Wenn Gerichte Politik machen

Klimaschutz
Der Ölkonzern Shell muss seine Emissionen reduzieren, die Bundesregierung muss sich ehrgeizigere Klimaschutzziele bis 2030 setzen – zwei Gerichtsurteile haben im Frühsommer für Schlagzeilen gesorgt. Rechtlich sind sie fragwürdig, aber längerfristig könnten sich die Urteile als politische Meilensteine erweisen.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei "welt-sichten".
Ende Mai verurteilte ein niederländisches Gericht den Ölkonzern Shell dazu, seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2019 um 45 Prozent zu senken. Das Unternehmen sei verpflichtet, seinen Beitrag zum Klimaschutz gemäß dem Paris-Abkommen zu leisten. Geklagt hatten Umweltverbände und Bürger. Einen Monat zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung verdonnert, ihre Klimaschutzziele zu verschärfen. Das geltende Klimaschutzgesetz bis 2030 sei zu lasch mit der Folge, dass in den Jahren danach noch viel drastischere Einschnitte nötig würden, wenn wie versprochen Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 erreicht werden soll. Das aber werde dann die Freiheitsrechte der Klägerinnen und Kläger unverhältnismäßig beeinträchtigen.

Klimaschutzaktivistinnen haben beide Urteile als Durchbruch gefeiert. Problematische Aspekte wurden dabei ausgeblendet. Dabei verweisen gerade die auf die längerfristige Bedeutung beider Urteilssprüche. An der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist schwierig, dass es sich stark in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einmischt und damit seine Kompetenzen überschreitet. Das Gericht schaut in die Zukunft und maßt sich an einzuschätzen, ob eine bestimmte Politik in den kommenden Jahrzehnten ein bestimmtes Ziel erreichen wird oder nicht und wie stark sie Grundrechte einschränken wird. Am Urteil gegen Shell ist heikel, dass mit dem Unternehmen letztlich auch seine Kundinnen und Kunden auf der Anklagebank saßen, die täglich ihre Autos mit Shell-Benzin füllen. Denn eigentlich lautet das Urteil: Fahrt weniger Auto! Aber das trauen sich ja selbst die Grünen hierzulande kaum noch derart deutlich zu sagen.

Wie die Made im fossilen Speck leben

Dabei geht es genau darum: Für einen Umbau der reichen Länder des Nordens zu einer klimafreundlichen Wirtschafts- und Lebensweise müssen viele Dinge anders und manches in Zukunft wohl auch verboten werden. Solange es erlaubt ist, wie die Made im fossilen Speck zu leben, ist Shell kein Vorwurf zu machen, dass es damit Geld verdient. Soll sich wirklich etwas ändern, dann muss es nicht bloß als uncool gelten, mit dicken Autos durch verstopfte Innenstädte zu kurven, sondern als illegitim. Und irgendwann muss es illegal sein. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es: „Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.“ 

Vielleicht werden die beiden Urteile in Zukunft einmal als frühe Schritte auf dem langen Weg gewertet, auf dem ein Leben auf Kosten unseres Lebensraums zunächst als moralisch inakzeptabel geächtet und am Ende schlichtweg untersagt wurde. 
 

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