Streit um das Salz der Lagune

Nyani Quarmyne
Salzernte für das Großunternehmen Electrochem Ghana in der Songor-Lagune (links). Die Firma hat Ende 2020 eine Konzession für die gesamte Lagune erhalten.
Ghana
In einer Lagune östlich von Accra wird seit langem von Hand Meersalz ­geschöpft. Großunternehmen können das effizienter, verdrängen aber das Kleingewerbe. Doch es ist strittig, wem der Naturschatz eigentlich gehört.

Helina Korley schreitet von ihrem Dorf Midie zur Songor-Lagune. Der Himmel ist diesig vom Sand der Sahara, den der Harmattan-Wind von Dezember bis März hierherträgt. Am Rand der Lagune schüttelt die 21-Jährige ihre Sandalen ab und stapft auf dem harten Lehmboden weiter, der immer matschiger wird, bis sie zu einem Bereich der Lagune kommt, der in unzählige seichte Becken unterteilt ist. Mit einem Rechen bricht sie die harte Salzschicht, die sich in einem der Becken geformt hat. Seit sie ein kleines Mädchen ist, gewinnt sie hier Salz, so wie ihre Großeltern und Urgroßeltern und viele Generationen vor ihnen.

Helina Korley studiert ­Modedesign, hilft aber daneben der Familie, Salz zu gewinnen.

Die Songor-Lagune liegt rund 80 Kilometer östlich von Ghanas Hauptstadt Accra, wo der Voltafluss in den Atlantik mündet. Sie ist Teil eines UNESCO-Biosphärenreservats und Lebensgrundlage für rund 60.000 Menschen. Der Tradition nach haben alle das Recht, gegen eine kleine Abgabe – früher an Clanchiefs und traditionelle Priester, heute an die Lokalverwaltung – Salz zu gewinnen. Nicht nur das Volk der Ada, das hier ansässig ist, sondern auch Menschen von weit her, aus Burkina Faso, Nigeria und Mali.

Das Volk der Ada ist der Legende nach einst aus Nigeria in die Region eingewandert. Als ihr Anführer auf der Jagd einer angeschossenen Antilope in den Wald folgte, traf er auf eine alte Frau auf einem weißen Thron. Sie sagte ihm, sie sei das angeschossene Tier und habe ihn hierhergelockt, um ihm die Lagune und ihre Schätze zu schenken. Die solle er mit seinem Volk teilen und dabei beachten: Kein Gold darf in die Lagune getragen, kein Blut in ihr vergossen werden.

Der Konflikt begann mit einem Damm-Bau am Volta

Seitdem haben die Ada versucht, mit ihren Traditionen die Balance zwischen Natur und Mensch im Sinne der alten Frau zu erhalten. Doch Helina zweifelt daran. „Die Songor sollte für alle da sein. Aber jetzt verwenden die Menschen Macheten, um für sich Becken auszuschneiden. Ich glaube, der Geist der alten Frau ist sehr wütend und hat uns verlassen.“ Das Streben nach Profit, die Missachtung der gemeinschaftlichen Nutzung und die Vernachlässigung der Traditionen haben Streit in die Lagune gebracht – in Dörfer, Clans und Familien.

Der Konflikt begann Mitte der 1960er Jahre mit dem Bau des Akosombo-Damms flussaufwärts am Volta. Das Megaprojekt sollte für Ghana eine verlässliche Stromquelle schaffen. Flussabwärts versiegten jedoch die kleinen Zuläufe zur Songor-Lagune. Schlick blockierte Kanäle, über die zuvor Meerwasser in die Lagune gelangt war, und es reifte kaum mehr Salz heran. Die Regierung kümmerte sich nicht darum. Clanchiefs lösten das Problem auf ihre Art. Stellvertretend für die Ada verpachteten sie Teile der Lagune, vor allem an ein großes Unternehmen. Dieses hob die Kanäle zum Meer hin aus und grub an einem Ende der Songor riesige Solebecken, um im großen Stil Salz zu gewinnen.

