„Wir müssen uns aufeinander einlassen“

Thomas Lohnes/DKH/ACT
Nach einem Hurrikan verteilen kirchliche Hilfsorganisationen in Haiti 2016 Nahrung, Hygiene-Kits und Decken.
Religion und Entwicklung
Das kirchliche Netzwerk ACT Alliance arbeitet über Hilfswerke mit Kirchen im globalen Süden zusammen. Damit tun sich beide Seiten manchmal schwer. Eine Arbeitsgruppe soll klären, wo die Probleme liegen. 

Um das grundlegende Problem zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte. Am Anfang stand der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), zu dem sich 1948 protestantische und orthodoxe Kirchen weltweit zusammengetan hatten, um sich gemeinsam für eine bessere Welt einzusetzen. Not- und Entwicklungshilfe gehörten dazu. Weil diese Bereiche im Laufe der Zeit immer größer wurden, gründete der ÖRK zusammen mit dem Lutherischen Weltbund 1995 ACT International für die Nothilfe und 2007 ACT Development für die längerfristige Entwicklungszusammenarbeit. Die Abkürzung ACT steht für Action by Churches Together. 2010 schließlich fusionierten beide Organisationen zur ACT Alliance, dem heute größten weltweiten Netzwerk in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit. 130 protestantische und orthodoxe Kirchen sowie kirchliche Organisationen sind Mitglied. Der jährliche Umsatz liegt nach eigenen Angaben bei rund drei Milliarden US-Dollar. 

Damit hat sich neben dem ÖRK ein weiteres ökumenisches Schwergewicht etabliert, das mit den großen säkularen Hilfsorganisationen mithalten kann. Im Gegensatz zu vielen anderen großen nichtstaatlichen Organisationen verfügt ACT Alliance zudem über einen direkten Zugang zur Basis: Über die lokalen Kirchen im globalen Süden lassen sich die Menschen vor Ort in der Regel sehr leicht erreichen – ein klarer Vorteil, wenn es darum geht, Programme schnell und effektiv umzusetzen.

Doch genau an diesem Punkt hinkt die Realität den Erwartungen hinterher, ist die Erfahrung vieler, die vor Ort ACT-Alliance-Programme umsetzen. Das hängt damit zusammen, dass die Gelder nicht direkt vom ACT-Alliance-Sitz in Genf auf Konten der lokalen Kirchen überwiesen werden. Weil diese oft gar nicht in der Lage sind, die für Großorganisationen wie ACT Alliance geltenden Standards für die Verwendungsnachweise einzuhalten, übernehmen diese Aufgabe häufig Regionalbüros der kirchlichen Hilfswerke wie Christian Aid, DanChurchAid, Kerk en Actie oder Diakonie Katastrophenhilfe aus dem globalen Norden. 

In kolonialen Denkmustern verhaftet

Doch wer über das Geld verfügt, hat auch das Sagen. Das spiegle sich in der gegenseitigen Wahrnehmung wider, sagt Bob Kikuyu, der als Theologe bei Christian Aid in Nairobi arbeitet und Mitglied einer neu eingerichteten Arbeitsgruppe ist, die im Auftrag des ÖRK und der ACT Alliance Fallstricke in der Kooperation identifizieren soll. „Die Hilfswerke werden vor Ort als westlich angesehen, als diejenigen, die professionell arbeiten, aber auch als diejenigen, die die Macht haben.“ Da sei man in Afrika vielfach noch in kolonialen Denkmustern verhaftet. Andererseits hätten die Mitarbeitenden in den Hilfswerken oft wenig Sinn für die Themen, die für die Kirchen vor Ort wichtig sind. „In Krisenzeiten oder nach einer Katastrophe sehen die Kirchen ihre Aufgabe auch darin, Seelsorge zu betreiben und das Geschehen in einen theologischen Kontext einzubinden“, sagt Kikuyu. Dafür hätten diejenigen, die möglichst schnell Hilfe leisten wollen, oft kein Verständnis. 

Anders als auf internationaler Ebene, wo mit ÖRK und ACT Alliance zwei ähnlich strukturierte Organisationen zusammenarbeiten, müssen auf lokaler Ebene sehr ungleich aufgestellte Partner miteinander klarkommen. „Kirchen sind keine NGOs“, sagt Corrie van der Ven, Programmverantwortliche beim Hilfswerk Kerk en Actie der Protestantischen Kirche in den Niederlanden, die ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe ist. „Sie haben andere Ziele und definieren ihre Erfolge auch anders. Sie wollen das Wort Gottes leben und nicht nur ein einzelnes Entwicklungsprojekt implementieren.“ Die kirchlichen Hilfswerke dagegen würden sich an den Vorgaben und Prozessen von Projektmanagement ausrichten und einer säkularen Agenda folgen. 

