Herrscher über die Schaufensterpuppen

Reife Leistung
Der Engel Allahs mag keine Schaufensterpuppen. Behaupten die Taliban. Das sollten sie sich noch mal überlegen. Die Glosse von welt-sichten.

Die Taliban haben ein Problem mit Schaufensterpuppen. Sie sind nach Ansicht der neuen Machthaber in Afghanistan unislamisch und müssen deshalb aus den Klamottenläden des Landes verschwinden. Oder zumindest geköpft werden, als Zwischenlösung. Der Engel Allahs werde kein Geschäft betreten, in dem Schaufensterpuppen stehen, sagte ein Vertreter des Ministeriums für Tugend. Wie oft der Engel Allahs überhaupt zum Shoppen durch afghanische Einkaufsstraßen schlendert und irdische Geschäfte betritt, sagte der Mann nicht. Die Taliban haben bekanntlich auch ein Problem mit Frauen. Sie sollen am besten gar nichts machen, außer sich verhüllen. Und im afghanischen Fernsehen sollen jetzt bitte auch keine Filme oder Serien mehr gezeigt werden, in denen Frauen mitspielen. 

Kein Problem haben die Taliban offenbar damit, dass Millionen ihrer Untertanen Hunger leiden und sich auch sonst nach ihrer Machtübernahme keine rechte Aufbruchstimmung im Land einstellen will. Nichts zu essen und zur Ablenkung nicht einmal hübsch dekorierte Schaufenster in den Gassen oder schmalzige Liebesdramen in der Glotze? Das könnte noch zum Problem der bärtigen Spaßverderber werden. Sie sollten sich was einfallen lassen, das Volk bei Laune zu halten. Knutschszenen nur mit Männern? Würden beim Minister für Tugend vermutlich auf Skepsis stoßen. Aber warum nicht einfach in Filmen die Frauenrollen mit den aus den Schaufenstern verbannten Puppen besetzen? Eine kopflose Plastikfigur anzuschmachten, müsste doch mit dem Taliban-Reinheitsgebot vereinbar sein.

Überhaupt sollten die Taliban ihre Vorbehalte gegen Schaufensterpuppen noch einmal überdenken. Die brauchen nichts zu essen, hören keine Musik, können nicht tanzen, widersprechen niemals und haben bestenfalls Holzwolle im Kopf. Wäre es nicht viel schöner, über sie zu herrschen statt über lästig-lebendige Menschen?

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erschienen in Ausgabe 2 / 2022: Riskante Geschäfte mit der Chemie
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