Autoren

Laura Salm-Reifferscheidt

ist freie Print- und Audiojournalistin. Sie befasst sich vor allem mit Gesundheits- und Sozialthemen auf dem afrikanischen Kontinent. (www.laurasalm.com)

Nyani Quarmyne

ist freier Fotograf. Er konzentriert sich auf Themen der globalen Gesundheit und der Umwelt. (www.nqphotography.com)
Dieser Pakt, mit dem nicht alle einverstanden waren, hatte fatale Folgen. Das Großunternehmen Vacuum Salt Products Limited beanspruchte einen immer größeren Teil der Lagune für sich. Es untersagte den Dorfbewohnern, Salz zu gewinnen oder auch nur Fische aus dem Wasser zu holen. „Es kam eine Zeit, wo wir anfingen zu hungern“, sagt Mary Akuteye aus dem Dorf Bonikopey. Die große, ernste Frau blickt zum Wasser. „Die Songor-Lagune ist nur einen Steinwurf von unserem Zuhause entfernt. Trotzdem mussten wir das Salz stehlen, das uns gehörte.“ Um ihre Pfründe zu schützen, sicherte sich die Firma die Unterstützung der lokalen Polizei. „Wenn sie dich beim Salzstehlen erwischt haben, dann haben sie dich festgenommen und genötigt, Salz zu essen und Salzwasser zu trinken“, sagt Akuteye.

Ein tödlicher Schuss brach das Tabu

Am 17. Mai 1985 eskalierte die Situation. Als ein Konvoi aus Polizeilastern nach Bonikopey raste, versuchten die Salzsammler zu flüchten. Es fiel ein Schuss, der Margaret Kuwornu traf, eine junge Frau, die im neunten Monat schwanger war. Sie war sofort tot. Damit war ein Tabu gebrochen, Blut in der Lagune vergossen worden.

Noch am selben Abend reiste der damalige Staatschef Jerry Rawlings an. „Er sagte, diese Lagune gehört diesem Volk“, erinnert sich Mary: „Er gab die Songor-Lagune an uns zurück.“ Rawlings veranlasste eine Untersuchung der Ereignisse. Anfang der 1990er Jahre legte die Regierung einen Plan vor, dessen Schwerpunkt auf einer fairen und nachhaltigen Balance zwischen kommerziellen Salzfirmen und kleinen lokalen Kooperativen lag. Salzsammler und Dorfbewohner wurden ausgiebig konsultiert.

Mary Akuteye – hier mit Tochter (links) und Nichte – führt die Frauen an, die für den traditionellen Zugang zur Lagune kämpfen.

Umgesetzt wurde der Plan zum Unmut der Ada allerdings nie. Stattdessen wurde 1992 ein Gesetz verabschiedet, das die Regierung ermächtigte, die Lagune stellvertretend für die Ada zu verwalten, bis eine endgültige Lösung gefunden wäre. Die Regierung übernahm auch den Betrieb des Salzwerkes, dessen Pachtvertrag nach Kuwornus Tod aufgehoben worden war. Investiert wurde jedoch kaum. Die Infrastruktur verkam und bis heute sollen die Ada keine Abgaben von der Regierung für die Nutzung der Lagune bekommen haben.

In Hunderte Solebecken zerstückelt

„Das sah alles einmal anders aus“, sagt Mary Akuteye. Wo früher Mangroven und Büsche wuchsen, ist nur noch braune Erde zu sehen. Der Rand der Lagune ist nun in Hunderte Solebecken zerstückelt. Zur Zeit von Kuwornus Tod gab es hier noch keine Becken und die Lagune war für alle frei zugänglich. Das Wasser schwappte in der Regenzeit über die Ufer der Lagune und in der Trockenzeit bildete das Salz eine weiße, in der Sonne gleißende Schicht. „Wenn das Salz reif war, sind wir einfach in die Lagune gewatet, bis zu den Knien im Wasser und Schlamm, haben ein Kanu neben uns hergeschoben und es mit Salz gefüllt.“

Als die Regierung den Betrieb des Salzwerks übernommen hatte, waren die Besitzverhältnisse unklar. So begannen um die Jahrtausendwende manche Dorfbewohner, inspiriert von der ergiebigeren Abbaumethode des großen Salzwerks, Becken einzudämmen und mittels Pumpen mit Sole aus der Lagune zu füllen. Seitdem haben sich immer mehr Menschen Teile der Lagune abgeschnitten – allerdings nur jene, die es sich leisten können. Die Schläuche und Pumpen müssen bezahlt werden, ebenso der Treibstoff. Manche haben nur ein Becken, andere zwanzig oder mehr.

Manche Anwohner haben informell private Salzbecken für sich abgeteilt wie dieses nahe des Dorfes Bonikopey.

