Amos Tulitoka beispielsweise lebt auf den Buvuma-Inseln in Uganda. Seit er als Kind an Polio erkrankte, hat der 23-Jährige eine Gehbehinderung, die sich durch einen Verkehrsunfall noch verschlimmerte. Mit einfachen Gärtnerarbeiten hält er sich finanziell über Wasser. Aber auch für andere ist das Leben auf den abgelegenen Inseln im Victoriasee beschwerlich. Es gibt keinen Strom, die zwei Gesundheitsstationen sind schlecht ausgestattet, nur ein Arzt versorgt die Bevölkerung auf den mehr als 50 Inseln. Die meisten medizinischen Behandlungen sind nur auf dem Festland möglich, die wenigen Schiffsverbindungen sind unzuverlässig. Tulitoka erzählt meinem Kollegen aus dem CBM-Landesbüro: „Transport ist das größte Problem für mich, wegen meiner Behinderung benutze ich einen langen Stock als Krücke.“ Aufgrund der Kontaktbeschränkungen erhält er momentan kaum Arbeitsaufträge und verdient nicht genug Geld, um Essen zu kaufen. Lebensmittelspenden sichern ihm zumindest eine Mahlzeit pro Tag.
Barrierefreie Gesundheitsstation auf den Buvuma-Inseln?
Amos Tulitokas Schicksal macht deutlich: Menschen, die ihre grundlegenden Rechte aufgrund ihrer Behinderung, ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft nicht ohne Weiteres wahrnehmen können und viel zu oft vergessen werden, müssen die wichtigste Zielgruppe von Entwicklungszusammenarbeit sein. Das ist eine menschenrechtliche Verpflichtung und auch eine klare Vorgabe der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung. Die besagt nicht nur, dass niemand zurückgelassen werden soll („leave no one behind“), sondern auch, dass die Letzten zuerst erreicht werden sollen („reach the furthest behind first“). Leider wird der zweite Aspekt oft vergessen.
Oft ist es zu verlockend, den leichtesten und im wahrsten Sinne des Wortes kürzesten Weg zu gehen. So mögen sich viele fragen: Warum in einer abgelegenen Region wie den Buvuma-Inseln eine barrierefreie Gesundheitsstation bauen, wenn doch auch das bestehende Krankenhaus in der Hauptstadt eine Modernisierung benötigt und diese schnell umzusetzen und zeitnah als Erfolg zu verbuchen ist? Ganz einfach: Weil sich sonst für die einen die Gesundheitsversorgung verbessert, während sie für die anderen außer Reichweite bleibt. Und sich die Ungleichheit dabei noch verstärkt. Das ist nicht im Sinne einer nachhaltigen und umfassenden Entwicklungszusammenarbeit, die allen Menschen die gleichen Chancen und Zugänge eröffnen sollte.
Die Schwächsten in den Fokus rücken
Der Ansatz dazu ist zweigleisig: Zum einen braucht es inklusive Projekte, die alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen erreichen und niemanden ausschließen. Zum anderen muss es aber auch besondere Programme geben, die sich gezielt an die Menschen richten, die trotz allem leicht vergessen und kaum erreicht werden – etwa Menschen in abgelegenen Regionen, Frauen, Kinder, alte und kranke Menschen sowie insbesondere Menschen mit Behinderungen. Menschen wie Amos Tulitoka. Nur so haben sie überhaupt die Möglichkeit aufzuholen. Und nur so kann sich die Kluft zwischen den Armen und denen, die gar keine Chance haben, langsam schließen.
Alles in allem ist ein solches Vorgehen nicht deutlich aufwendiger oder teurer. Es geht vor allem darum, die Bedürfnisse marginalisierter Gruppen von Anfang an und konsequent bei der Projektentwicklung mitzudenken und sie einzubinden.
Die Schwächsten in den Fokus rücken, das muss die entwicklungspolitische Leitlinie dieser Legislaturperiode sein. Daran muss sich die neue Bundesregierung messen lassen. Denn nur so kann sie einen Beitrag zu einer gerechteren Welt leisten.
Neuen Kommentar hinzufügen