"Die Abschiebung nach Ruanda dient der Abschreckung"

Flüchtlingspolitik
Großbritannien schiebt Flüchtlinge ab sofort nach Ruanda ab. Das britisch-ruandische Abkommen untergräbt die Internationale Flüchtlingskonvention, sagt die südafrikanische Migrationsexpertin Aimée-Noël Mbiyozo und erklärt, welche Folgen dies auch für die Flüchtlingspolitik auf dem afrikanischen Kontinent haben könnte.

Aimée-Noël Mbiyozo ist Migrationsexpertin am Institute for Security Studies in Pretoria, Südafrika.
Die britische Regierung lässt Flüchtlinge nach Ruanda ausfliegen, wo dann über ihre Asylanträge entschieden werden soll. Warum macht Ruanda da mit?
Ruanda geht es vor allem um seine öffentliche Wahrnehmung. Es will als sicheres Land anerkannt werden, ungeachtet seiner Menschenrechtslage. Ruanda bemüht sich seit Jahrzehnten in einer PR-Kampagne, als innovatives, kooperatives und wirtschaftlich aufstrebendes Land gesehen zu werden. Zudem hat London im Rahmen des Abkommens 120 Millionen Pfund an Ruanda gezahlt.

Wie kommt das Abkommen bei anderen afrikanischen Regierungen oder der Afrikanischen Union (AU) an?
Es gab keine öffentliche Kritik an Ruanda; das Prinzip der staatlichen Souveränität und Handlungsfreiheit wird in Afrika sehr hochgehalten. Seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 hat die AU hingegen ähnliche Abkommen zwischen europäischen und afrikanischen Staaten zur Abschiebung von Migranten und Flüchtlingen etwa in Sammellager auf afrikanischem Boden verurteilt.

Da geht es aber um die Abschiebung in Herkunftsländer. Großbritannien hingegen will jetzt sogar Syrer und Afghanen nach Ruanda abschieben. Das ist etwas anderes, oder?
Ja und nein. Europa hat schon viele Male Flüchtlinge aus Ländern wie Nigeria, dem Senegal oder sogar Bangladesch nach Libyen abgeschoben. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Menschen in Länder abgeschoben wurden, aus denen sie nicht stammen. So groß ist der Unterschied also nicht. Aus Sicht Londons dient die Abschiebung nach Ruanda der Abschreckung, und es bleibt abzuwarten, ob dem ersten Abschiebeflug weitere folgen werden.

Was passiert mit den nach Ruanda abgeschobenen Flüchtlingen und Migranten?
Da ist angesichts früherer Erfahrungen nichts Gutes zu erwarten. Ruanda hat ein ähnliches Abkommen bereits mit Israel geschlossen. Dazu ist offiziell wenig bekannt, aber mehrere Tausend Menschen aus Ostafrika wurden von Israel nach Ruanda und Uganda geschafft. Es gab Berichte, dass viele gleich nach ihrer Ankunft am Flughafen von Menschenschmugglern aufgegriffen und in andere Länder gebracht wurden. Nur sehr wenige sind offenbar in Ruanda geblieben, einige sind nach Hause zurückgekehrt, während viele nach Nordafrika und weiter nach Europa gezogen sind.

Was bedeutet das Abkommen für die Migration innerhalb von Afrika?
Afrikas Interesse ist es, Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter zu gewährleisten. Europas Politik, Migration zu begrenzen und zu unterbinden, führt dazu, dass überall auf dem Kontinent neue Hürden aufgebaut und sogar mitten in der Wüste Grenzposten errichtet werden, wo normalerweise niemand Ausweispapiere dabeihat. Eine weitere Folge könnte sein, dass afrikanische Länder selbst auf Idee kommen, Flüchtlinge abzuschieben. In Ländern wie Ägypten, Marokko und Südafrika gibt es eine Menge Fremdenfeindlichkeit. Wenn Großbritannien Asylbewerber nach Ruanda abschieben kann, warum sollte Südafrika dann nicht Leute nach Botswana schaffen? Das britisch-ruandische Abkommen untergräbt die Internationale Flüchtlingskonvention. Das ist tragisch, wenn man bedenkt, dass das Königreich zu den ersten Staaten gehörte, die die Konvention vor rund 70 Jahren unterzeichnet haben.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2022: Das Zeug für den grünen Aufbruch
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