"Der bürokratische Aufwand ist zu hoch"

Lieferketten
Von den 200 Mitgliedern, die das Textilbündnis 2016 hatte, sind rund 70 ausgestiegen - auch das Unternehmen Trigema. "Ob wir Mitglied im Textilbündnis sind oder nicht, spielt für unsere Kunden keine Rolle", erklärt Wolfgang Grupp Junior - und klagt über ausufernde Berichtspflichten, die für kleine Unternehmen kaum leistbar seien.

Wolfgang Grupp junior ist im Vertrieb von Trigema tätig und IT-Projektleiter
Weshalb ist Ihr Unternehmen aus dem Textilbündnis ausgetreten?
Nicht, weil wir das Ziel nicht weiter unterstützen würden, weltweit sozial- und umweltverträgliche Produktionsbedingungen in der Textilindustrie zu schaffen. Aber der bürokratische Aufwand für all die Berichte, Risikoanalysen und Verbesserungsmaßnahmen, zu denen sich die Mitglieder verpflichten, stehen für uns als mittelständisches Unternehmen in keinem Verhältnis zum Nutzen. Deshalb sind wir übrigens 2017 schon einmal ausgetreten – kurz darauf hat uns Entwicklungsminister Gerd Müller aber doch noch einmal ins Boot geholt. 

Worin besteht denn dieser Aufwand?
Es geht darum, genau zu dokumentieren, wie wir sicherstellen, dass bei unserer Produktion menschenrechtliche und ökologische Mindeststandards eingehalten werden. Dazu müssten wir neben einem Profil unseres Unternehmens einen ausführlichen Überblick über erreichte Fortschritte auf dem Weg zur Nachhaltigkeit erstellen und in einer Risikoanalyse herausarbeiten, welche Arbeitsbereiche in Bezug auf soziale und ökologische Standards besonders heikel sind. Schließlich sollen in einer so genannten „Roadmap“ konkrete Ziele und Schritte zu den erarbeiteten Risiken festgelegt und Beschwerdemechanismen präsentiert werden. 

Sie schreiben soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit seit Jahren groß. Wieso fällt es Ihnen so schwer, das zu belegen?
Wir sind ein Familienunternehmen und kein internationaler Großkonzern. Bei uns läuft vieles auf Vertrauensbasis. Wir produzieren zu 78 Prozent in Süddeutschland, von meinem Büro aus kann ich mir in fünf Minuten einen direkten Überblick über die Arbeitsbedingungen verschaffen. Wir zahlen übertariflich, viele unserer Belegschaftsmitglieder sind gewerkschaftlich organisiert. Was wir nicht selbst herstellen, sind vor allem Garne und Farbstoffe. Die beziehen wir aus dem Ausland, zum Beispiel Baumwolle aus Griechenland oder der Türkei. Bei diesen Produkten achten wir auf Siegel wie OEKO-TEX Made in Green oder den Grünen Knopf. 
Nun sollen wir in seitenlangen Berichten festhalten, was wir konkret gegen geschlechtsspezifische Gewalt und für Geschlechtergerechtigkeit in den Zulieferländern tun, wie wir Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen gewährleisten etc.. Das kostet viel Arbeitszeit, dafür müssten wir zusätzliches Personal einstellen. Und wir haben keinen Nutzen davon. Da sage ich lieber: „Kommen Sie doch her und sehen Sie sich’s an.“ 

Was wäre für Sie ein Nutzen?
Eine Zertifizierung, ein Siegel. Wer nachhaltig einkauft, schaut auf Siegel wie den GOTS-Standard oder den Grünen Knopf. Auch bei öffentlichen Ausschreibungen sind derlei Zertifizierungen ein Pluspunkt. Ob wir Mitglied im Textilbündnis sind oder nicht, das spielt für unsere Kunden aber keine Rolle. Dieses Bündnis ist ja vor allem als Austauschforum von Entwicklungspolitik, Vertretern der Textilindustrie und nichtstaatlichen Organisationen darüber entstanden, wie sie gemeinsam der Not der Zulieferbetriebe im globalen Süden entgegenwirken können. Von den 200 Mitgliedern, die das Bündnis 2016 hatte, sind heute allerdings nur noch knapp 130 dabei. 

Die Christliche Initiative Romero hat ihren Austritt aus dem Textilbündnis mit zu wenig Kontrolle und Transparenz begründet. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach am besten sicherstellen, dass Produktionsstandards eingehalten werden? Auf Vertrauensbasis?
Nein. Je größer die Unternehmen und je länger die Lieferkette, desto weniger kann man sich natürlich auf Vertrauen verlassen. Und ja, natürlich hat dann die besagte Berichtspflicht ihren Sinn. Allerdings muss man dann auch sagen: Papier ist geduldig. Letztlich ersetzt kein noch so umfassender Bericht die Stichproben einer unparteiischen Instanz vor Ort, die das Ganze nachprüft. Auf Freiwilligkeit allein kann man da nicht setzen. Wenn ich in dem einen oder anderen Discounter eine Doppelpackung Unterwäsche für 4,99 Euro sehe, die mit einem Nachhaltigkeitslabel zertifiziert ist, dann frage ich mich: Wie kann das überhaupt funktionieren?

Wie stehen Sie zum Lieferkettengesetz? Das beinhaltet ja eine ähnliche Berichtspflicht.
Wir stehen hinter dem Lieferkettengesetz, allerdings muss sich Trigema frühestens im Jahr 2024 daran halten, weil wir mit unserer Mitarbeiterzahl unter der Grenze von 3000 liegen. Gut möglich, dass wir dann 2024 genau das machen müssen, was wir jetzt wegen des Aufwands ablehnen. Aber wenn sich alle Unternehmen an diese Vorgaben halten müssen, ist das für uns eher ein Vorteil als ein Nachteil. Denn wir erfüllen die Vorgaben des Lieferkettengesetzes schon jetzt – und das müssen wir dann eben doch noch belegen. 

Das Gespräch führte Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2022: Riskante Geschäfte mit der Chemie
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