In der Vertrauensfalle

Auch in kirchlichen Entwicklungswerken ist mehr Vorsorge gegen Korruption nötig

Von Konrad Melchers

Korruption ist auch in der kirchlichen Entwicklungsarbeit ein Problem. Wie man ihr besser vorbeugen kann, hat eine Arbeitsgruppe von Transparency International-Deutschland untersucht. Sie fordert von Kirchen und kirchlichen Werken mehr Transparenz – sowohl im Norden als auch bei den Partnern im Süden.

Im Kampf gegen die Korruption sehen sich die Kirchen gern als Vorreiter. So zitierte Papst Benedikt XVI. bei seiner Amtseinführung im April 2005 auf dem Petersplatz in Rom seinen Vorgänger Johannes Paul II.: „Die Mächtigen der Welt“ hätten Angst, Christus könnte ihnen „die Herrschaft der Korruption“ wegnehmen. Der Ökumenische Rat der Kirchen stellte bei seiner 8. Vollversammlung 1998 in Harare fest: „Korruption ist ein Hauptübel in unseren Gesellschaften. Wir halten das Recht jedes Menschen hoch, gegen korrupte Praktiken durch Gesetze geschützt zu werden.“

Aber beherzigen die Kirchen diese hehren Maßstäbe auch selbst? Und wie verhält es sich bei den kirchlichen Entwicklungsorganisationen, die mit dem Slogan um Spenden warben und werben: „Ihre Mark (Euro) kommt an“?

Um dieser Frage nachzugehen bildeten im Mai 2004 sieben Expertinnen und Experten, die aus ihrer Arbeit in und mit kirchlichen Entwicklungsorganisationen Erfahrung mit Korruption haben, im Rahmen von Transparency International Deutschland (TI-D) eine Arbeitsgruppe. Nach dreijähriger Arbeit legten sie im August 2007 ein Arbeitspapier vor, das sie 33 kirchlichen Entwicklungs- und Missionswerken „zum internen Gebrauch“ zusandten.

Inzwischen hat ein großer Teil der Werke reagiert und es sind Veranstaltungen geplant, auf denen demnächst die Ergebnisse und Empfehlungen der Arbeitsgruppe erörtert werden sollen. Zu einem ersten Auswertungsgespräch hat die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) Ende April 2008 eingeladen.

Das Papier der Arbeitsgruppe unterstreicht die Vorbildfunktion der Kirchen in der Gesellschaft. In der Entwicklungsarbeit müssten sie „als Sauerteig wirken“, wird der frühere Entwicklungsminister Erhard Eppler zitiert. Deshalb seien die Erwartungen an die Kirchen auch bei der Korruptionsbekämpfung hoch. Diese würden aber „bisher nicht immer erfüllt“. In Politik und Wirtschaft habe seit Mitte der 1990er Jahren in Bezug auf das Thema Korruption ein Umdenken eingesetzt. Heute werde offen über die Schäden, die Korruption anrichtet, und über die Wege zu ihrer Bekämpfung gesprochen. Ein vergleichbarer Wandel stehe in den Kirchen noch weitgehend aus.

Theodor Ahrens, emeritierter Professor für Missionswissenschaft und ökumenische Beziehungen der Kirchen, stellt in seinem gerade veröffentlichten Buch „Vom Charme der Gabe“ ebenfalls fest, dass Korruption auch ein Problem der kirchlichen Missions- und Entwicklungszusammenarbeit ist. Er hatte 41 leitende Mitarbeitende evangelischer Missions- und Hilfswerke befragt. 95 Prozent der Befragten erklärten, dass Korruption in ihrem Verantwortungsbereich ein Problem darstellt.

Das Papier der TI-D-Arbeitsgruppe kennzeichnet zuerst die Erscheinungsformen der Korruption in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit. Dabei verwendet es nicht nur die enge Definition von Korruption als  Missbrauch anvertrauter Macht zu privatem Vorteil, sondern eine erweiterte – Korruption als Missbrauch anvertrauter Güter allgemein. Denn jeder Euro, der infolge von Korruption in die falschen Hände gerät, werde der Zielgruppe, den Armen, gestohlen. Damit würden auch ungerechte Machtverhältnisse verfestigt.

Als erste Form der Korruption wird die Veruntreuung von Projektmitteln genannt. Beispiele dafür sind, wenn Gebäude, die mit solchen Mitteln errichtet wurden, für im Projektvertrag nicht vorgesehene – im Extremfall private – Zwecke verwandt werden; wenn Gehälter für fiktive Personen und Reisespesen für nicht angetretene Dienstreisen bezahlt werden oder wenn Projektfahrzeuge als Taxi benutzt werden. Preismanipulationen bei Materialkäufen oder bei Aufträgen an Dritte, mit denen sich Auftraggeber und Auftragnehmer Provisionen zuschanzen, sowie gefälschte Belege sind Veruntreuungsformen, die auch bei guter Finanzkontrolle nur schwer aufzudecken sind, stellt die Arbeitsgruppe fest. Die Verwendung von Mitteln für pastorale statt für vereinbarte entwicklungspolitische Zwecke wird ebenfalls als eine Veruntreuungsform eingeschätzt.

