Es drohen vier magere Jahre

Entwicklungspolitik
Entwicklungspolitik scheint der künftigen Ampel-Regierung nicht wichtig zu sein.

Eine aktualisierte Version dieses Kommentars zum Inhalt des Koalitionsvertrags und der neuen Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze lesen Sie hier.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei "welt-sichten".
Während dieser Leitartikel entsteht, basteln die Unterhändler der nächsten Regierung noch an einem Koalitionsvertrag. Voraussichtlich werden sie ihr Papier vorlegen, kurz nachdem die Druckmaschinen für diese Ausgabe von „welt-sichten“ angelaufen sind. Was sie vereinbaren, kann also nicht in diesen Text einfließen. Trotzdem lässt sich die Prognose wagen: Die Entwicklungspolitik wird in den kommenden vier Jahren einen schweren Stand haben.

Möglicherweise wird es nicht einmal mehr ein eigenständiges Entwicklungsministerium (BMZ) geben. In der ersten Novemberwoche war die Grünen-Politikerin Claudia Roth noch mit den Worten zu vernehmen gewesen, auch die neue Regierung werde ein starkes Ministerium für Entwicklungspolitik haben. Als dann kurz darauf Medien berichteten, die Ampel überlege, das BMZ abzuschaffen, wollte Roth sich laut einem Onlinebericht der „Tagesschau“ dazu nicht mehr äußern.

Entwicklungspolitik? Kommt praktisch nicht vor

Doch das ist gar nicht die entscheidende Frage. Ob in einem eigenen Ministerium oder nicht: Über die Ausrichtung und die Qualität der Entwicklungspolitik entscheiden letztlich das Personal und die Ideen und Konzepte einer Regierung – und in beider Hinsicht sieht es mit Blick auf die Ampel nicht sehr vielversprechend aus. Im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP kommt die Entwicklungspolitik praktisch nicht vor, und auch in den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag hat sie offenbar keine große Rolle gespielt. 

Das ist enttäuschend, denn mit der SPD und den Grünen sind künftig zwei Parteien an der Macht, denen das Engagement für internationale Solidarität und eine sozial- und umweltverträgliche globale Entwicklung mal sehr wichtig war. Davon ist nicht viel geblieben. Schon nach den Verhandlungen zur großen Koalition vor acht Jahren hatte der SPD-Entwicklungspolitiker Sascha Raabe seinem Ärger Luft gemacht, die Forderung nach mehr Geld für das BMZ sei nicht etwa an der CDU/CSU gescheitert, sondern an seiner eigenen Partei. Und in der jetzt vergangenen Legislaturperiode soll Raabe seinen Parteigenossen Finanzminister Olaf Scholz wiederholt wegen des BMZ-Etats bearbeitet haben: Den Einsatz für mehr Geld dürfe man nicht immer nur der CSU von Entwicklungsminister Gerd Müller überlassen.

Entwicklungspolitik im Dienste der Sicherheitspolitik?

Die Grünen verstehen sich als Klimaschutzpartei, verbinden das aber kaum mit einer internationalen Perspektive. Hört man grüne Spitzenpolitikerinnen über den Kampf gegen die Erderwärmung reden, klingt das häufig so, als werde dieser Kampf in Deutschland gewonnen oder verloren. Zu kurz kommt, dass Klimaschutz nur global gelingen kann und dass die Probleme, Interessen und Bedürfnisse von Entwicklungs- und Schwellenländern etwa beim Ausbau der Energieversorgung oder der Anpassung an die Folgen des Klimawandels berücksichtigt werden müssen.

Welche Richtung also wird Deutschlands Entwicklungspolitik unter Rot-Gelb-Grün nehmen? Es steht zu befürchten, dass die Ampel sie unter dem Stichwort „Kohärenz“ stärker in außen- und sicherheitspolitische Dienste nehmen wird. Schon im Sondierungspapier geht es vor allem um Sicherheitspolitik in einer zunehmend unsicheren Welt. Das Papier fordert Lehren aus der Pleite in Afghanistan und kündigt eine „Außenpolitik aus einem Guss“ sowie „ressortübergreifend gemeinsame Strategien“ an. Dem entspricht auch die Forderung der FDP, das Ziel, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, in ein neues Ziel aufgehen und verschwinden zu lassen: 3 Prozent der Wirtschaftsleistung für das Gesamtpaket aus Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Es heißt, die zuständige Ampel-Verhandlungsgruppe habe das in ihr Ergebnispapier übernommen.

Mangelnde Abstimmung zwischen den Ressorts

Kohärenz ist wichtig, aber anders. Deutschlands Entwicklungspolitik und seine Nachhaltigkeitsstrategie haben dieses Jahr im Prüfbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) insgesamt gute Noten bekommen. Allerdings mangele es an Abstimmung zwischen den Ressorts: Die Ministerien ziehen nicht an einem Strang, um diese Strategie umzusetzen. Das müsse besser werden, und das BMZ solle eine koordinierende Rolle bekommen, empfiehlt der Bericht. 

Das sollte auch das Ziel der Ampel sein: eine international ausgerichtete Politik für nachhaltige Entwicklung, in der das BMZ mehr ist als der Ausputzer für Schäden, die andere Ressorts wie das Wirtschafts- oder das Verteidigungsministerium anrichten. Vielleicht hält der endgültige Koalitionsvertrag in dieser Hinsicht ja die eine oder andere erfreuliche Überraschung bereit. Wenn nicht, dann dürften der Entwicklungspolitik in Deutschland vier magere Jahre bevorstehen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2021: Das Spiel der großen Mächte
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