Die Hospizarbeit in Rumänien steckt noch in den Anfängen
Gespräch mit Ortrun Rhein
Rumänien ist seit mehr als einem Jahr Mitglied der Europäischen Union. Während die wirtschaftliche Entwicklung zunehmend in Gang kommt, bleiben die Sozial- und Gesundheitssysteme auf der Strecke.
In Deutschland gibt es mehr als 140 stationäre Hospize und rund 1.000 ambulante Hospizdienste. Wie ist die Versorgung für Todkranke und Sterbende in Rumänien?
Die Hospizarbeit ist noch relativ neu. Das erste Hospiz wurde vor zehn Jahren in Kronstadt gegründet, es ist die größte Einrichtung im Land. Es hat 13 Plätze für Erwachsene und eine Kinderabteilung mit acht Betten. Angeschlossen sind ein ambulanter Dienst und eine Ausbildungsstätte für Pflegekräfte in der Palliativmedizin. Dann gibt es unser Hospiz in Hermannstadt sowie zwei weitere in Temeswar und in Costanza. In einigen Orten bestehen zudem ambulante Hospizdienste. Die Hospizarbeit ist aber in Rumänien nicht gesetzlich geregelt. Um das zu erreichen, wären Öffentlichkeitsarbeit und ein Interesse seitens der Regierung erforderlich. Aber dieses Interesse besteht nicht. Man kann weder mit Hospiz- noch mit Altenarbeit politisch Karriere machen.
Sie leiten seit knapp anderthalb Jahren das Hospiz in Hermannstadt. Wie hat sich Ihre Arbeit entwickelt?
Das Hospiz hat zwei Abteilungen mit insgesamt 14 Plätzen und sie sind immer besetzt. Wir wollten die Größe der Einrichtung von vorneherein beschränken, damit die familiäre Umgebung erhalten bleibt. Das Hospiz sollte nicht zur moderneren Variante eines Krankenhauses werden. Aber wir müssen auch in der Lage sein, die Notfälle aus der onkologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses zu übernehmen.
Das Hospiz liegt auf demselben Gelände wie das Altenheim „Dr. Carl Wolff“. Zu Beginn haben wir deshalb vor allem alte Menschen überwiesen bekommen. Inzwischen hat sich das verändert. Die meisten unserer Patienten sind zwischen 21 und 40 Jahre alt, sie bleiben im Durchschnitt 21 Tage bei uns. Fast alle sind an Krebs erkrankt. Wir haben auch zwei junge Menschen gepflegt, die an Multipler Sklerose litten. Diese Krankheit wird in Rumänien kaum behandelt. Für solche Fälle müssten dringend separate Abteilungen in Krankenhäusern eingerichtet werden. 30-Jährige, die für längere Zeit auf Pflege angewiesen sind, kann man nicht in einem Altenheim unterbringen.
Wie finanziert sich die Einrichtung?
Seit Oktober vergangenen Jahres haben wir einen Vertrag mit der rumänischen Krankenkasse. Darum mussten wir mehr als ein Jahr lang kämpfen. Sie trägt etwa die Hälfte unserer Kosten, die andere Hälfte finanzieren wir über Spenden, vor allem mit Hilfe von „Hoffnung für Osteuropa“. Die Hospizarbeit hat in Rumänien noch keinen großen Stellenwert. Die Familien haben Schwierigkeiten, für ihre Kinder das Schulgeld zu bezahlen und ihren Alltag in den Griff zu bekommen. Fast jede junge Familie lebt mit Hilfe von Zweitjobs. Vorrang hat die Sorge für die Lebenden. Deshalb gehen Spenden auch meist in Projekte für Kinder und Jugendliche.
Wie steht es mit öffentlichen Fördermitteln?
Eine Beteiligung der Kommune ist zwar von der Europäischen Union vorgeschrieben, aber das heißt noch lange nicht, dass diese Norm auch erfüllt wird. Es ist kein Geld dafür da. Die Kommune musste zudem ab 2007 per Gesetz die staatlichen Altenheime und die Schulen übernehmen. Das sind zusätzliche Kosten, für die es keine zusätzlichen Finanzhilfen gibt. Die Stadt wird sich also dagegen wehren, ein weiteres Projekt zu finanzieren.
Viele Hospize in Deutschland arbeiten mit Ehrenamtlichen. Tun Sie das auch oder beziehen Sie die Angehörigen in die Betreuung der Sterbenden ein?