Zu korrupten Praktiken, die in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit vorkommen, gehören weiter: Versteckte Finanzgewinne aus Geldanlagen oder aus Wechselkursgewinnen auf dem „Schwarzmarkt“, Nepotismus, Ämterhandel und bevorzugte Behandlung in Schule und Krankenhaus. Es kommt vor, so der Bericht, dass Stellen mithilfe von Bestechung erworben werden – von Krankenschwestern in kirchlichen Einrichtungen bis hin zu Bischöfen in protestantischen Kirchen. Wo es korrupte Praktiken gibt, müssen Mitwisser bestochen werden, damit sie schweigen, und Hinweisgeber werden bedroht oder durch repressive Behandlung wie zum Beispiel Versetzung und Entlassung bestraft. Zum Schluss nennt der Bericht noch die „Beschleunigungsbestechung“ mit dem Ziel, die Zollabfertigung, die Erteilung staatlicher Genehmigungen oder die Zuteilung eines Telefonanschlusses zu beschleunigen. Hier liegt ein moralisches Dilemma vor, denn in vielen Fällen wäre ohne solche Zahlungen der Erfolg eines Projekts gefährdet.

Keine Angaben zur Häufigkeit

und zum Umfang von Korruption

Die Arbeitsgruppe macht keine Aussagen über die Häufigkeit und den Umfang der einzelnen korrupten Praktiken. Sie begründet dies damit, dass der Arbeitsgruppe darüber keine Daten vorgelegen hätten. Ahrens liefert hier mit seiner Befragung erste Erkenntnisse. Immerhin bezeichnen 42 Prozent seiner Befragten den Stellenwert des Korruptionsproblems als hoch, eine knappe Mehrheit von 54 Prozent sieht dagegen „Korruption als eine zwar immer wiederkehrende Störung, insgesamt aber als ein nachgeordnetes Problem innerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs“. Ähnlich verteilt ist die Einschätzung, wer korrupt ist: 46 Prozent der Befragten meinen, „Korruption zeige sich vor allem auf der Leitungsebene der ökumenischen Partner“. 61 Prozent sehen demgegenüber keine klare Ebene der Verantwortlichen, sondern meinen, „Korruption tauche bei der Umsetzung von Projekten im Einzelfall auf“.

Detailliert geht die Arbeitsgruppe auf „strukturelle Ursachen“ der Korruption sowohl bei den Nord- als auch bei den Südkirchen ein. Die Ursachen bei den Nordkirchen werden als „Fehlverhalten der Hilfswerke“ zusammengefasst und liegen hauptsächlich in Mängeln der Projektvereinbarungen und unzureichender Hilfestellung gegenüber den Partnern im Süden.

Mehrere Gründe für solches Fehlverhalten werden genannt. Der erste liegt in falsch ausgerichteten Projektzielen. Als ein Beispiel nennt die Arbeitsgruppe Projektziele, die in der entwicklungspolitischen Debatte im Norden „in Mode“ waren, aber „nicht den Bedürfnissen der Partner im Süden entsprachen.“ Ein zweiter Grund sind Mängel in den Managementstrukturen: Oft sind Projekt- und Finanzverantwortliche dieselben Personen, oder die Arbeitskapazität reicht nicht aus, um zu gewährleisten, dass auch bei verstärktem Spendenfluss nach Katastrophen oder erhöhten Zuschüssen aus dem Entwicklungsministerium hinreichende Projektprüfungen und Kontrollen stattfinden.

Als weitere Gründe führt die Studie das Versagen der Aufsichtsgremien an, denen es oft an Unabhängigkeit gegenüber den Entscheidungsträgern der Entwicklungsorganisationen fehlt. Hinzu kommt die Sorge um das Ansehen der Organisation: Sie kann Verantwortliche veranlassen, erkannte Korruption zwar im Einzelfall zu ahnden, aber sonst mit Stillschweigen zu übergehen. Als weiterer Grund wird falsch verstandene Solidarität genannt, wenn etwa durch das Eingreifen höherer kirchlicher Stellen  korrupte Projektpartner vor Sanktionen geschützt werden. Und schließlich kann es an Transparenz fehlen, die von der Arbeitsgruppe zu den wichtigsten Instrumenten der Korruptionsprävention gezählt wird.

