Die „Erklärung zur Lehre von der ‚Russischen Welt‘ (Ruskij Mir)“ ist zuallererst eine theologische. Nach einer langen Einleitung folgen sechs Thesen zu Begriffen wie dem Reich Gottes, der Unterscheidung göttlicher und weltlicher Macht, zur Verschiedenheit menschlicher Identitäten, zu Nächstenliebe, Aufrichtigkeit und Wahrheit. Wären diese Thesen vor einem halben Jahr veröffentlicht worden, hätten sie allenfalls eine innerorthodoxe Diskussion belebt. Kurz nach Beginn des russischen Krieges in der Ukraine sind sie aber ein Politikum geworden.
Anfang März hat die in Griechenland ansässige Volos-Akademie für orthodoxe Theologie zusammen mit dem Orthodox Christian Studies Center der Universität Fordham (USA) namhafte orthodoxe Theologen und Theologinnen aus aller Welt gebeten, theologisch auf die Äußerungen von Patriarch Kyrill I., dem Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK), zum Krieg zu reagieren. Dieser hatte in Predigten von einem metaphysischen Kampf gegen böse Mächte gesprochen, gegen Homosexualität gewettert und keinen Zweifel daran gelassen, dass das russisch-orthodoxe Christentum vor den dekadenten Auswüchsen eines korrumpierten Westens geschützt werden müsse.
Gegen diese antiwestliche Haltung, die in der Orthodoxie nicht neu ist, und gegen die ebenso alte Theorie von der Russischen Welt (Ruskij Mir) wendet sich nun die Erklärung. Hinter der Idee einer Ruskij Mir steht die Vorstellung einer jahrhundertealten kulturellen Einheit von Russen, Belarussen und Ukrainern, manche zählen auch noch Moldawier und Kasachen dazu. Diese Idee der russischen Brudervölker hat in den letzten Jahrzehnten eine Ideologisierung erfahren und dient mittlerweile innerhalb der ROK zur Rechtfertigung des Krieges in der Ukraine.
Das Papier richtet sich nicht nur an russische Orthodoxe
„Wir wollten deutlich machen, dass diese Ansichten den Prämissen der orthodoxen Theologie diametral widersprechen“, sagt Georgios Vlantis, Mitarbeiter der Volos-Akademie und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bayern, der an dem Text mitgewirkt hat. „Es ist eine Irrlehre, vom heiligen Rus als einer kirchlich unbedingt zu unterstützenden Einheit russischer Völker zu sprechen.“ Aber das werde in den Kirchen in Russland gepredigt. „Nationalismus ist ein Krebsgeschwür der gesamten Orthodoxie“, sagt Vlantis.
Das Papier richte sich deswegen nicht allein an die ROK, sondern an die – von den Kirchenoberen meist tolerierten – nationalistischen Strömungen innerhalb vieler orthodoxer Kirchen. Es stehe auch dem ukrainischen Nationalismus kritisch gegenüber. Man hoffe, dass es zu einer kritischen und selbstkritischen Diskussion innerhalb der weltweiten Orthodoxie führe. Mittlerweile haben weltweit knapp 1500 Personen die Erklärung unterschrieben, die meisten von ihnen orthodoxe Theologinnen und Theologen.
Verstörende Propagandaschlacht
Dass auch nicht orthodoxe Kirchenleute zu den Unterzeichnern gehören, überrascht Nikolaj Thon. Der Theologe leitet in der Berliner Diözese der ROK die Abteilung für Zwischenkirchliche Beziehungen. Er spricht von einer Propagandaschlacht und einem Frontalangriff auf seine Kirche.
Es gebe derzeit eine massive Front gegen die ROK, die mit wenigen Ausnahmen auch von evangelischer und katholischer Seite mitgetragen werde. „Es ist erschütternd, wie das Werk von Jahrzehnten, in denen wir miteinander um Verständigung gerungen haben, binnen weniger Wochen völlig zerschlagen wird“, sagt Thon. „Es ist bestürzend, wie viele Leute in Deutschland sich bis vor kurzem noch stolz auf ihre guten Kontakte zur ROK berufen haben. Jetzt aber wenden sie sich sehr schnell ab.“ Natürlich dürfe jeder Kritik anmelden. Es sei aber verletzend und verstörend, wenn die ROK als „eine Schande für die Kirchen“ bezeichnet und Patriarch Kyrill das Christsein abgesprochen werde. „Nur wenige unserer sogenannten Freunde und Experten haben wirklich Ahnung vom Funktionieren der orthodoxen Kirche“, sagt Thon.
Bewusst gewählte Parallelen zur Barmer Erklärung
Insbesondere in evangelischen Kreisen in Deutschland wird das Papier mit der Barmer Erklärung verglichen, mit der die Bekennende Kirche 1934 ihre Kritik am Nationalsozialismus ebenfalls in sechs Thesen theologisch begründete. Vlantis bestätigt, dass die Autorinnen und Autoren der Erklärung gegen Ruskij Mir bewusst inhaltliche und formale Parallelen zu diesem Dokument gesucht haben. „Gleichzeitig sind uns aber auch die Unterschiede bewusst. Wir wollen die Nazi-Verbrechen nicht relativieren. Wir wollten aber einen Anschluss schaffen an eine Tradition der politischen Theologie und haben einen Wortschatz gewählt, der im Westen verstanden wird.“
Für den Theologen Nikolaj Thon dagegen ist es „verstörend, dass meine Kirche damit in den Zusammenhang mit dem Nazi-Terror gestellt wird“, zumal das Papier einem Vergleich mit Barmen nicht standhalte. „Die Bekennende Kirche war damals Teil der Kirche in Deutschland. Die Barmer Erklärung wurde von Theologen in Deutschland und nicht Leuten aus dem Ausland formuliert.“
Theologischer Frontalangriff auf Patriarch Kyrill I
Nur ein Hinweis: Im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt ist zur Predigt Kyrills I. vom 6. März 2022 über die Metaphysik des Putin-Krieges ein kritischer Artikel erschienen, der auch online zugänglich ist:
„Religion im Dienst des Krieges - Die abscheuliche Wiederkehr der theologischen Ursünde“
DtPfrBl., Jg. 122, Heft 7, Speyer, 2022, S. 399-403.
http://www.deutsches-pfarrerblatt.de
http://www.pfarrerverband.de/Pfarrerblatt
Verhalten und Glaube von Patriarch Kyrillo I.
Patriarch Kyrill I. hat nichts christliches in seinem Fühlen und Glauben. Wo steht in der Bibel geschrieben:
„ Du sollst deinen Nächsten, der dich nicht angegriffen hat, abschlachten lassen!“ „Du sollst unschuldige Menschen vorsätzlich verhungern und erfrieren lassen.“
Was der christlich definierte Gott von seinem Verhalten hält, interessiert ihn offensichtlich nicht im geringsten. Es ist schön, dass es schon Widerstand gibt.
Freundliche Grüße
Marie-Luise Spandow
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