Die libanesische Wirtschaft liegt am Boden. Das Finanzsystem, über das sich die politischen Eliten über Jahrzehnte skrupellos bereichert haben, ist zusammengebrochen. Der Staat kann die Gehälter der vielen Angestellten im öffentlichen Dienst nicht mehr zahlen und verfügt kaum noch über Devisen für die für das Land wichtigen Importe von Weizen, Treibstoff und Medikamenten. Eine galoppierende Inflation hat dazu geführt, dass mittlerweile mehr als die Hälfte der sechs Millionen Libanesinnen und Libanesen unter der Armutsgrenze lebt. Strom gibt es selbst in der Hauptstadt Beirut nur noch für einige Stunden am Tag, was sich verheerend auf die Gesundheitsversorgung sowie auf die Kommunikation im Land auswirkt.
Die libanesischen Politiker unterdessen schaffen es nicht, sich zusammenzuraufen. Die politische Macht im Libanon war über Jahrzehnte nach einem ausgeklügelten System unter den vielen verschiedenen Religionen und Denominationen verteilt gewesen. Seit Beginn der Krise aber blockieren sich deren Vertreter gegenseitig mit der Folge, dass das Land seit fast einem Jahr keine Regierung mehr hat.
Patriarch Raï: Korruption als Problem für das ganze Land
Das ruft auch die Kirchen auf den Plan: „Ich frage mich, ob der Staat ein Komplott gegen sein eigenes Volk schmiedet, während die Nation in einer Krise versinkt“, sagte der maronitische Patriarch Béchara Raï Ende Mai in einer Predigt. „Ein Teil der jetzigen Krise ist durch die Gier der politischen Klasse und durch eine Monopolpolitik entstanden, von der einige wenige profitieren konnten.“ Korruption und Schmuggel an den Grenzen müssten beendet werden, forderte er und rief die Weltgemeinschaft auf, der libanesischen Bevölkerung zu helfen.
Die maronitische Kirche ist die stärkste Kraft unter den libanesischen Christen, die noch ein knappes Drittel der Bevölkerung ausmachen. Als mit Rom unierte Kirche verfügt sie über beste Kontakte in den Vatikan. Und von dort kam nun eine für viele Libanesen hoffnungsvolle Geste. Papst Franziskus hatte „hochrangige christliche Führer aus dem Libanon zum Gebet und zu einer gemeinsamen Reflexion über die Situation im Land" eingeladen. So hatte er es bei einer Messfeier auf dem Petersplatz Ende Mai angekündigt. Gestern fand nun das Treffen des Papstes mit hochrangigen Kirchenführern in Rom statt.
Friedensgebet für den Libanon ohne muslimische Religionsführer
Kommentatoren und Analysten im Libanon hatten wochenlang über die Teilnehmer- und Themenliste spekuliert. Gekommen waren schließlich der maronitische Patriarch Kardinal Bechara Boutros Rai und der Patriarch der syrisch-katholischen Kirche von Antiochien, Ignatius Youssef III. Younan. Zudem der griechisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien, Youhanna X., der Patriarch der melkitischen griechisch-katholischen Kirche, Youssef Absi, und der armenische apostolische Katholikos Aram I. Der syrisch-orthodoxe Patriarch Ignatius Aphrem II. war ebenso dabei wie Joseph Kassabhas, Präsident des Obersten Rates der evangelischen Gemeinschaft in Syrien und im Libanon oder der chaldäische Bischof Michel Kassarji und der Apostolische Vikar von Beirut, Cesar Essayan.
Inhaltlich ging es nicht nur um religiöse, sondern auch um politische Themen. So hatte selbst das Friedensgebet zum Tagesabschluss eine politische Stoßrichtung. Etwa als Papst Franziskus sagte, es müsse Schluss damit sein, „den Libanon und den Nahen Osten für fremde Interessen und Profite zu benutzen!“ Und es tue not, „den Libanesen die Möglichkeit zu geben, in ihrem Land ohne ungebührliche Einmischungen Akteure einer besseren Zukunft zu sein“. Laut Kardinal Rai seien auch die Frage der Hisbollah, der Neutralität sowie der von Rai seit Monaten geforderten internationalen Libanonkonferenz thematisiert worden.
Der armenische Katholikos Aram I. hatte vorab gegenüber libanesischen Medien verkündet: „Wir werden nach Rom fahren als die Kirchen des Libanons und als Vertreter des gesamten Libanons.“ Es werde nicht darum gehen, eine christliche Front aufzubauen. „Als Libanesen sind wir stolz auf das Miteinander verschiedener Religionen im Land. Die Christen teilen die Probleme mit allen anderen im Land. Es gibt keine Trennlinien zwischen Libanesen.“ Indes hatte Mohammad Sammak, Präsident der Nationalen Kommission für den christlich-islamischen Dialog, gefordert, dass auch muslimische Vertreter bei dem Treffen in Rom dabei sein dürfen. Sammak berief sich dabei auf die Vermittlungsversuche der katholischen Kirche in den Jahren nach dem Bürgerkrieg, bei denen immer auch die muslimische Seite eingeladen war. Doch das war diesmal anders: Muslimische Repräsentanten waren nicht in den Vatikan eingeladen. Ob von dem Treffen dennoch ein wichtiger Impuls für eine längerfristige Lösung der Probleme im Libanon ausgeht, wird sich zeigen.
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