Zu den strukturellen Ursachen der Korruption bei den Südkirchen zählt die Arbeitsgruppe zum einen das Erbe der Missionen. Dazu wird zusammenfassend festgestellt: „In Jahrhunderten der Missionierung und Jahrzehnten der Entwicklungszusammenarbeit sind bei den Partnern im Süden Strukturen entstanden, durch die korruptives Verhalten begünstigt wurde.“ Beklagt werden „Erbhöfe der Macht“ bei Kirchen im Süden, die heute äußerst schwierig zu verändern sind. Sogar bis in die 1990er Jahre blieb in vielen Bistümern die Verwaltung in der Hand von Weißen und zum Zeitpunkt der Übergabe waren keine geeigneten Verwaltungs- und Kontrollstrukturen aufgebaut.

Eine zweite Ursache der Korruption bei Südkirchen ist die Vermischung von pastoraler und Entwicklungsarbeit, deren Trennung für diese Kirchen oft schwer verständlich ist. Dazu kommt, dass sie große Schwierigkeiten haben, die pastorale Arbeit selbst zu finanzieren. Entsprechend groß ist deshalb die Versuchung, dafür Geld aus der Entwicklungsarbeit abzuzweigen. Drittens nennt das Papier Mängel in der Organisation und der Qualifika­­­­­tion des Personals. Auch den Südkirchen fehlt es oft an der notwendigen Arbeitsteilung zwischen operativen und kontrollierenden Aufgaben. Eine institutionalisierte Beteiligung von Zielgruppen an Entscheidungen und Kontrollen ist in kirchlichen Entwicklungsprojekten noch selten.

Schließlich kann ein Mangel an Transparenz und Öffentlichkeit die Korruption begünstigen. Wer Missstände an die Öffentlichkeit bringt, muss mit schmerzhaften Sanktionen rechnen. Selbstkritische Analysen fallen den Kirchen auch wegen ihres eigenen moralischen Anspruchs schwer. „Es wird pastoral verbrämt, dass Pastoren oder gar Bischöfe Unrecht tun können“, stellt die Arbeitsgruppe in ihrem Papier fest.

Der Korruptionsprävention innerhalb der Kirchen, so kann zusammenfassend festgestellt werden, drohen also eine Vertrauensfalle und eine Hierarchiefalle. Die kirchlichen Entwicklungsorganisationen sind Gefangene ihrer eigenen hohen moralischen Ansprüche. Entsprechend hoch erscheint der Gesichtsverlust vor allem für ihre Verantwortungsträger, wenn sie öffentlich zugeben müssen, dass es auch unter ihren Fittichen und selbst in ihren Reihen Korruption gibt.

Aus den genannten Ursachen leitet die Arbeitsgruppe Empfehlungen für Korruptionsprävention ab. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Schaffung von Transparenz sowie Rechenschaftslegungen unter Beteiligung der Nutznießer (Zielgruppen) von Entwicklungsmaßnahmen.

Es ist verdienstvoll, dass die Arbeitsgruppe das Thema Korruption in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit aus der Tabuzone herausgeholt hat. Bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung der Lösungsvorschläge in Gang kommt und der Schaden, den die Korruption angerichtet hat, durch eine quantitative und qualitative Bewertung ihrer Erscheinungsformen noch deutlicher werden wird.

Der erweiterte Korruptionsbegriff, der über die persönliche Bereicherung mittels Macht hinausgeht, liefert allerdings auch Stoff für eine differenzierte Betrachtung. Denn dass Projektziele „vereinbart“ sind, heißt ja noch längst nicht, dass angesichts der ungleichen Machtverhältni­­­­sse zwischen Geber und Nehmer – auch in de­­r kirchlichen Entwicklungsarbeit – wirklich Konsens darüber bestünde. Und allzu leicht können die Ziele von Entwicklungsprojekten technokratisch verengt werden. Gerade die ­Kirchen sollten sich daher den „Charme der Gabe“ erhalten.   

Literatur

Transparency International Deutschland (TI-D), Arbeitsgruppe Korruptionsprävention in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit (Reinold E. Thiel, Dr. Christiane Achoff-Ghyczy, Karin Döhne, Clemens Ecken, Hartwig Euler, Dr. Eike Gelfort und Sonja Grolig): Korruption in der Entwicklungszusammenarbeit – ein Problem auch für kirchliche Organisationen, August 2007, 34 Seiten.

Theodor Ahrens: Vom Charme der Gabe. Theologie Interkulturell, Verlag Otto Lembeck, Frankfurt a.M. 2008, 292 Seiten.

  Konrad Melchers ist Fachjournalist für Entwicklungs­politik und war bis Ende 2007 Chefredakteur der Zeitschrift „eins Entwicklungspolitik“.

welt-sichten 4-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2008: Müllprobleme
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