Gerne würde Papy Koleva die Strecke öfters fahren. Bezahlt wird er schließlich pro Tour und nicht für die Zeit, die er mit seinem LKW über die staubige Piste holpert. Aber in dem Zustand, in dem sich die euphemistisch so bezeichnete Nationalstraße 4 von Kisangani nach Beni in den Osten der Demokratischen Republik Kongo befindet, schafft es der 37-Jährige nur einmal im Monat hin und zurück. Für die 755 Kilometer lange Strecke brauche er mit seinem alten Mercedes-LKW vier Tage: zwei für die ersten 530 Kilometer bis nach Mambasa, dann habe er noch mehr zu kämpfen. „Da brauche ich mindestens zwei Tage“, sagt er.
Es ist Samstag, er sitzt in einem Geschäftsviertel in Kisangani und sieht die Leute den Laderaum mit Getränkekisten und Gemüse beladen. Der Weg nach Beni wird ihn am Montag durch den Urwald führen. Wenn es regnet, verwandelt sich die Straße in Matsch. LKW-Fahrer wie er rufen immer wieder Männer der Umgebung herbei, die helfen, die Fahrzeuge heraus zu manövrieren. „Man muss Bretter suchen, sie dort verlegen, wo Reifen passieren können.“
Koleva lebt in Beni, hat dort Frau und zwei Kinder und nimmt es für das Geld in Kauf, selten bei ihnen zu sein. Er wirkt, als würde ihn so schnell nichts aus der Fassung bringen. Aber das, was er auf der miserablen Piste schon erleben musste, das empört ihn. „LKWs kippen häufig um“, sagt er über die Fahrzeuge von Kollegen, an deren Wracks er bereits vorbeigefahren ist. Und das in einem Gebiet, in dem Rebellen ihr Unwesen treiben. Dass Koleva selbst noch nichts zugestoßen ist, führt er nicht auf sein Fahrvermögen zurück. „So etwas passiert“, sagt er über die Unfälle. „Es ist häufig nichts als Gottes Gnade, die uns durchfahren lässt.“
Eigentlich sollten derlei Sorgen der Vergangenheit angehören. Im Jahr 2008 hat die Demokratische Republik Kongo unter dem damaligen Präsidenten Joseph Kabila einen Deal mit chinesischen Firmen abgeschlossen – den „Vertrag des Jahrhunderts“, wie es in kongolesischen Medien hieß. In einer Mine im Süden des Landes dürfen die Firmen jährlich 400 Millionen Tonnen Kupfer und Kobalt ausheben und sollten im Gegenzug insgesamt 3 Milliarden US-Dollar investieren, um die marode Infrastruktur des Landes bis 2023 auf Vordermann zu bringen. Unter anderem sollten 7218 Kilometer Straßen erneuert werden, auch die Strecke zwischen Kisangani und Beni hätte asphaltiert werden sollen.
Windige Geschäfte mit dem Präsidenten
Wer den Minensektor im Kongo kennt, den wundert es nicht wirklich, dass aus den vielen Vorhaben bislang nicht viel geworden ist. Etliche Firmenbosse und Staatschefs haben mit Präsident Kabila windige Geschäfte geschlossen. Die „Paradise Papers“ brachten im Jahr 2017 ans Tageslicht, wie zum Beispiel der Israeli Dan Gertler Deals für den Schweizer Rohstoffgiganten Glencore eingefädelt hatte – zu einem Bruchteil des Preises, der für die Schürfrechte als fair erachtet wurde. Im vergangenen Jahr haben die „Congo Hold-Up“-Leaks erneut gezeigt, wie Investitionen nur die Taschen einer Clique um Kabila gefüllt hatten.
