"Deserteure brauchen Schutz"

Krieg und Frieden
Fünf Fragen an Carlotta Conrad, Anästhesistin und Vorstandsmitglied der IPPNW (Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzt*innen in sozialer Verantwortung)

Carlotta Conrad
Was beschäftigt Sie gerade am meisten?
Der russische Krieg gegen die Ukraine und die Gefahr, dass er zu einem Einsatz von Atomwaffen führt. Wir brauchen einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine. Es darf keinen Abbruch diplomatischer Beziehungen geben, die Gesprächskanäle müssen offen bleiben. Eine Flugverbotszone über der Ukraine wäre der Beginn eines dritten Weltkriegs; die gesundheitlichen Folgen eines möglichen Atomwaffeneinsatzes wären für alle Menschen katastrophal. 

Was kann Ihre Organisation gegen solch eine Eskalation konkret tun?
Wir klären über die verheerenden Schäden auf, die Atomwaffen anrichten können, auch die beschwichtigend so genannten „taktischen“ Atomwaffen. Die Bezeichnung suggeriert, sie seien „klein“ und „zielgenau“, sie können aber die Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe haben. Und sie senken die Schwelle, in einen Atomkrieg einzutreten. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass Deserteure – unabhängig von ihrem Herkunftsland – einen internationalen Schutzstatus erhalten, also nicht nur russische, sondern auch belarussische und ukrainische Deserteure. 

Wie stehen Sie zum ukrainischen Wunsch nach Waffenlieferungen?
Ich kann ihn gut verstehen. Und ich erwarte von niemandem vor Ort, dass er oder sie unsere Position nachvollzieht, dass mehr Waffen vor allem zu noch mehr Toten führen würden. Aber als Nicht-Kriegspartei sagen wir: Es braucht gegenseitige Verträge, Sicherheitsgarantien und Mediation, um so einen Krieg zu beenden, und nicht noch mehr Gewalt. Eben dies wurde auch in den vergangenen Jahrzehnten sträflich versäumt. Ich fürchte, auch die immer wieder genannten 100 Milliarden, die unsere Bundesregierung nun in die Verteidigung investieren will, werden vor allem in Bewaffnung fließen. Diese Einseitigkeit ist frustrierend.

Wie sind Sie persönlich zu Ihrer Tätigkeit gekommen?
Als ich 2008 begann, Medizin zu studieren, war es mir wichtig, mich nicht nur mit der reinen Medizin, sondern auch mit globaler Gesundheit zu beschäftigen. Ich machte schon im ersten Semester bei „Medinetz“ mit, einer Organisation, die Menschen ohne Krankenversicherung und Papiere kostenlos und anonym versorgt. Dann besuchte ich ein Infotreffen der IPPNW, und das hat mich sofort angesprochen. Seitdem bin ich dabei. 

Wie vertragen Sie die zeitliche Belastung?
Sowohl im Studium als auch jetzt als Ärztin empfinde ich die ehrenamtliche Arbeit als große Bereicherung. Und was man mit Leidenschaft macht, dafür findet man auch die Zeit. 

Das Gespräch führte Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2022: Afrika schaut auf Europa
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