Die Weltbank-Spitze schlägt Alarm

Finanzpolitik
Arme Länder brauchen dringend Schuldenerleichterungen. Was wie eine Forderung von Aktivisten klingt, ist aktuell von der Weltbank zu hören. Erfreulich, findet Bernd Ludermann.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.
Dass ich David Malpass einmal loben würde, hätte ich bei dessen Amtsantritt als Präsident der Weltbank nicht gedacht. Malpass ist als Getreuer des damaligen US-Präsidenten Donald Trump 2019 an die Spitze der Bank gelangt und galt als Anhänger von „America First“. Nun weist er mit deutlichen Worten auf die schwierige Lage vieler Entwicklungsländer in der Pandemie hin und fordert von reichen Ländern großzügigere und mutigere Gegenmaßnahmen.

So geschehen im Januar bei der Vorstellung des neuen Berichts über die Aussichten für die Weltwirtschaft. Darin schätzt die Weltbank jedes halbe Jahr in trockener, teils dunkler Ökonomenprosa die Konjunkturaussichten für alle Weltregionen ein – eine eher ermüdende Lektüre. Diesmal enthält der Bericht aber brisante Feststellungen zu Folgen der Pandemie, die Malpass samt daraus abgeleiteten politischen Forderungen klar benennt.

Aufholprozess der Entwicklungsländer ist unterbrochen

Eine lautet, dass die soziale Ungleichheit infolge von Corona wieder zugenommen hat – und zwar sowohl innerstaatlich wie zwischen Nord und Süd. Die innerstaatliche ist laut Weltbank in den Ländern mit den meisten Armen sehr hoch, jedoch in vielen Entwicklungsländern, besonders in Lateinamerika, in den vergangenen Jahrzehnten gesunken. Andere Erhebungen dazu bringen etwas andere Zahlen. Aber überzeugend ist die These der Weltbank, dass in der Pandemie die Ungleichheit in den meisten Entwicklungsländer gewachsen ist. Denn vor allem wenig qualifizierte oder informell tätige Menschen hätten ihr Einkommen verloren. Steigende Preise für Energie und Nahrung belasteten sie zusätzlich. Und weil viele Kinder nicht zur Schule gehen konnten und daher arm bleiben dürften, werde diese Ungleichheit auf lange Sicht weiterwachsen.

Auch die Ungleichheit zwischen Nord und Süd, die in den vergangenen Jahrzehnten klar gesunken ist, wächst laut Weltbank wieder. Denn die Industrieländer holen den Wirtschaftseinbruch infolge der Pandemie schneller wieder auf – dank ihrer Konjunkturprogramme und mehr noch dank hoher Impfraten. Die Weltbank schätzt, dass das Sozialprodukt im Norden 2023 wieder den Stand vor Corona erreichen wird, im Süden aber nicht. Mit anderen Worten: Der Aufholprozess der Entwicklungsländer insgesamt ist unterbrochen, und wachsende Bildungsmängel erschweren ihn weiter. Die Kluft zu den Industrieländern vergrößert sich wieder – natürlich mit Unterschieden von Land zu Land.

Entwicklungsländern droht eine Schuldenkrise

Wichtiger noch: David Malpass betont, dass die Geldpolitik im Norden schwere Auswirkungen auf den Süden hat. Etwas verklausuliert sagt er: Die US-amerikanische, europäische und japanische Zentralbank stützen mit einer Geldschwemme die Vermögenspreise (was man am Anstieg der Börsenkurse und Immobilienpreise sehen kann). Dies, so Malpass, macht früher oder später auch Waren und Dienstleistungen teurer, löst also eine Inflation aus. Sobald die Zentralbanken deshalb die Zinsen wieder anheben müssen, droht Entwicklungsländern eine Schuldenkrise. Auch sie haben sich ja wegen der Pandemie weiter verschuldet, ihre Einnahmen erholen sich langsamer und sie zahlen bereits jetzt höhere Zinsen als die reichen Länder.

Laut Malpass wächst das Risiko von „ungeordnetem Zahlungsausfall“ stark, salopp gesagt: von Staatspleiten im Süden. Die Warnung kommt zur rechten Zeit: Die Lage heute erinnert fatal an den Beginn der ersten großen Staatsschuldenkrise in Lateinamerika in den 1980er Jahren. Auch da war der Auslöser eine Zinsanhebung in den USA.

Die führenden Industrie- und Schwellenländer der G20 tun zu wenig, um eine solche Schuldenkrise abzuwenden, klagt Malpass. Der Weltbank-Präsident lobt höflich den angebotenen Zahlungsaufschub für die ärmsten Länder als ersten Schritt und legt dann den Finger in die Wunde: Arme Länder bräuchten starke Schuldenerleichterungen und das schnell. Und die G20 müssten dafür sorgen, dass private Kreditgeber – etwa Banken – dieselben Zugeständnisse an Entwicklungsländer machten wie die staatlichen Gläubiger; bisher werden sie dazu nicht gedrängt oder gar gezwungen. Das klingt fast wie von Aktivisten einer Schuldenerlass-Kampagne.

Impfstoffe als Voraussetzung für Wirtschaftswachstum

Damit sich die Nord-Süd-Kluft nicht wieder vergrößert, fordert die Weltbank außerdem, mehr Covid-Impfstoff herzustellen und dem Süden zugänglich zu machen – das sei eine Voraussetzung für schnelleres Wirtschaftswachstum dort. Den Regierungen der Entwicklungsländer selbst rät die Weltbank unter anderem, mehr Steuern zu erheben, gezielt benachteiligte Gruppen zu unterstützen und Bildung und Gesundheitsversorgung allgemein zugänglich zu machen, um die Ungleichheit in der Gesellschaft zu verringern. Zur Schrumpfung des Staates und Steuersenkungen rät sie nicht mehr – zurzeit jedenfalls.

Malpass hat wohl im neuen Amt gelernt, oder die Fachleute der Bank haben ihn auf Kurs gebracht. Natürlich setzt sich Einsicht bei ihm und in der Weltbank insgesamt nur in Grenzen durch. Kritik am Finanzkapitalismus und seinen Auswüchsen oder den Ruf nach Vermögenssteuern wird man von dort so schnell nicht hören. Aber wenn die Regierungen im Norden, nicht zuletzt in Berlin, schon einmal die Mahnung von Malpass befolgen würden, wäre das ein Fortschritt.

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