Kubas unbequemste Künstlerin

Daniel Leal/AFP via Getty Images
Tania Bruguera im Oktober 2018 in London.
Kunstaktivismus
Erst Auftrittsverbot, dann neun Monate strenger Hausarrest: Die Herrschenden in Kuba reagieren empfindlich auf die Aktionen von Tania Bruguera. Mittlerweile hat die 54-Jährige ihre Heimat verlassen, aber Ruhe gibt sie noch lange nicht.

Boston heißt der neue Lebensmittelpunkt von Tania Bruguera. An der Eliteuniversität Harvard an der US-amerikanischen Ostküste lehrt die kubanische Künstlerin mit der langen kastanienbraunen Mähne Performance an der Fakultät für Theater, Tanz und Medien. Für Bruguera war der Lehrauftrag, der sie im August 2021 in Havanna erreicht hat, eine doppelte Chance. Zum einen bot er die Option, die Insel nach Monaten unter Hausarrest zu verlassen, zum anderen die Gelegenheit, wieder sichtbar für den Wandel auf Kuba zu agieren. „Ich habe mich gefragt, wo ich unbequemer für das kubanische Regime sein kann: isoliert in meinem Apartment in Havanna oder in Boston und von dort vernetzt mit den Leuten auf der Insel?“ 

Vom 16. November 2020 bis zum 27. August 2021 stand Bruguera ohne offizielle Begründung unter Hausarrest in ihrem Apartment am Parque Coppelia, im Zentrum von Kubas Hauptstadt Havanna. „Jeden Morgen habe ich vom Balkon heruntergeschaut und mit wenigen Ausnahmen stand da immer ein Polizeiwagen. Sie haben mich am Verlassen meiner Wohnung gehindert, aber auch Freunden den Zugang zu mir verweigert. Ich war komplett isoliert“, erinnert sich Bruguera an die Zeit, die sie die schlimmste ihres Lebens. nennt. Die 54-jährige Künstlerin kritisiert in ihren Performances die Strukturen der Macht auf der Insel, aber auch darüber hinaus. Damit hat sie nicht nur in Kuba Schlagzeilen gemacht hat, sondern auch in New York, in London oder im Jahr 2002 auf der Documenta in Kassel. Bruguera zählt zu Kubas international renommiertesten Künstlerinnen und ist aus Perspektive der Regierenden in Havanna mit Sicherheit die unbequemste, weil sie für eine plurale Gesellschaft eintritt. 

Freilassung von politischen Gefangenen als Gegenleistung für Brugueras Ausreise

Deshalb konnte die Tochter des kubanischen Diplomaten Miguel Bruguera und der Übersetzerin Argelia Fernández ihre Ausreise an Bedingungen knüpfen. „Viermal hatte die Geheimpolizei mir bis dahin angeboten, die Insel zu verlassen; das letzte Mal wenige Tage bevor mich der Lehrauftrag aus Harvard erreichte“, sagt sie. Selbst den Flug wollte die kubanische Staatssicherheit bezahlen.

Bruguera präsentierte den Beamten eine Liste mit 25 Namen von politischen Gefangenen, deren Freilassung sie als Gegenleistung für ihre Ausreise einforderte. Darauf standen unter anderem die Namen von Luis Manuel Otero Alcántara, dem Koordinator des kritischen Künstlerkollektivs Movimiento San Isidro (MSI), und von Rapper Maykel „Osorbo“ Castillo, Mitautor der mit einem Grammy prämierten Hymne „Patria y Vida“, aber auch die der unabhängigen Journalisten sowie mehrerer Minderjährigen, die nach den inselweiten Protesten vom 11. Juli 2021 inhaftiert worden waren. 

Autor

Knut Henkel

ist freier Journalist in Hamburg und bereist regelmäßig Lateinamerika und Südostasien.
Erst nachdem ihr das mündlich zugesichert wurde, ließ sich die Künstlerin von Geheimpolizistinnen zum Flughafen José Martí bringen, um in die USA zu fliegen; gehalten hat sich die Regierung an die Zusage dann allerdings nur teilweise. Das war am 27. August, am 1. September nahm Bruguera ihre Arbeit als Dozentin in Harvard auf. 

Nun ist sie wieder täglich mit Aktivisten und Kolleginnen auf Kuba in Kontakt. Deren Lage ist prekär. Seit dem 11. Juli 2021, dem Tag der inselweiten spontanen Proteste gegen die Wirtschaftskrise und die Regierung von Miguel Díaz-Canel, wurden mehr als 1400 Menschen inhaftiert. In zahlreichen Prozessen, die laut Menschenrechtsorganisationen internationalen Standards nicht genügten, wurden mehr als 300 Männer und Frauen zu Haftstrafen von bis zu 20 Jahren verurteilt. Für Bruguera ist das ein Rückschritt in die 1990er Jahre und zugleich eine Absage an den friedlichen Dialog, für den sie selbst noch im November 2020 eintrat. „Das Regime hat spätestens mit dem 11. Juli gezeigt, dass es weder politisch, ethisch, noch emotional in der Lage ist, die Insel zu führen – es ist eine Diktatur. So sollte sie auch international behandelt werden“, fordert die Aktivistin. 

