Besser wären faire Preise für die Schokolade

phillipe Lissac/godong/picture alliance
"Schützen wir sie gemeinsam“, heißt es auf dem Plakat gegen Kinder­arbeit in der Côte d’Ivoire. An den Ursachen der Kinderarbeit ändern Appelle aber nichts.
Schweiz
Der Schweizer Großkonzern Nestlé will mit einem neuen Programm gegen Kinderarbeit auf Kakaoplantagen vorgehen. Fachleute sehen darin noch nicht die Lösung des Problems.

Schätzungen von Hilfsorganisationen und der Universität von Chicago zufolge arbeiten etwa 1,6 Millionen Kinder auf Kakaoplantagen in Ghana und der Elfenbeinküste. Die großen internationalen Schokoladenhersteller haben ihr Versprechen nicht erfüllt, die Kinderarbeit bis zum Jahr 2020 um 70 Prozent zu reduzieren. Mit dem im vergangenen Januar gestarteten „Programm zur Einkommenssteigerung“ unternimmt der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé nun einen neuen Versuch, das Problem anzugehen.

So will Nestlé Bauernfamilien, die ihre Kinder zur Schule anmelden, finanziell belohnen. Weitere finanzielle Anreize gibt es für landwirtschaftliche Praktiken, die helfen können, die Armut zu reduzieren, etwa indem sie die Umwelt schonen, Erträge steigern oder neue Einkommensquellen erschließen, zum Beispiel Hühnerhaltung oder Imkerei. In den ersten zwei Jahren des Programms können Bauernfamilien dafür jährlich bis zu 500 Schweizer Franken (etwa 485 Euro) Anreizzahlungen erhalten. Danach würde die Zahlung auf die Hälfte reduziert.

Nestlé will nur noch zertifizierte Kakaoprodukte verwenden

Im Rahmen des Programms will Nestlé zudem die globale Kakaobeschaffung umgestalten. So sollen in Zukunft von der Plantage bis zur Fabrik ausschließlich zertifizierte Kakaoprodukte verwendet werden und diese vollständig rückverfolgbar sein, schreibt der Konzern in der Pressemitteilung. Bis 2030 will der Konzern 1,3 Milliarden Schweizer Franken dafür aufwenden.

Silvie Lang, Expertin für Agrarrohstoffe bei der Organisation Public Eye, sieht fortschrittliche Aspekte in dem neuen Ansatz – zum Beispiel den, dass die Hälfte des Geldes an die Partnerinnen der Bauern gezahlt wird, die sich traditionellerweise um die Haushaltsausgaben und die Kinderbetreuung kümmern. Damit werde die Rolle der Frau gestärkt. „Offenbar hat jetzt auch Nestlé erkannt, dass es ohne finanzielle Maßnahmen nicht gelingen wird, die Bauernfamilien über die Armutsgrenze zu heben und damit gegen Kinderarbeit vorzugehen“, sagt Lang – für die das zugleich etwas zynisch ist: „Direktzahlungen sind noch kein Ersatz für existenzsichernde Preise.“ Public Eye und andere NGOs fordern seit Jahrzehnten einen höheren Mindestpreis für Kakao, da die Bäuerinnen und Bauern den schwankenden, tiefen Weltmarktpreisen ausgesetzt sind. „Bis heute wurde das nie ernsthaft angegangen.“

Engagement der Privatwirtschaft reicht nicht aus

Für Lang reicht das Engagement der Privatwirtschaft ohnehin nicht aus. „Es braucht verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen entlang globaler Wertschöpfungsketten, wie sie mittlerweile zahlreiche Länder verabschiedet haben.“ Die Schweiz hinke in diesem Punkt hinterher und setzte bei dem Thema weiterhin größtenteils auf „freiwillige Regulierungen“.

Das neue Programm von Nestlé sei als „Willensbekundung anzuerkennen, sich dem Problem zu stellen“, sagt Daniel Stähli, Gründer der Firma Caboz, die sich für transparente Lieferketten in der Kakaowirtschaft und bessere Lebensbedingungen für die Bauernfamilien einsetzt. Für ihn ist das Programm aber auch ein „Akt der Hilflosigkeit“: Finanzielle Anreize allein reichten nicht, um die Ursachen der Kinderarbeit zu beheben. Das Problem beschränke sich zudem nicht auf den Kakaosektor: „Kinderarbeit hat unter anderem mit dem Bildungsgrad der Eltern zu tun, mit dem Mangel an Arbeitskräften, mit der Erreichbarkeit der Schule oder dem fehlenden Geld für das Geburtszertifikat, damit das Kind überhaupt an einer Schule angemeldet werden kann“, sagt Stähli. 

Hinzu komme: „Ghana und die Elfenbeinküste fokussieren sich fast nur auf Exportgüter wie Kakao oder Cashew.“ Die Produktion von Nahrungsmitteln für den lokalen Markt sei oft nicht konkurrenzfähig, weil Grundnahrungsmittel wie Reis oder Zucker billig importiert würden. „Diese starke Abhängigkeit von Cash Crops ist zu einem großen Teil mitverantwortlich für die Armut der Bauernfamilien.“

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erschienen in Ausgabe 6 / 2022: Afrika schaut auf Europa
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