Der Wildwuchs hat sich von Bonikopey aus wie ein Geschwür in der Lagune ausgebreitet. In der offenen Lagune gibt es heute kaum mehr Wasser, kein Salz reift dort mehr heran und auch die Fischbestände schrumpfen. Genehmigt hat das niemand, unterbunden aber auch nicht.

Vor allem die Frauen und Mädchen leiden

Eigentlich ist es die Aufgabe der traditionellen Clanchiefs, über das gemeinschaftliche Gut zu wachen. Auch wenn sie keine direkte politische Macht mehr haben, haben sie noch eine traditionelle Rolle als Schlichter und Entscheider über lokale Belange. Doch laut Mary Akuteye betreiben auch die Chiefs Becken über Mittelsmänner und haben insgeheim Konzessionen vergeben. Andere Lagunenbewohner bestätigen das. So haben heute nur jene Bewohner Atsiakpo, wie die informellen Becken auf Dangme heißen, die Geld und gute Beziehungen haben – unter ihnen lokale Eliten, aber auch Politiker von außerhalb.

Auch Mary Akuteye hat einmal gut mit Atsiakpo verdient. Doch irgendwann sei ihr bewusst geworden, was sie damit anrichtete: „Die Lagune war nicht mehr für alle da.“ Mary hörte auf, Salz zu gewinnen, und schloss sich mit einer Gruppe von Frauen zusammen, die den Atsiakpo-Besitzern den Kampf angesagt haben. Sie werden Yihi Katsemi genannt, übersetzt „mutige Frauen“. Um die 500 aktive Mitglieder hat die Gruppe. Sie sprechen im lokalen Radio, werden bei Clanchiefs und Politikern vorstellig.

Denn vor allem Frauen, die für andere das Salz schöpfen, leiden unter dem Atsiakpo-System. So wie Helina. Ihr Arbeitgeber betreibt 30 Becken im Herzen der Lagune. Im Schnitt geht sie nach einer Woche mit rund 14 Euro nach Hause. Eine andere Frau erzählt, dass sie für jede Blechwanne, die sie mit rund 20 Kilo Salz füllt, nur rund 14 Cent bekommt. Würde sie das Salz selber verkaufen, bekäme sie das Zehnfache. Atsiakpo-Besitzer sollen die Verzweiflung von jungen Mädchen ausnutzen, den Lohn nicht zahlen oder nur gegen sexuelle Gefälligkeiten für sich arbeiten lassen. 

Öffentlich darüber sprechen wollen die betroffenen Mädchen nicht, zu groß ist ihre Scham. Doch Elisabeth Akuteye, die ebenfalls zur Frauengruppe gehört, kennt ihre Geschichten: „Manche Mädchen brauchen das Geld. Sie geben sich den Männern hin und schlafen mit ihnen. Manche werden schwanger.“

Einige Chiefs wollten der Zerstörung der Lagune nicht länger zusehen

Ein paar Kilometer entfernt hockt Nene Korley IV., der Chief des Tekperbiawe-Clans, zusammengesunken auf seinem Thron, der auf zwei aus Holz geschnitzten Adlern ruht, und klagt: „Immer, wenn sich das Thema um die Lagune dreht, muss ich mich aufregen. Deshalb bin ich krank!“ Er und die anderen Chiefs wollten der Zerstörung der Lagune nicht länger zusehen und haben sich mit dem Präsidenten von Ghana darauf geeinigt, einen Investor zu suchen. Den fanden sie in dem prominenten und umstrittenen ghanaischen Geschäftsmann Daniel McKorley, dem Gründer des Transport- und Logistikunternehmens McDan-Gruppe. Vor etwas mehr als einem Jahr hat die Regierung dann drei Konzessionen zum Abbau von Salz für 15 Jahre an Electrochem Ghana Limited vergeben, ein eigens dafür gegründetes Tochterunternehmen der McDan-Gruppe. Sie erstrecken sich über fast das gesamte Gebiet der Lagune und 60 Prozent aller potenziellen Salzgewinnungsgebiete des Landes.

In den Augen von Kritikern wie Yao Graham vom Interessenverband Third World Network Africa, der sich mit dem Rohstoffsektor in Ghana beschäftigt und seit 30 Jahren die Entwicklung beobachtet, hat das Parlament verdächtig schnell zugestimmt – über die Köpfe der zuständigen Mineralienkommission hinweg. Auch habe, so Graham, die Firma bis heute keine Umweltverträglichkeitslizenz von der Umweltschutzbehörde ausgestellt bekommen. „Sie hat keine Betriebserlaubnis und trotzdem ist sie in Betrieb”, sagt Graham.  

