„Afrika versucht einen Mittelweg zu finden“

Russland - Afrika
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat seine Afrika-Reise beendet: Was haben die Regierungen dort von seinem Besuch erwartet, wie gehen sie mit dem Krieg in der Ukraine um? Fragen an Priyal Singh vom südafrikanischen Thinktank ISS.  

Priyal Singh forscht am Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Pretoria. Seine Schwerpunkte sind Friedenseinsätze und Friedenskonsolidierung sowie internationale Beziehungen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow beendet am heutigen Donnerstag in Äthiopien seine Afrika-Reise. Was war der Zweck seines Besuchs? Und was haben die afrikanischen Länder von ihm erwartet? 
Der Besuch hat vor dem Hintergrund einer zunehmenden geopolitischen Rivalität zwischen Ost und West stattgefunden. Natürlich will Russland seine Beziehungen mit Afrika vertiefen, aber ich denke, der eigentliche Grund für Lawrows Besuch war eher symbolischer Natur. Russland versucht, seine sich selbst auferlegte Isolation zu überwinden und die wirtschaftliche Isolation aufgrund der westlichen Sanktionen mit der Suche nach neuen Partnern und Märkten zu lindern. Aber vor allem sucht es nach politischer Unterstützung für sein Handeln.

Die afrikanischen Länder versuchen derweil, ihre Partnerschaften breiter aufzustellen. Sie wollen ihre Beziehungen zu möglichst vielen Akteuren ausbauen, weil sie drängende Probleme und wirtschaftliche Sorgen etwa in Bezug auf Ernährungssicherheit und Sicherheit haben. 

Lawrow hat Ägypten, Äthiopien, die Republik Kongo und Uganda besucht: Diese Länder haben ja in der UN-Generalversammlung im März zum Teil ja auch für die Ukraine gestimmt...  
Ja, die Auswahl der Länder ist interessant. Ägypten stimmte sogar für die ersten beiden UN-Resolutionen, die die Invasion verurteilt beziehungsweise auf die humanitären Folgen des Konflikts hingewiesen haben. Allerdings eint diese Länder, dass sich alle entweder enthalten oder gegen die dritte Resolution gestimmt haben, mit der Russland aus dem UN-Menschenrechtsrat ausgeschlossen werden sollte. 

Ägypten ist vom Krieg besonders betroffen, da es sehr stark von Getreideimporten aus Russland und der Ukraine abhängig ist. Gleichzeitig ist Ägypten der größte Abnehmer von Waffen aus Russland. Das war aber nicht immer so... 
Ägypten ist ein sehr interessanter Fall: Nach dem Arabischen Frühlings im Jahr 2011 haben der Waffenhandel und die Sicherheitskooperation mit Russland drastisch zugenommen. Davor hatte Ägypten unglaublich viel Hilfe von den USA erhalten. Ägypten spielt nun eindeutig eine Rolle in diesem erneuten Kalten Krieg. Aber durch seine Geschäfte mit Russland in den letzten Jahren verdirbt es sich in gewisser Weise das Engagement mit den USA.

Sie sprechen von einem neuen Kalten Krieg. Wie stehen die afrikanischen Länder dazu?
Der französische Präsident Emmanuel Macron ist derzeit ja ebenfalls in Afrika und vertritt klar die Ansicht, dass die unsichere Ernährungslage in Afrika auf Russland zurückzuführen ist. Natürlich kontert Russland mit seiner eigenen Argumentation. Für uns ist es interessant zu sehen, ob sich die afrikanischen Staaten einer dieser konkurrierenden Sichtweisen anschließen oder ob sie ihre eigene aufzubauen. Ich denke, die meisten afrikanischen Staaten versuchen, einen Mittelweg zu finden. Niemand kann leugnen, dass die russische Invasion die Nahrungsmittelversorgung und die Ernährungssicherheit in Afrika beeinträchtigt. Andererseits zeigen die afrikanischen Staaten aber auch mit dem Finger auf die vom Westen verhängten Sanktionen, die die Lage verschlimmert haben. Die afrikanischen Regierungschefs wollen in dieser Situation sicherstellen, dass all ihre Belange wie Nahrungsmittelversorgung, Energie oder Sicherheit von den führenden Politikern der Welt berücksichtigt werden. 

Welche Art von Beziehung haben die verschiedenen afrikanischen Länder zu Russland? 
In wirtschaftlicher und handelspolitischer Hinsicht ist Russland in Afrika ein sehr kleiner Akteur im Vergleich zu China, Europa, den Vereinigten Staaten, Indien oder sogar der Türkei. Es ist überraschend, dass Russland vor allem in Afrika südlich der Sahara einen sehr großen politischen Einfluss hat. Den größten Teil des Handels betreibt Russland mit nordafrikanischen Ländern wie Ägypten, Marokko und Algerien. 