Kabilas Nachfolger Félix Tshisekedi hat daher im Mai vergangenen Jahres in Kolwezi, dem Herzen des rohstoffreichen Kupfergürtels im Süden des Landes, öffentlich gesagt: „Es ist Zeit, dass das Land seine Minenverträge nachjustiert, im Sinne von Partnerschaften, bei denen es nur Gewinner gibt. Es ist nicht normal, dass sie die bereichern, mit denen der Staat Verträge geschlossen hat, während die Bevölkerung in Armut verharrt.“
Tshisekedi war durch einen Handel mit Kabila an die Macht gekommen, hat sich aber inzwischen aus dessen Kontrolle befreit (vgl. „welt-sichten“ 4/2021). Er hat erkannt, wie abhängig die Industrienationen für das Gelingen der Energiewende und die Digitalisierung vom Kongo sind. Das Land fördert zwei Drittel der globalen Produktion von Kobalt, ohne das gängige Batterien für Autos und Elektronikgeräte nicht auskommen. Als „strategischen Rohstoff“ stuft das Land Kobalt nun ein – auch um höhere Lizenzgebühren einzufahren. Im Süden des Landes will Tshisekedi nun eine Pilotfabrik zur Weiterverarbeitung des Erzes hochziehen, um Gewinne aus der Batterielieferkette nicht länger allein dem Ausland zu überlassen.
Bis heute fragen sich nichtstaatliche Organisationen (NGOs) und Beobachter des Rohstoffgeschäfts jedoch, was genau er mit jener Nachjustierung meint, wen sie treffen soll, wer sie umsetzen und wer davon profitieren soll. Dazu schweigt Tshisekedi seit seinem Auftritt in Kolwezi. Nach und nach melden Wirtschaftsagenturen, welche Verträge nun unter die Lupe genommen werden. Darunter ist der Deal mit den chinesischen Investoren, der dem Land im Gegenzug großflächig Infrastruktur bescheren sollte. „In enger Partnerschaft mit den Chinesen selbst“ würde dieser nun aufs Neue untersucht, verriet Finanzminister Nicolas Kazadi Journalisten von Reuters. Details auch hier: Fehlanzeige.
Koleva, der LKW-Fahrer in Kisangani, wartet sehnsüchtig darauf, dass die versprochene Asphaltstraße gebaut wird. Ein neuer Anlauf des Präsidenten, die chinesischen Investoren zur Einhaltung der Vertragspflichten zu drängen, könne im Osten des Landes buchstäblich über Leben und Tod entscheiden, sagt er: „Gibt es eine gute Straße, dann können wir direkt weiterfahren, wenn es irgendwo eine Attacke gibt.“ Und hohe Transportkosten sind ein Preistreiber für Nahrungsmittel in der Region.
Wenig Straßen und Eisenbahnstrecken, viele Fußballstadien
Laut einer Analyse des Vertrags mit China, die zwei kongolesischen Autoren für die internationale „Initiative für die Transparenz in den Extraktiven Industrien“ (ITEI) gemacht haben, haben seit 2008 chinesische Firmen 43 Infrastrukturprojekte umgesetzt, oft jedoch nur kurze Abschnitte der geplanten Strecken gebaut und modernisiert. Für die 883 Kilometer der Nationalstraße 4, die durch Kisangani und Beni führt, sind lediglich 60 Kilometer als fertig vermerkt. Viele der priorisierten Straßen und Eisenbahnstrecken wurden gar nicht erst angegangen. Pikant auch: Nur 15 der umgesetzten Projekte finden sich überhaupt im ursprünglichen Vertrag. 28 Bauvorhaben, darunter auffällig viele Fußballstadien, wurden nachträglich anstelle anderer realisiert. „Es stellt sich die Frage, wie und von wem diese Projekte ausgewählt wurden“, beklagen die Autoren.
Autor
Jonas Gerding
ist freier Journalist und lebt in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Er berichtet vor allem über Themen wie Klimawandel, Energiewende und Rohstoffe, die es dafür braucht.Mayani vom Carter Center begrüßt die Ankündigung Tshisekedis, die Minenverträge zu überprüfen. Er sagt jedoch auch: „Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass der Ankündigung keine konkreten Taten gefolgt sind.“ Tatsächlich ist über den Fall von Sicomines öffentlich nichts bekannt außer den vagen Worten des Finanzministers, der versprochen hat, den Vertrag neu zu begutachten. Auf Nachfrage sagen Medienverantwortliche im Präsidialamt knapp, dass zu Neuverhandlungen keine Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden können. Und auch bei Sicomines antworten sie auf Interviewanfragen nicht.