Boykott eines unmoralischen Kunstevents

Dafür engagiert sie sich. Sie hat einen Boykott der seit November 2021 laufenden Biennale von Havanna mitinitiiert, weil es unmoralisch sei, an einem Kunstevent teilzunehmen, wenn Hunderte Menschen, darunter auch Künstlerinnen, willkürlich inhaftiert worden seien. Ihr Appell sei durchaus erfolgreich gewesen, denn eine ganze Reihe internationaler Künstlerinnen und Künstler hätten abgesagt und schriftlich Stellung genommen und die Regierenden kritisiert, sagt Bruguera. Mit einem Redebeitrag war sie auch auf dem Oslo Freedom Forum Anfang November 2021 zu hören – typisch für Brugueras revolutionäres Kunstverständnis: „Kunst ist ein Instrument für politische und soziale Aktionen, um politische und persönliche Machtverhältnisse zu analysieren und zu reflektieren“, erklärt sie. 

Dieses Verständnis bringt sie nun US-amerikanischen Studentinnen und Studenten in Harvard nahe, weil es in Kuba derzeit dafür keine Chance gibt. Das von ihr 2015 gegründete und per Crowdfunding finanzierte Institut für Kunstaktivismus Hannah Arendt, kurz Instar, ist verrammelt. Das Institut, im Elternhaus Brugueras in der Altstadt Havannas untergebracht, ist eine Art Think Tank der „zivilen Alphabetisierung“. Hier gab es Kurse für investigativen Journalismus, Dokumentarfilm oder Performance, zudem Lesungen, Ausstellungen und Diskussionen. „Wir wollen einer neuen Generation von Kunstaktivisten Starthilfe geben“, sagt Bruguera. Sie ist froh, dass das Instar bis heute überlebt hat – zumindest im Internet. Erst mit Live-online-Veranstaltungen, dann mit online gestellten Aufzeichnungen von Lesungen und Diskussionen ließ und lässt das Team um Bruguera die staatliche Repression immer wieder ins Leere laufen. Die letzte Lesung, die online gestellt wurde, datiert von Anfang März, weitere werden folgen, so Bruguera.

Konsequenz und Durchhaltevermögen haben dem Team um Bruguera internationale Preise eingebracht – für das Instar, aber auch für Bruguera persönlich, im November 2021 etwa den renommierten spanischen Velásquez-Preis. Bruguera nahm ihn stellvertretend für die unabhängige kubanische Kunstszene in Empfang. „Der Preis ist ein Impuls weiterzumachen“, betont sie im Interview mit „welt-sichten“ Anfang März. Das Preisgeld soll in neue Initiativen auf der Insel fließen, auch wenn das derzeit kaum möglich erscheint. 

Diskreditiert als CIA-Agentin

Bruguera hat seit Dezember 2014, als sie auf dem Platz der Revolution in Havanna eine Performance durchführen wollte, um den Dialog für den politischen Wandel auf der Insel in Gang zu bringen, Auftrittsverbot in Kuba. Mittlerweile wird sie von der Staatssicherheit als „Agentin Susana“ geführt, die im Auftrag der CIA die kubanische Regierung stürzen wolle. Dutzende von Fernsehbeiträgen und Artikeln sind in den vergangenen Monaten in den staatlichen Medien ausgestrahlt und gedruckt worden mit dem Ziel, die kritische Künstlerin zu stigmatisieren. 

Dafür hat Bruguera nur ein Gähnen übrig, wie in einem Video auf ihrer Facebook-Seite zu sehen ist. Derzeit nimmt ihr nächstes Projekt Konturen an: eine Retrospektive der Arbeiten unabhängiger Künstlerinnen und Künstler auf der Insel von Mitte der 1990er Jahre bis zum Jahr 2014. „Uns geht es darum, aus der Vergangenheit zu lernen, Fehler nicht zu wiederholen. Wir müssen wissen, woher wir kommen und wohin wir wollen“, erklärt Bruguera. Also hat sie nach einem Format gesucht, wie sich die „Timeline unabhängiger kubanischer Kunst“ für ein Publikum visualisieren lässt. Klar ist seit ein paar Wochen auch, wo die Leistungsschau revolutionärer Kunst bald zu sehen sein wird: im kommenden Juni auf der Documenta in Kassel. Für Bruguera ist das ein Beitrag, um die überholten Kuba-Klischees aufzubrechen.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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