Ja, denn Gustavo Petro zählt zu der sozialen Gruppe, die bisher keine Machtpositionen innerhalb des klassischen politischen Apparates erreichen konnte. Das liegt daran, dass ehemalige Guerillakämpfer und sogenannte Linke von den herrschenden Eliten und der konservativen Kultur klar abgewertet wurden. Zur Zeitenwende gehört aber auch die Ernennung seiner Vizepräsidentin, Francia Márquez, eine Afrokolumbianerin.
Inwiefern?
Ihre Wahl zur Vizepräsidentin und Gleichstellungsministerin ist eine klare Botschaft in die Gesellschaft hinein, an all diejenigen, die bisher ausgeschlossen waren, die keine Stimme hatten. Unterstrichen wird dieser Aspekt dadurch, dass Petro zu seiner Amtseinführung Gäste aus sozial marginalisierten Gruppen eingeladen hat. Es ist deutlich: Petro setzt auf ein anderes, ein integratives Gesellschaftsmodell, das bisherige Diskriminierungen abbaut, die Beteiligung von ethnischen Minderheiten und von Frauen vorantreibt. Dennoch wird es notwendig sein, alle mitzunehmen, damit seine Überzeugungen auch Mehrheitspositionen werden. Nur so kann er bisher ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen den Zugang zu politischen Entscheidungen materiell eröffnen, nicht nur symbolisch.
In seinem Entwicklungsplan nimmt die Energiewende großen Raum ein. Petro möchte, dass Kolumbien den Übergang schafft von einem von Kohle und Öl abhängigen System hin zu den erneuerbaren Energien.
Kolumbien ist als Kohle-Exporteur in einer sonderbaren Lage: Von dem geförderten fossilen Rohstoff werden gerade einmal acht Prozent im eigenen Land genutzt, die Produktion ist klar auf den Export ausgerichtet, mit dem aber gleichzeitig 32 Prozent der Deviseneinnahmen des Landes erzielt werden. Es besteht also eine finanzielle Abhängigkeit für ganz Kolumbien, die sich nicht sofort beenden lässt.
Die Abhängigkeit gibt es auch von anderer Seite: Angesichts des Ukraine-Krieges hatte Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem vorherigen kolumbianischen Präsidenten Iván Duque gesprochen, um den Kohle-Export nach Deutschland zu steigern. Laut Statistischem Bundesamt wurden im vergangenen Jahr 1,78 Millionen Tonnen aus Kolumbien importiert, und allein im ersten Quartal dieses Jahres lagen die Einfuhren bei mehr als 687.000 Tonnen. Wie also kann Petro die gewünschte Abkehr von der Kohle erreichen?
Petro hat deutlich gemacht, dass er sowohl bei der Kohle als auch beim Öl keine weiteren Explorationsvorhaben mehr genehmigen will. Ziel ist es außerdem, den staatlichen Energiekonzern Ecopetrol dazu zu bringen, sich viel intensiver als bislang auf dem Feld der erneuerbaren Energien zu engagieren, insbesondere bei Solar- und Windparks. Daraufhin haben die Vorstände von Ecopetrol eben mal noch ihre Amtszeiten auf vier weitere Jahre verlängert, weil sie ihre Machposition erhalten und den Umstieg auf erneuerbare Energien so lange wie möglich hinauszögern wollen. Man sieht also: Es zeichnen sich Auseinandersetzungen ab.
Handelt es sich um eine unlösbare Aufgabe?
Es ist in jedem Fall ein Transformationsprozess, der nicht nur eine Amtszeit in Anspruch nehmen wird. Gleichwohl ist nicht abzusehen, dass Petro jetzt kurzfristig alle Kohleminen schließen wird. Erst einmal soll der Tagebau reduziert werden. Das sind erste Schritte. Und es geht darum, dass ein Ausgleich für die dort Beschäftigten im Sinne von alternativen Beschäftigungsverhältnissen gefunden wird. Kurzum: Es wird ein Prozess sein, der sehr viel politisches und soziales Fingerspitzengefühl braucht.
Laut der Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) sind in Lateinamerika einige der dynamischsten Märkte für erneuerbare Energien zu finden. Welche Perspektiven gibt es für Kolumbien?
Kolumbien hat aufgrund seiner Lage und der Verfügbarkeit von grünen Energieträgern wie Sonnen-, Wasser- und Windkraft eine ideale Basis für den Umstieg weg von fossilen Energieträgern. Insbesondere der grüne, der kohlenstoffarm produzierte, Wasserstoff kann für das Land eine absolute Zukunftstechnologie sein, wenn die neue Regierung entsprechende Prioritäten in der Investitions- und Technologiepolitik setzt.
Kann von Gustavo Petro und seiner Regierung auch ein progressives Zeichen an andere lateinamerikanische Länder ausgehen?
Die Frage dabei ist, was ist „progressiv“, was ist „links“? Die „politische Mitte“ in Kolumbien ist angesichts der politischen Polarisierung ohnehin seit Jahrzehnten schwer zu bestimmen. Das zeigt sich deutlich an den Wahlen: Wir haben immer so knappe Entscheidungen, einmal sind 51 Prozent dort und 49 Prozent im anderen Lager zu verzeichnen. Es kommt darauf an, diese Mitte erst wieder zu bilden, die Bereitschaft zum Konsens und zum Kompromiss wieder herbeizuführen. Ähnlich ist es in anderen lateinamerikanischen Ländern, wo es eine große Varianz bei „links“ und „rechts“ gibt und die Wege der Linken oftmals sehr national geprägt sind. Gleichwohl hat Petro deutlich gemacht, dass er sich eine Zusammenarbeit erhofft, unter Umständen mit einem wiedergewählten Präsidenten Lula in Brasilien, mit der chilenischen Regierung und anderen, die versuchen, diesen Weg einer stärkeren partizipativen Ausrichtung zu gehen.
Das Gespräch führte Verena Schmidt.
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