Geld, versichert der Chief Nene Korley, hätten die Chiefs für das Einfädeln des Deals keines bekommen. „Ich habe nicht einmal ein Fahrrad. Wenn ich nach Ada fahre, muss ich auf den Minibus warten. Ich, als Besitzer der Lagune!“ Ursprünglich gingen die Salzabgaben noch an die Chiefs und den Libi Wornor, den Salzpriester und spirituellen Hüter der Lagune. Heute werden sie von den lokalen Bezirksverwaltungen kassiert. Viele fragen sich, wo dieses Geld hinfließt. Denn die Straßen sind in einem katastrophalen Zustand, viele Dörfer haben kein fließendes Wasser. 

Chief Nene Korley IV. weist empört zurück, dass er für den Handel mit dem Großunternehmen Geld bekommen hätte.

Das soll sich nun ändern, glaubt Korley. Das Unternehmen hat Versprechen gemacht: „Der Investor wird Stellen schaffen. Er hat gesagt, dass er für jede Gemeinde Becken bereitstellen und ihnen das Salz abkaufen wird. Und er wird auch kein Dorf umsiedeln. Er kommt, um uns zu helfen“, so der Chief. 

Laut David Cameron, Geschäftsführer von Electrochem, ist eine Investition von 114 Millionen Dollar vorgesehen. „Man braucht ein einziges System, um die Lagune richtig zu managen. Wenn verschiedene Leute verschiedene Dinge zu unterschiedlichen Zeiten wollen, dann kann das nie funktionieren. Wir werden unser Bestes geben, das Salz wirtschaftlich zu gewinnen.“ Das Potenzial der Lagune sei bei der Übernahme nur zu fünf Prozent ausgeschöpft gewesen. Im ersten Jahr will Electrochem statt 150.000 bis 200.000 Tonnen Salz mehr als eine Million Tonnen gewinnen. Bisher erzeugt Ghana insgesamt nur etwa 250.000 Tonnen Salz jedes Jahr, die Länder Westafrikas decken ihren Bedarf überwiegend mit Importen aus Brasilien und Europa. Das könnte sich nun ändern.

Pachtvertrag ohne Perspektive für die lokalen Salzsammler

Yao Graham ist skeptisch. Er hat den Pachtvertrag zwischen der Regierung und dem Unternehmen vorliegen. Es sei ein typischer Vertrag, der auch für große kommerzielle Goldminen verwendet werde. „Darin steht nichts über eine Entwicklung, die den kleinen lokalen Salzsammlern eine Zukunft verspricht. Maßnahmen zu ihrem Schutz werden nicht erwähnt“, sagt er. Vielmehr steht im Businessplan, der Teil des Vertrags ist, dass Electrochem alternative Einnahmequellen wie Fischen und Landwirtschaft unterstützen wird, „um die handwerklichen Salzsammler aus dem Weg zu haben“.

Hoffen die einen darauf, dass sie nun von dem Projekt profitieren, so sehen die anderen darin das endgültige Ende des traditionellen Salzabbaus. „Das Land gehört den Ada, das hat ein Gericht entschieden. Keiner soll es also wagen, uns unser Land streitig zu machen“, sagt Amate Apedo Ayornu. Der 78-Jährige, der hinter seinem Haus im Schatten eines Mangobaumes sitzt, ist der Libi Wornor. „Ich werde den Putsch anführen! Wenn du friedlich in deinem Haus stirbst, dann weiß das niemand. Doch wenn du im Krieg fällst, wird dein Name verewigt.“

Und tatsächlich herrscht nun so etwas wie Krieg in der Lagune. Anfang 2021 eskalierten die ersten Demonstrationen für und gegen das Projekt. Seitdem wurden Dörfer von ortsfremden Schlägern angegriffen, Bewohner angeschossen. Es hat willkürliche Festnahmen durch die Polizei gegeben. Im Januar 2022 wurde die lokale Community-Radiostation, die regelmäßig über den Hintergrund des Deals und die Rechte der Bevölkerung aufgeklärt hatte, von zehn teilweise bewaffneten Männern überfallen, ein Moderator zusammengeschlagen und das Aufnahmestudio zerstört. Schon wieder ist Blut in der Lagune vergossen worden. Das verheißt nichts Gutes.

Der Beitrag ist mit Förderung eines Gabriel-Grüner Stipendiums entstanden.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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