Gegen Diabetes kämpfen wie gegen AIDS

Wolfgang Ammer
Gesundheit
Zwei Millionen Menschen sterben in Afrika südlich der Sahara Jahr für Jahr an Diabetes oder Bluthochdruck. Die Krankheiten ließen sich in Schach halten, wenn sie flächendeckend in örtlichen Gesundheitszentren und nicht nur in den Fachabteilungen größerer Kliniken behandelt würden.

Obwohl Diabetes und Bluthochdruck in Afrika südlich der Sahara heute stärker verbreitet sind als je zuvor, werden nur wenige Betroffene regelmäßig behandelt. In Subsahara-Afrika sterben jährlich geschätzt zwei Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen von Diabetes und/oder Bluthochdruck. Um das zu ändern, sollten sich entsprechende Gesundheitsprojekte ein Beispiel an den Programmen zur HIV-Bekämpfung nehmen. Sie bringen vor allem in Regionen mit niedrigem bis mittlerem Einkommen auch für nicht-übertragbare Krankheiten wichtige Erkenntnisse. 

In den frühen 2000er Jahren erreichten die Todesraten wegen HIV/Aids in Afrika Höchstwerte: Rund zwei Millionen Menschen starben Jahr für Jahr an der ansteckenden Immunschwächekrankheit. Damals hatten Infizierte noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur zehn Jahren. Ihre Überlebenschancen verbesserten sich, als die antiretrovirale Kombinationstherapie (ART) ab dem Jahr 2003 auch im Süden Afrikas Anwendung fand – in den reichen Staaten gab es sie da bereits seit zehn Jahren. Heute, im Jahr 2021, werden in Afrika 19 Millionen Menschen und damit 77 Prozent aller mit HIV infizierten Afrikaner mit antiretroviralen Medikamenten behandelt. Ihre Lebenserwartung entspricht damit mittlerweile nahezu dem Durchschnitt. 

Örtliche Gesundheitskräfte betreuen HIV-Betroffene

Anfangs lag die antiretrovirale Behandlung in Afrika fast ausschließlich in der Hand der Krankenhäuser. Patienten mussten monatlich zum Routinecheck in die Klinik kommen und wurden dort von Fachärzten behandelt. Schnell zeigte sich, dass man auf diese Art nur wenige HIV-Patienten behandeln konnte. Zum einen war das Klinikpersonal knapp, zum anderen konnten sich die wenigsten Betroffenen die Kosten für die Fahrt zu den regelmäßigen Untersuchungen leisten. 

Autor

Shabbar Jaffar

leitet die Abteilung Internationale Öffentliche Gesundheit an der Liverpool School of Tropical Medicine. Dieser Artikel ist zuerst erschienen als „Controlling diabetes and hypertension in sub-Saharan Africa: lessons from HIV programmes“ in „The Lancet“ vol 398 (2021), September 2021.
Verschiedene Faktoren führten dann dazu, dass HIV-Programme in Afrika zugänglicher wurden. Zunächst forderten die Betroffenen selbst lautstark ihr Menschenrecht auf Behandlung ein. Der politische Druck, den sie zusammen mit der Zivilgesellschaft aufbauten, bewirkte, dass die Politik in die Behandlung von HIV investierte. Politische Entscheidungsträger machten sich zudem dafür stark, dass HIV-Kranke nicht nur in speziellen Kliniken, sondern auch in örtlichen Gesundheitszentren versorgt werden konnten. Für die entwarf man einfache Anleitungen, was bei der Behandlung von HIV-Kranken wichtig war und wie deren Zustand am besten überwacht werden konnte. So konnten örtliche Gesundheitskräfte HIV-Betroffene betreuen, ohne speziell dafür ausgebildet worden zu sein.

Verbesserte Aufklärung

Darüber hinaus wurden auch die Patienten selbst besser über ihre Krankheit aufgeklärt, so dass sie diese besser verstehen und auch kontrollieren konnten. In diesem Sinne einigte man sich auf eine sogenannte Erstlinientherapie mit einer Kombination verschiedener antiretroviraler Wirkstoffe und damit auf eine erste Behandlungsform für alle, die voraussichtlich den größten Erfolg versprach. Betroffenen wurde erläutert, wie wichtig es für ihre Gesundheit war, dass sie sich an die ärztlichen Vorgaben hielten. Auch legte man in den örtlichen Gesundheitszentren Patientenakten an. Menschen mit HIV konnten auf diese Art auch von nicht-klinischem Personal betreut werden und benötigten keinen monatlichen Check-up in einer Klinik. 

