesischen Krisenregion verantwortlich gemacht werden, läuft nach dem gleichen Schema. Anders als im Friedensvertrag 2005 vereinbart, weigert sich al-Bashir zudem, einen Schiedsspruch über die genauen Grenzen von Abyei zu akzeptieren, der die Ölfelder im Südsudan verortet. Der südsudanesische Präsidialminister Luka Biong warnt vor einer Eskalation. „Ich sehe nur Probleme, kurzfristig und langfristig – hier geht es um den wirklich entscheidenden Baustein für einen Frieden.“
Einer von al-Bashir im August eingesetzten Übergangsverwaltung für Abyei bringen viele Bewohner nichts als Misstrauen entgegen. Denn als Stellvertreter des neuen Gouverneurs Arop Mayak Monytoch, einem SPLM-Mitglied und Dinka-Ngok, hat Khartum ausgerechnet einen Missiriya ernannt. „Das kommt einer Kapitulation gegenüber dem Norden gleich“, wettert Arop Madut, ein südsudanesischer Abgeordneter aus der Region. In einer Resolution des Jugendbundes von Abyei heißt es: „Es ist eine beschämende Ernennung, ein Betrug an den Menschen in Abyei.“
Die aufgeheizte Stimmung lässt eine friedliche Lösung kaum möglich erscheinen. Zu viel steht für die Führer beider Seiten auf dem Spiel: Al-Bashir ist nach dem Vorstoß von Darfur-Rebellen bis nach Khartum im Mai und den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in den eigenen Reihen geschwächt und muss Stärke zeigen, um nicht von der Macht vertrieben zu werden. Schon lacht sich die islamistische Opposition im Nordsudan ins Fäustchen. „Jeder mit einem Gewehr kann offenbar überall hingehen und Städte erobern, selbst die Hauptstadt. Das ist sehr gefährlich für das ganze Land“, so ihr Anführer Hassan al-Turabi.
Auch das SPLM ist heillos zerstritten. Hinter den Kulissen ihres Parteitags im Juni, der in einer eigens errichteten Versammlungshalle für mehr als tausend Delegierte stattfand, wurde vor allem darüber diskutiert, ob man einen eigenen Staat Südsudan anstreben oder in der losen Allianz mit dem Norden verbleiben will – unter anderem wegen der geschätzt zwei Millionen Südsudanesen, die in und um Khartum leben. Dass Sudans Vizepräsident Salvaa Kiir Anfang August erklärte, er werde bei den für 2009 geplanten Wahlen gegen al-Bashir antreten, gilt als Versuchsballon für einen „neuen“ Gesamtstaat Sudan, auf den vor allem die USA drängen. „Hinter der Entscheidung, al-Bashir anzuklagen, stecken gewisse westliche Kräfte“, giftet Ghazi Salah el Deen, einer von al-Bashirs engsten Vertrauten. „Die Entscheidung des SPLM, Kiir zum Präsidentschaftskandidaten zu ernennen, können wir nicht losgelöst davon betrachten.“ Ein SPLM-Delegierter sieht zudem wirtschaftliche Interessen als Grund der Kandidatur: „Es gibt eine amerikanische Holding, die vom Armeechef des SPLM selbst darin unterstützt wird, nach der Unabhängigkeit nicht weit von Abyei nach Öl zu bohren.“
Für den wahrscheinlichen Fall, dass Khartum die Selbständigkeit des Südsudan militärisch verhindern will, scheint die SPLA, der militärische Arm der SPLM, gewappnet zu sein. Dass private Firmen im Auftrag der US-Armee die ehemaligen Rebellen aufrüsten, weiß in Rumbek jeder. Hier sitzt die zum Rüstungskonzern Lockheed Martin gehörende PAE Group. Ein weiteres Unternehmen, das der US-Armee nahe steht, ist DynCorp, deren Vizepräsident vor zwei Jahren öffentlich bekannt gab, man werde aus den Guerillakämpfern eine professionelle Armee machen. Die Kämpfe in Abyei, so glaubt ein UN-Mann in Rumbek, seien erst der Anfang. „Egal wie schwach die SPLA sein mag: Die USA werden nicht zulassen, dass Khartum einen neuen Krieg für sich entscheidet.“