Und profitiert die normale, die arme Bevölkerung in diesen Ländern von diesen Beziehungen? Engagiert sich Russland zum Beispiel in der humanitären Hilfe, im Bildungs- oder Gesundheitssystem? 
Russland konzentriert sich vor allem auf die Interessen der politischen Eliten institutionell schwacher, undemokratischer Gesellschaften in Afrika. Was die offizielle Entwicklungshilfe angeht, ist Russland ein sehr unbedeutender Akteur, es baut keine Infrastruktur oder ähnliches auf. Und im Bildungsbereich vergibt Russland lediglich Stipendien für afrikanische Studenten in Moskau. Eine ganze Menge Afrikaner studiert in Russland. 

Und wie nehmen die afrikanischen Bürger den Einfluss Russlands in Afrika wahr?
Abgesehen von Südafrika kann ich nur spekulieren. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass die meisten afrikanischen Bürger dem Konflikt in der Ukraine und dem Einfluss Russlands in Afrika ziemlich gleichgültig gegenüberstehen. Die meisten Afrikaner haben wirklich dringendere, alltägliche Probleme zu bewältigen, zum Beispiel jeden Tag etwas zu essen zu haben. 

In Südafrika haben viele Menschen öffentlich gegen die russische Invasion protestiert, während die Regierung nicht für die UN-Resolution gestimmt hat, die diese verurteilt. Hat die Bevölkerung eine andere Meinung zum russischen Einfluss in Afrika hat als ihre Staatsoberhäupter? 
Es gehört zu Russlands Strategie, sich an Afrikas starke Männer zu wenden, um Regime und politische Eliten zu stützen. Ich denke, Südafrika ist ein Ausreißer in dieser Hinsicht, denn Südafrika ist eine Demokratie mit recht starken Institutionen. Aber die Regierungspartei, der ANC, hat starke historische Verbindungen zur ehemaligen Sowjetunion. Deshalb hat sich Südafrika bemüht, Russland als engagierten Partner wahrzunehmen. Wir als zivilgesellschaftliche Gruppen haben der Regierung oft versucht zu sagen, dass China und Russland keine guten Partner für die Verfolgung der internationalistischen Agenda Südafrikas sind. Denn sie sind keine Demokratien, sie sind illiberale Länder. Letzten Endes entscheidet aber die Regierungspartei über die Außenpolitik Südafrikas. Der ANC sieht Russland als einen wertvollen Partner, ob uns das gefällt oder nicht.  

Und wen sieht Russland als wertvollen Partner in Afrika? 
Ich denke, dass Russland Südafrika, Kenia und Nigeria als wertvolle Partner ansieht, gemessen an der Größe des Marktes und der Handelsbeziehungen. Aber wenn es um Moskaus strategische politische Agenda für den Kontinent geht, sind der Sudan, die Zentralafrikanische Republik oder Mali interessanter. 

Es scheint, als stünden viele afrikanische Länder zwischen den Fronten: Einerseits brauchen sie die Hilfe des Westens, andererseits wollen sie ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland nicht abreißen lassen. 
Ja, die Länder befinden sich in einer Zwickmühle. Das gibt es sogar Parallelen zu Deutschland, das so sehr auf Gas und Öl aus Russland angewiesen ist. Viele afrikanische Länder sind von Getreide und Düngemitteln aus Russland abhängig – und die Afrikaner spüren die Auswirkungen von gestiegenen Preisen. Ich denke, die afrikanischen Staatschefs versuchen deshalb einen pragmatischen Mittelweg zu finden: Sie wollen die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts so gering wie möglich halten und sie versuchen dies, indem sie Beziehungen auch über die bestehende geopolitische Kluft hinweg pflegen. Aber es ist ein sehr schwieriger Balanceakt, den die afrikanischen Staaten vollziehen müssen.  

Und wie ist die Position der Afrikanischen Union? 
Nach der russischen Invasion in der Ukraine gab die Afrikanische Union eine Erklärung ab, in der sie Russland und alle internationalen Akteure zur Einhaltung des Völkerrechts aufrief. Das wurde von Russland sehr negativ aufgenommen. Deswegen hält die Kommission der Afrikanischen Union sich jetzt lieber zurück und überlässt es den einzelnen Mitgliedstaaten, sich zu äußern. Aber die afrikanischen Staatsoberhäupter bewegen sich wirklich auf einem wackeligen Mittelweg. 

Das Gespräch führte Melanie Kräuter. 

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