Dank dieser Erkenntnisse und Reformen wurde die antiretrovirale Behandlung ausgeweitet. Heute werden die meisten Menschen mit HIV im Dreimonatsrhythmus in örtlichen Gesundheitszentren ihrer Heimatgemeinde betreut, wo sie hauptsächlich Medikamente bekommen und darin bestärkt werden, sich an ihre Therapievorgaben zu halten. Die Aktivität der HI-Viren ist bei denjenigen, die heute in Afrika in antiretroviraler Therapie sind, im Durchschnitt fast zu 90 Prozent unterdrückt. Eine weitere Aufgabe besteht nun darin, das Auftreten von HIV und die Sterblichkeit daran in den besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen zu senken, in denen 70 Prozent aller Neuinfektionen auf dem Kontinent auftreten. 

Medikamentenknappheit als großes Problem

Anders als im Fall HIV gibt es für Diabetes und Bluthochdruck noch keine Versorgungsmodelle, die mit dem großen Behandlungsbedarf Schritt halten. Je nach Region kommt es noch immer vor, dass Diabetes nur in (Fach)Kliniken von darauf spezialisierten Ärzten behandelt wird, zu horrenden Kosten für die Patienten. Menschen mit Bluthochdruck können zwar in örtlichen Gesundheitszentren versorgt werden. Aber auch dort werden nur wenige von ihnen zum Thema Ernährung und Lebensstil beraten, obwohl beide Faktoren für die Kontrolle ihrer Krankheit wichtig sind. Auch sollten Angaben zur Behandlung und zur Medikamentenkombination vor Ort erfasst und für die weitere Behandlung dokumentiert werden, was viel zu wenig geschieht. Dabei kommen viele Patienten monatlich vorbei, um ihren Blutdruck und auch ihren Blutzuckerspiegel messen zu lassen. 

Ganz wie anfangs bei HIV setzt man in Afrika heute im Umgang mit nicht ansteckenden Krankheiten auf die Kliniken. Sollen die vielen Menschen mit Diabetes und Bluthochdruck angemessen versorgt werden, muss sich das ändern. Ein Bündnis aus Interessenvertretern wie Patienten, Mitgliedern der Zivilgesellschaft und Politikern kann wie damals im Fall von HIV einen Wechsel bewirken. Eines der größten Probleme für Diabetes- und Bluthochdruckprogramme in Subsahara-Afrika ist die Medikamentenknappheit.

Mehr Zusammenarbeit mit der WHO erforderlich

Afrikanische Staaten haben am Beispiel HIV erfahren, wie wichtig der Zugang zur Behandlung ist, um eine Krankheit unter Kontrolle zu kriegen. In der Anfangszeit der antiretroviralen Therapie betrugen die Kosten pro Patient knapp 6000 Euro jährlich, heute sind es weniger als 60 Euro. Medikamente gegen Diabetes und Bluthochdruck sind schon heute als Generika erhältlich und kosten weniger als HIV-Medikamente. Regierungen und internationale Geber müssen zusammenarbeiten, um ihre günstigere Verbreitung zu beschleunigen. Bei der antiretroviralen Behandlung von HIV haben sie es schon einmal geschafft. Heute werden 60 Prozent der HIV-Programme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen aus eigenen staatlichen Mitteln finanziert. 

Darüber hinaus sollten afrikanische Regierungen miteinander und mit der Weltgesundheitsorganisation zusammenarbeiten, um Medikamenteneinkäufe zu bündeln und auf diese Weise günstigere Preise auch für Diabetes- und Blutdruckmedikamente auszuhandeln – so ist es bei HIV geschehen und so läuft es momentan auch bei Covid-19-Impfstoffen im Rahmen der COVAX-Initiative. 

Eine starke Zivilgesellschaft hat in den vergangenen 20 Jahren dafür gesorgt, dass in ganz Afrika eine Infrastruktur zur Behandlung von HIV-Patienten aufgebaut wurde. Dieselbe Infrastruktur muss nun für Menschen mit Diabetes und Bluthochdruck geschaffen werden. Denn diese beiden Krankheiten sind der Notfall im heutigen Afrika.

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2021: Das Spiel der großen Mächte
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