Adoption oder Kindesentführung?

Matthieu ZELLWEGER/HAYTHAM-REA/laif/
Adoptiert - oder entführt? Wie dieser Frau aus Sri Lanka, die im französischsprachigen Teil der Schweiz aufgewachsen ist, geht es vielen jungen Menschen, die in den Achtziger Jahren von Schweizern adoptiert wurden. Sie wissen nicht, ob ihre Adoption legal abgelaufen ist oder ob Menschenhändler sie vermittelt haben.
Schweiz
Rund 700 Paare haben in den 1980er und 1990er Jahren Kinder aus Sri Lanka in die Schweiz adoptiert – oft illegal. Nun rügt der UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen die Schweiz für ihren Umgang mit den Adoptivkindern.

Das Land tue zu wenig, um den adoptierten Personen zu helfen, heißt es in dem Bericht des UN-Gremiums. So sei man „besorgt darüber, dass die Schweiz offenbar keine Maßnahmen ergreift, um die Täter zu verfolgen und den Opfern zu ihrem Recht auf Wiedergutmachung zu verhelfen“. Gemeint sind mit Tätern verschiedene Schweizer Personen und Organisationen, die Kinder aus Sri Lanka vermittelt und dabei mit Kinderhändlern zusammengearbeitet haben.

Den Schweizer Behörden war bekannt, dass in Sri Lanka Kinder gegen Geld, Güter des täglichen Bedarfs und Luxuswaren eingetauscht wurden. Zu diesem Schluss kommt ein bereits vergangenes Jahr publizierter Forschungsbericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Auftrag des Bundesamts für Justiz. Laut den Forschenden hätten die Kantone zu ungenau geprüft, wie die Adoptionen abliefen und woher die Kinder kamen. Und der Bund habe seine Aufsichtsfunktion nicht wahrgenommen. Die Interessen der Schweizer Paare, die unbedingt Kinder wollten, seien höher gewichtet worden als die Interessen der Kinder.

Schweiz hat Verfehlungen offiziell eingestanden

Daraufhin hat der Bundesrat Ende letzten Jahres in einer Stellungnahme verlauten lassen, dass er die Versäumnisse der Behörden bei den illegalen Adoptionen aus Sri Lanka „anerkennt und bedauert“. Damit ist die Schweiz das erste Land, das Verfehlungen bei Adoptionen aus Sri Lanka offiziell eingestanden hat. In den 1980er Jahren gelangten Tausende von sri-lankischen Kindern unter zweifelhaften, oft illegalen Bedingungen auch in andere europäische Länder, etwa nach Deutschland und in die Niederlande.

Das abschließende Urteil des UN-Gremiums gegenüber der Schweiz ist deutlich: Nach allem, was die Bundesbehörden der Schweiz gewusst hätten, hätten sie nicht erwogen, „einen generellen und dauerhaften Adoptionsstopp für Kinder aus Sri Lanka zu erlassen“. Das sei ein Versäumnis, denn es habe sich um Fälle von „Verschwindenlassen“ von Personen und Kindesentführung gehandelt sowie Fälschung, Verheimlichung oder Vernichtung von Ausweispapieren. Die Schweiz solle nun die Angelegenheit gründlich und unparteiisch untersuchen, die Täter identifizieren und bestrafen. Außerdem müsse sie die Betroffenen bei der Feststellung ihrer Identität und Abstammung sowie der Klärung der Umstände ihrer Adoption unterstützen. 

Auch weitere Herkunftsländer betroffen? 

Der Bundesrat erklärt, die Empfehlungen des UN-Ausschusses zu prüfen. Zudem werde sich eine Arbeitsgruppe darum kümmern, wie die betroffenen Personen bei ihrer Herkunftssuche unterstützt werden können. Außerdem will der Bundesrat die historische Aufarbeitung der illegalen Adoptionen in der Schweiz ausweiten. Eine ergänzende Forschungsarbeit zur ZHAW-Analyse soll zeigen, ob es Hinweise auf systematische Unregelmäßigkeiten bei Adoptionen auch aus weiteren Herkunftsländern gibt.

Die Interessensgemeinschaft „Back to the Roots“, die sich seit 2018 für adoptierte Personen aus Sri Lanka in der Schweiz einsetzt, begrüßt das Bekenntnis des Bundesrates. Mit dem Projekt „Mother and Child Reunion in Sri Lanka“ versucht sie, mittels DNA-Proben suchende Mütter in Sri Lanka mit ihren Kindern in der Schweiz zusammenzuführen.  Finanziert wird das Projekt durch eine Crowdfunding-Kampagne. Sarah Ineichen ist die Gründerin von Back to the Roots. Sie wünscht sich vom Bund, dass dieser Betroffene unbürokratisch und kostenlos unterstützen werde.

In der Schweiz wurden die Hürden für Auslandsadoptionen inzwischen erhöht. Das sogenannte Haager Übereinkommen verlangt, dass Kinder nur ins Ausland adoptiert werden dürfen, wenn im Heimatland keine Eltern gefunden werden können. Damit soll unter anderem der Kinderhandel unterbunden werden. In der Schweiz trat das Abkommen 2003 in Kraft. Im Laufe der Jahre hat die Zahl der Adoptionen in der Schweiz kontinuierlich abgenommen, von 1583 im Jahr 1980 auf 432 im Jahr 2020. Vergangenes Jahr kam nur noch weniger als ein Viertel der adoptierten Kinder aus außereuropäischen Ländern. Laut des Bundesamts für Statistik ist der Rückgang überwiegend auf Anpassungen bestehender Gesetze und die Anwendung des Haager Übereinkommens zurückzuführen.
 

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