Was tun gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten?

Gesundheit
Ein Interview mit August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin an der Missioklinik Würzburg.

August Stich ist Chefarzt der Tropenmedizin an der Missioklinik Würzburg.
Deutschland ist gerade der Kigali-Deklaration zu vernachlässigten Tropenkrankheiten beigetreten. Was ändert sich dadurch?
Die Unterzeichner – außer Staaten auch nichtstaatliche Organisationen, Stiftungen, Forschungsinstitute und Unternehmen – verpflichten sich, den Kampf gegen diese Krankheiten zu einer Priorität zu erklären. Weltweit leiden über eine Milliarde Menschen darunter, und doch wird das Thema bei der Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika oft wenig beachtet.

Woran liegt das?
Menschen, die unter diesen Tropenkrankheiten leiden, sind meist sehr arm und können sich kaum eine medizinische Versorgung leisten, stellen also keinen lukrativen Markt dar. Die Wurmerkrankung Schistosomiasis etwa ist nach der Malaria die zweithäufigste Tropenkrankheit auf der Welt, aber hierzulande wenig bekannt. Der  Grund: Betroffen sind fast nur Menschen in ländlichen Regionen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser und einer Abwasserentsorgung haben. Auch Schlangenbisse kommen hauptsächlich in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen vor. Gegengifte zu entwickeln und herzustellen, lohnt sich für die großen Pharmaunternehmen nicht, wenn von dem Problem beispielsweise „nur“ Bauern in Nigeria betroffen sind. 

Was kann eine Deklaration daran ändern?
Sie setzt Maßstäbe und macht auf eine allgemeine Schieflage aufmerksam. Ich verspreche mir davon zum Beispiel, dass die Bundesregierung mehr Förderprogramme im Kampf gegen Tropenkrankheiten auflegt. 

Aber werden Mittel dann nicht einfach nur umgeschichtet?
Nicht unbedingt. Ein Beispiel: Als im Jahr 2001 der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria gegründet wurde, brachte das die Möglichkeiten einer HIV-Therapie auch in Entwicklungsländern deutlich voran. Andere wichtige Gesundheitsbereiche blieben dabei aber noch unberücksichtigt. Die „Londoner Erklärung gegen tropische Armutserkrankungen“ von 2011, der Vorgänger der Kigali-Deklaration, war eine Reaktion darauf. Priorisierungen helfen, aber es ist wichtig, auch den allgemeinen Überblick zu behalten.

Und das heißt?
Eine medizinische Grundversorgung für alle, weltweit. Diese würde pro Kopf und Jahr zwischen 60 und 80 US-Dollar kosten, eine überschaubare Summe, und dabei durch Prävention viele teure Therapien ersparen. Denn weit über 90 Prozent der Gesundheitsprobleme der Menschen, auch in den reichen Ländern, lassen sich durch relativ einfache Maßnahmen verhindern oder behandeln. Was uns alle dabei bewegen sollte, ist eine gerechte Verteilung von Ressourcen auf der Welt. Gesundheit ist ein Menschenrecht, kein wirtschaftliches Gut.

Das Gespräch führte Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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