Keine präzise Koordination, kein kohärentes Konzept
Fabien Mayani leitet in Lubumbashi für die US-amerikanische NGO Carter Center das Programm für Regierungsführung im Bereich der Extraktiven Industrien. Seit 15 Jahren verfolgt er, was sich im Minensektor tut, und ist bestens mit lokalen Organisationen vernetzt. „Man sollte erst einmal einen Fahrplan aufstellen, der eine Orientierung gibt, wie die Neuverhandlung ablaufen soll, was sie überhaupt zum Ziel hat und wie der Kongo das erreichen soll“, fordert er. Das Präsidialamt und Ministerien setzen Ad-hoc-Kommissionen auf, die sich einzelne Verträge vornehmen, berichtet er. „Aber das läuft ohne klare und präzise Koordination ab.“
Eine umfassende Neuverhandlung unfairer Verträge, wie manche Medien Tshisekedis Vorgehen beschreiben, sähe anders aus, meint Mayani und verweist auf eine Kommission, die im Jahr 2008 vom kongolesischen Staat ins Leben gerufen wurde. Damals nahm sich das Land die Rohstoffdeals vor, die während der Wirren der Kongo-Kriege um die Jahrtausendwende abgeschlossen worden waren. Die Verantwortlichen analysierten alle Verträge und sortierten sie in solche, die zu annullieren, zu überarbeiten oder zu akzeptieren seien. Das Problem sei, „dass viele der Empfehlungen der Kommission nicht vollständig umgesetzt wurden“, sagt Mayani.
Heute ist es in mancher Hinsicht genau anders herum: Es mangelt an einem kohärenten Konzept – dafür werden erste Ergebnisse vermeldet. Im Februar verkündete das Justizministerium eine Einigung mit Dan Gertler, dem israelischen Geschäftsmann, der unter Kabila allerlei Verträge mit seinen Firmen und ausländischen Investoren eingefädelt hatte. Zwei Ölförderblöcke im Osten des Landes würden an den kongolesischen Staat zurückgehen sowie Lizenzgebühren aus einer Mine im Süden. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass die Initiative von Dan Gertler selbst ausgegangen ist, denn die USA haben ihn für seine korrupten Geschäftspraktiken auf Sanktionslisten gesetzt. Gertler, sagt Mabi Mulumba, ehemaliger Finanzminister des Landes und Wirtschaftsprofessor in Kinshasa, „war erst durch den Druck zum Verhandeln bereit“.
„Man sollte erfahren dürfen, wie die Verhandlungen laufen“
„Davon haben wir erst erfahren, als die Verhandlung bereits abgeschlossen war“, sagt Mayani über die Gespräche mit Gertler. „Le Congo N’est Pas A vendre“, ein Zusammenschluss aus NGOs – der Name bedeutet „Der Kongo steht nicht zum Verkauf“ –, fordert seither vergebens die Veröffentlichung, um derlei Prozesse kritisch zu begleiten und sicherzustellen, dass das Geld wirklich ankommt, wo es hingehört. „Man sollte erfahren dürfen, wie die Verhandlungen laufen“, sagt Mayani vom Carter Center. „Aber nichts in dieser Hinsicht passiert.“
So bleibt die Zivilgesellschaft des Landes im Unklaren darüber, wie der Stand der Dinge bei anderen Verträgen ist, deren Prüfung vermeldet wurde. Sie betreffen unter anderen Tenke Fungurume, eine einst US-amerikanisch geführte Mine, die von einem chinesischen Unternehmen übernommen wurde, und die Mutanda-Mine, deren Wiedereröffnung der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore plant. Er will hier die größten Kobaltvorkommen des Landes heben, hieß es im April bei Bloomberg.
Koleva, der LKW-Fahrer, hat zwar von der Neuverhandlung insgesamt gehört. Mit einzelnen Verträgen, die zur Diskussion stehen, ist er weniger vertraut. Einfluss darauf nehmen könne er eh nicht. Und auch sonst macht er sich wenig Hoffnung, dass die gefährliche Sandpiste nach Beni bald asphaltiert wird: „Wir haben immer unsere Zweifel“, so seine Erfahrung, wenn es im Kongo um Politik geht.
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