Doch jetzt zeigt sich, dass Abiy die Geister nicht so schnell wieder loswird, die er mit seiner Entscheidung für den Krieg gerufen hat. Je stärker er und Tigrays Führung sich einander annähern, desto stärker verfolgen ihre jeweiligen Verbündeten eigene Interessen – und drohen die Gewalt immer wieder neu anzufachen. Mitte Juni haben vermutlich mit Tigray verbündete Milizen aus Oromo in einem Dorf mehrere Hundert Angehörige der Volksgruppe der Amhara getötet. Diese Provinz stand bisher an der Seite von Abiy und hat den Krieg genutzt, Gebiete im Westen von Tigray zu besetzen und die Bevölkerung dort zu vertreiben. Der Angriff der Oromo dürfte amharische Hardliner bestärken, Abiys Annäherung an Tigray nicht zu folgen und nicht aus West-Tigray zu weichen. Das macht einen Friedensschluss mit Tigray praktisch unmöglich – was wiederum das Interesse der radikalen Oromo-Nationalisten ist, die weiter mit Gewalt für mehr Autonomie kämpfen wollen.
Wenn Abiy Ahmed Frieden mit Tigray will, muss er sich nun also mit seinem einstigen Verbündeten Amhara anlegen – und mit Äthiopiens Nachbarn Eritrea, das Abiy einst ebenfalls eingeladen hat, an seiner Seite gegen Tigray zu kämpfen, und das heute fest an der Seite Amharas steht. Der Premierminister galt bei seinem Amtsantritt als Hoffnungsträger, er bekam bald darauf den Friedensnobelpreis. Nach dem Angriff auf Tigray war er für viele dann der Kriegstreiber, der alle an der Nase herumgeführt habe. Heute muss man wohl wieder darauf hoffen, dass er mit seinem Kurs Erfolg hat, um noch schlimmere Gewalt zu verhindern.
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