Autorin

Katja Dorothea Buck

ist Religionswissen- schaftlerin und Journalistin in Tübingen.
Die Trennung von Mission und Entwicklung, die im westlichen Kontext aus verschiedenen Gründen mittlerweile zum Standard geworden ist, funktioniert im globalen Süden nur sehr bedingt. Wer aber vor Ort mit ACT Alliance zusammenarbeiten will, muss sich diesem Konzept beugen. Kikuyu kann aus eigener Erfahrung sagen, wie schwierig dieser Spagat werden kann. Als Pfarrer war er viele Jahre in einer Gemeinde in Nairobi tätig. „Dort habe ich auch eine Schule aufgebaut, wie es viele Pfarrer tun. Die Leute hätten in mir aber nie einen Entwicklungshelfer gesehen. Ich war ihr Pfarrer.“ Seit er für Christian Aid tätig sei, werde er von seinen Landsleuten aber als „Professioneller“ gesehen und nicht mehr als Pfarrer, was für ihn eher einer Abwertung gleichkommt. „Die Menschen sehen in den NGOs westliche Akteure und verbinden ihre Arbeit zu Recht oder zu Unrecht mit westlichen Klischees.“

In dem Lernprozess, den die Arbeitsgruppe nun anstoßen will und der vom New Yorker Institut Joint Learning Initiative on Faith and Local Communities (JLI) begleitet wird, soll es darum gehen, die schwierigen Punkte in der Zusammenarbeit zwischen den lokalen Kirchen und kirchlichen Entwicklungsorganisationen zu identifizieren. Kamerun und Malawi sollen als Fallbeispiele dienen, weil dort die Zusammenarbeit relativ gut funktioniert, wie es in einer Mitteilung des ÖRK heißt. 

Blinde Flecken im religiösen Bereich

Van der Ven sagt, weil die Hilfswerke einen zunehmend hohen Anspruch an Professionalisierung hätten, arbeiteten dort zwar viele hervorragende Entwicklungsexperten. Diese könnten aber mit Glaube und Religion oft nicht viel anfangen und verstünden wenig von der Welt der Kirchen vor Ort, mit denen sie zusammenarbeiten sollen. „Es wäre wünschenswert, wenn sich die Mitarbeitenden in den Hilfswerken ihrer blinden Flecken im religiösen Bereich bewusstwürden und sie als Mangel in der eigenen Professionalität erkennen.“ Man könne nicht für eine stärkere Einbindung lokaler Akteure in der Entwicklungsarbeit werben und gleichzeitig ihre Religion ignorieren. 

Oft lösen bereits kleine Anlässe in einem anderen kulturellen Umfeld großes Unverständnis aus. Zum Beispiel, wenn Mitarbeitende kirchlicher Hilfswerke vor Ort rauchen und Alkohol trinken. „Als die Missionare aus dem Westen im 18. und 19. Jahrhundert zu uns kamen, haben sie den Menschen gepredigt, nicht zu rauchen und nicht zu trinken. Jetzt kommen Mitarbeitende dieser Kirchen wieder zu uns, rauchen und trinken ganz selbstverständlich. Das stößt bei vielen auf Unverständnis und Ablehnung“, sagt Bob Kikuyu und fügt hinzu: „Wenn wir zusammenarbeiten wollen, müssen wir uns aufeinander einlassen. Das braucht Zeit, die in üblichen Phasen des Projektmanagements nicht einkalkuliert wird.“ 

Eine große Aufgabe in diesem Lernprozess wird sein, Möglichkeiten zu Veränderungen bei der Finanzierung oder Evaluierung zu identifizieren. Es gehe zum Beispiel darum herauszufinden, ob die Finanzierung flexibler gestaltet oder nicht mit Zahlen messbare Dinge wie die Qualität der Partnerschaft gemessen werden können, sagt van der Ven. 

Bei der Generalversammlung des ÖRK im September 2022 sollen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe vorgestellt werden. Ob die beteiligten Organisationen dann auch zuhören werden, hätten sie nicht in der Hand, sagt van der Van. Sicher sei aber, dass ÖRK und ACT Alliance dann nicht mehr leugnen können, dass sie auf Länderebene noch Hausaufgaben machen müssen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2021: Entwicklung wohin?
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