Infektionskrankheiten ganzheitlich bekämpfen

Gesundheit
Vernachlässigte Tropenkrankheiten – und die, die unter ihnen leiden – müssen stärker beachtet werden. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben.

Dr. Rainer Brockhaus ist Vorstand der Christoffel-Blindenmission.
Seit gut zwei Jahren sind Gesundheitsthemen aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken. Zu Hause am Küchentisch, in den Fernsehnachrichten, in den Parlamenten: Oft dreht sich das Gespräch um Übertragungswege, Hygienemaßnahmen, Impfstoffe und die Entwicklung neuer Medikamente. Dieses allgemeine Interesse bietet die große Chance, bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten wichtige Fortschritte zu erzielen. Leider wird sie aber bislang noch viel zu wenig genutzt. Denn es geht meist allein um Corona. Die Krankheiten, die bezeichnenderweise „vernachlässigte Tropenkrankheiten“ (Neglected Tropical Diseases, NTDs) heißen, werden weiterhin allgemein vernachlässigt. Und das, obwohl laut Weltgesundheitsorganisation weltweit mehr als eine Milliarde Menschen von ihnen betroffen und damit auch von Behinderung und Stigmatisierung bedroht sind.

Unter den 20 NTDs sind weitverbreitete Infektionskrankheiten wie etwa Flussblindheit (Onchozerkose), Trachom und Elefantiasis (Lymphatische Filariose). Unter diesen vernachlässigten Krankheiten leiden vor allem vernachlässigte Menschen. Denn Armut, mangelnde Hygiene und schlechte Gesundheitsversorgung, fehlende Infrastruktur und auch eine instabile politische Lage begünstigen die Verbreitung dieser Krankheiten und behindern eine wirksame Bekämpfung. Ändern soll das nun die Kigali-Deklaration gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (siehe welt-sichten 03/22): Deren Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich, auf allen Ebenen ihren Teil dazu beizutragen, dass NTDs bis 2030 eliminiert oder unter Kontrolle gebracht werden.

Nicht dort stoppen, wo der Asphalt aufhört

Wie groß diese Herausforderung ist, zeigt beispielhaft die Situation in der Demokratischen Republik Kongo (DRC). In dem zentralafrikanischen Staat sind über 49 Millionen Menschen durch NTDs gefährdet – mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung. Die CBM ist dort seit 50 Jahren aktiv; seit mehr als 30 Jahren setzt sie in enger Zusammenarbeit mit den nationalen und lokalen Gesundheitsbehörden Projekte dazu um. Eine von vielen Hürden ist die schlechte Wegesituation. Manche Dörfer sind nur über holprige Pisten oder über den Wasserweg zu erreichen. Hier geht es vor allem darum, nicht dort zu stoppen, wo der Asphalt aufhört – z.B. durch die Ausstattung der medizinischen Teams mit geländegängigen Fahrzeugen oder Booten. 

Weitere Probleme ergeben sich, wenn NTD-Programme durch gewaltsame Konflikte oder, wie jetzt, pandemiebedingte Einschränkungen unterbrochen werden. Denn um die Ausbreitung etwa von Flussblindheit und Elefantiasis schrittweise zu reduzieren, müssen mindestens 80 Prozent der Bevölkerung in den besonders betroffenen Gebieten jährlich präventiv Medikamente erhalten. Fallen Verteilaktionen dauerhaft aus, weil Schulen geschlossen oder Reisen verboten sind, wirft das den Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten massiv zurück. Ähnliches gilt für Augenoperationen bei fortschreitendem Trachom: Zu spät durchgeführt, können sie eine Erblindung der Betroffenen nicht mehr verhindern.

Bestehende Covid-Logistik nutzen, um Impfungen gegen andere Krankheiten durchzuführen

Natürlich dürfen Maßnahmen gegen NTDs nicht zum „Super-Spreader-Event“ für das Coronavirus werden. Aber die Bekämpfung einer Infektionskrankheit sollte nicht zu Lasten einer anderen, sondern Hand in Hand auch mit deren Bekämpfung gehen. Die Mitarbeitenden in den CBM-Projekten haben beispielsweise Medikamente verteilt und die Menschen gleichzeitig über das Coronavirus und geeignete Hygiene- und Schutzmaßnahmen aufgeklärt. Denkbar ist auch, die bestehende Logistik der Verteilaktionen zu nutzen, um Schutzmasken auszugeben oder Impfungen durchzuführen – und umgekehrt.

Die aktuelle Pandemie zeigt einmal mehr, wie wichtig ein integrierter und ganzheitlicher Ansatz in der globalen Gesundheitsversorgung ist. Lassen Sie uns also neben Covid-19 auch andere Infektionskrankheiten wieder mehr in den Blick nehmen. Und vor allem: Lassen Sie uns verzahnt denken und handeln. Das Bekenntnis der deutschen Bundesregierung zur Kigali-Deklaration ist hierfür ein wichtiger Schritt. Jetzt gilt es, das Versprechen gemeinsam mit anderen Regierungen, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft in die Tat umzusetzen. Denn mit integrierten Maßnahmen können wir im Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten viel bewirken. Und dafür sorgen, dass eine Milliarde betroffener Menschen nicht mehr vernachlässigt werden.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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