Das Gesundheitssystem in Rumänien fordert die Angehörigen erheblich. Im Krankenhaus bekommt man außer einem Bett nicht sehr viel. Die Familie muss den Kranken waschen, pflegen und füttern. Sie bringt Essen mit und beschafft Medikamente. Die Angehörigen sind so daran gewöhnt, für ihre Kranken zu sorgen, dass es ihnen schwerfällt, das anderen zu überlassen. Es ist eher umgekehrt: Wir müssen die Familien bitten, die Patienten auch einmal allein zu lassen. Ehrenamtliche Mitarbeiter beschäftigen wir nicht.
Rumänien ist seit 1. Januar 2007 Mitglied der EU. Die Wirtschaft wächst, die Zahl der Arbeitslosen geht zurück. Wie verläuft die Entwicklung im Gesundheitswesen?
Viele Krankenhäuser sind in einem katastrophalen Zustand. Seit 17 Jahren sprechen wir über eine Gesundheitsreform, doch bislang hat sich kaum etwas verändert. Einige Medikamente wie beispielsweise Insulin sind zwar inzwischen besser verfügbar. Doch vor allem für Krebspatienten gibt es zu wenig Behandlungsmöglichkeiten und Arzneimittel. Im Dezember vergangenen Jahres haben Krebskranke vor dem Parlament in Bukarest mit großen Spruchbändern demonstriert. Darauf stand: „Wir bitten um Entschuldigung, dass wir krank geworden sind!“ Man hat dann einmal darüber gesprochen, es erschienen ein paar Zeitungsartikel und dann wurde das Thema totgeschwiegen.
Für Krebs gibt es außerdem kaum Vorsorgeuntersuchungen. Die bürokratischen Hürden machen es den Menschen sehr schwer, sich untersuchen zu lassen. Vor allem Menschen auf dem Land fallen häufig durch das soziale Netz. Der Hausarzt muss eine Überweisung für die Onkologie ausstellen. Viele Dörfer haben jedoch keinen Hausarzt. Man muss schon ein Notfall sein, um direkt auf die Onkologie zukommen. Die Krankheit wird häufig zu spät festgestellt, so dass kaum noch eine Chance auf Heilung besteht.
Wie steht es um das medizinische Personal?
Krankenschwestern und Pfleger bekommen eine gute Ausbildung. Das trifft allerdings vor allem auf die Theorie zu. Das Problem ist die praktische Anwendung. Sie lernen zum Beispiel die verschiedenen Lagerungstechniken. Aber es gibt nicht genug oder gar keine Hilfsmittel, um die Techniken anzuwenden. Im Krankenhaus ist es zudem üblich, dass die Schwestern für jeden Handgriff von den Patienten oder Angehörigen etwas zugesteckt bekommen. Das machen wir anders. Wir halten in jedem Vertrag fest, dass der Arzt und die Krankenschwestern nichts extra bekommen. Wir möchten zeigen, dass man auch gepflegt werden kann, wenn man nichts anbietet.
Wie sehen Sie die Zukunft der Hospizbewegung in Rumänien?
Wir hoffen, dass Hospize in die Gesetzgebung hineingenommen werden, um die Arbeit finanziell abzusichern. Es gibt in Rumänien keine Pflegekassen. Das Gesundheitsministerium muss die Kosten übernehmen. Gleichzeitig müssen Qualitätskriterien festgelegt werden. Der Personalschlüssel muss höher sein als in einem Krankenhaus, die Beschäftigung eines Palliativmediziners muss Pflicht sein. Darüber hinaus ist eine familiäre Umgebung wichtig. Neben der Pflege brauchen die Menschen in ihren letzten Wochen das Gefühl, dass sie im Mittelpunkt stehen. Sie müssen spüren, dass ihr Wort und ihre Präsenz noch zählen.
Auch das gesellschaftliche Bewusstsein muss sich verändern. Die Menschen nehmen die Hospize zwar wahr und finden es gut, dass es sie gibt. Aber mit dem Tod möchte niemand viel zu tun haben. Er ist zwar kein Tabuthema wie in vielen westlichen Ländern. Eher im Gegenteil: Die Familien nehmen ihre Verstorbenen mit nach Hause. Sie machen nicht die Tür zu und verstecken sich. Es gibt einen Totenkult in der orthodoxen Kirche. Aber die meisten Menschen sind so mit ihrem Alltag beschäftigt, dass Sterben und Tod nicht die großen Themen sind.
Die Fragen stellte Gesine Wolfinger.
Ortrun Rhein leitet das Altenheim „Dr. Carl Wolff“ im rumänischen Hermannstadt, auf dessen Gelände im September 2006 ein Hospiz eröffnet wurde. Es wird von der evangelischen Hilfsaktion „Hoffnung für Osteuropa“ unterstützt.
welt-sichten 2/3-2008