Der Tuk-Tuk-Fahrer muss nicht lange überlegen. Zur „Shooting Range“ fährt er etwa zwölf Kilometer in Richtung Flughafen Phnom Penh und dann weiter bis zu einem Militärgelände. Als potenzieller Kunde wird man freundlich empfangen und kann an einem Caféhaustisch die „Karte“ studieren: Zu den Getränken gibt es aber keine Speisen – sondern Waffen. Der Schießstand ist gleich nebenan. Die junge Engländerin vom Nebentisch hat schon eine Schnellfeuerwaffe in der Hand und feuert drei Schüsse auf eine Wand mit Sandsäcken. Dann kauft sie noch drei Wassermelonen für einen US-Dollar das Stück – bei jedem Treffer fliegen die Fetzen. Die Touristin hat eine Militärweste bekommen, damit die Kleidung nach ihrem „Ausflug“ nicht zu sehr nach Schießpulver riecht.
„Ich weiß, es ist total verrückt“, gibt sie zu. „Keine Ahnung, warum ich das hier mache.“ Das Geschäft auf dem Gelände der kambodschanischen Armee boomt. „Einige Offiziere leben ganz gut von den Einnahmen“, sagt Sebastian Drobner, der bei der Partnerorganisation Star Kampuchea des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) bis vor kurzem als Mentor junge Deutsche aus dem Freiwilligenprogramm „weltwärts“ betreut hat. Schüsse mit einer Pistole kosten 30 US-Dollar, das Ballern mit automatischen Waffen 40 Dollar. 50 Dollar sind für das Werfen einer Handgranate fällig – auf einem Hügel in der Nähe. Das „Spitzenprodukt“ ist das Abfeuern einer Panzerfaust für 350 Dollar.
Die meisten Kunden kommen aus Europa, den USA und Australien. Was sie bewegt, bleibt rätselhaft. Ist es der ultimative Kick, nach den Kriegsspielen am heimischen Computer mal eine richtige Waffe abzufeuern – den Rückschlag zu spüren und den ungeheuerlichen Knall, der zwar durch Ohrschützer gedämpft, aber trotzdem deutlich zu hören und zu spüren ist? Dass Kambodscha ein Land ist, in dem tausende Menschen durch Landminen und Bürgerkrieg verstümmelt sind, scheint sie nicht zu interessieren. Dabei sind die großen Plakate am Flughafen und am Straßenrand zur Ächtung von Landminen und für einen respektvollen Umgang mit Behinderten eigentlich nicht zu übersehen.
Auch scheint es ihnen egal zu sein, dass sie für das Schießen mit einer Pistole etwa genauso viel bezahlen, wie mancher Kambodschaner im Monat verdient. Die Motive der Touristen kennt auch Sebastian Drobner nicht, der inzwischen Freiwillige in Deutschland auf ihren Aufenthalt in Entwicklungsländern vorbereitet. Aber er klärt die jungen Leute in seinen Seminaren darüber auf, dass diese Art von Tourismus eine besondere Form der Korruption ist; denn es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die Offiziere das Geld in die eigene Tasche stecken. Der Tourismus in Kambodscha hat eine enorme Bandbreite. Da sind die Schießwütigen auf der „Shooting Range“ in Phnom Penh und einige hundert Kilometer nördlich die Bildungshungrigen in den weltberühmten Tempeln von Angkor Wat. Die nahe Stadt Siem Reap mit ihrem internationalen Flughafen lebt vom Tourismus. An der Hauptstraße reiht sich Hotel an Hotel, es gibt Massagesalons und Souvenirläden, und auf dem Nachtmarkt kann der Urlauber sich mit allem eindecken, was das Herz begehrt.
Autor
Jürgen Hammelehle
leitet beim Evangelischen Entwicklungsdienst das Referat Öffentlichkeitsarbeit.Die Zahl der Touristinnen und Touristen in dem südostasiatischen Land schnellt in die Höhe: Von 2001 bis 2011 hat sie sich auf 2,8 Millionen mehr als vervierfacht. Die meisten von ihnen kommen aus dem Nachbarland Vietnam, an zweiter und dritter Stelle folgen Korea und China. Im selben Zeitraum sind die Einnahmen aus dem Tourismus von etwa 300 Millionen auf 1,9 Milliarden US-Dollar gestiegen. Die Zahlen geben nicht genau wieder, wie viel das Land mit dem Tourismus verdient. Denn viele Luxusgüter müssen importiert werden. Vor allem aber musste und muss eine Infrastruktur geschaffen werden, damit die Besucher ins Land kommen und sich darin bewegen können. All das kostet Geld.
Der Ökotourismus ist bislang nur eine Nische, aber es gibt vielversprechende Ansätze. Knapp 90 Kilometer südwestlich von Phnom Penh entfernt führt eine kleine Straße zum Kirikom-Nationalpark. Dort gibt es vieles, was sich Touristinnen und Touristen wünschen: eine intakte Natur mit Urwald, Seen, Wasserfällen und eine reiche Tier- und Pflanzenwelt. Am Rand des Parks liegt das Dorf Chambok. Seine Einwohnerinnen und Einwohner gestalten ihre touristischen Angebote selbst. Die Feriengäste wählen ihre Unterkunft nicht aus, sondern werden von einem Dorf-Komitee den beteiligten Familien zugewiesen.
Übernachtet wird in Häusern, die wegen der hier üblichen Überschwemmungen auf Stelzen gebaut sind. Für jeden Besucher ist eine Matratze gerichtet, Moskitonetz inklusive. Für die Kühlung sorgt der abendliche Wind, für das Licht zum Lesen ein Solarpanel auf dem Dach.Begonnen hat das Tourismusprojekt 2002, zunächst mit Unterstützung der kambodschanischen Organisation „Mlup Baitong“. Seit 2010 betreiben es die Dorfbewohnerinnen und -bewohner selbst. Für sie ist es eine wichtige Einnahmequelle, aber nicht die einzige. Die Bauern sollen sich nicht vom Tourismus abhängig machen, betont EED-Fachkraft Albert Weinmann, der bei „Mlup Baitong“ angestellt ist. Deshalb verdienen sie ihr Geld auf unterschiedliche Weise. „Schweine- oder Hühnerzucht gehören dazu“, erzählt Nut Caam. Er ist einer der beiden „Fremdenführer“ des Dorfes. Englisch hat er von deutschen Freiwilligen gelernt, die vor etwa zwei Jahren im Dorf waren.
Auch in Chambok sind moderne Zeiten angebrochen. Abends sitzt man bei Kerzenlicht zusammen, doch am Ortseingang steht ein solarbetriebener Mobilfunkmast. Weinmann findet das gut. „Nur so können die Bäuerinnen und Bauern Preise für Produkte abfragen oder sind für die Reiseunternehmen erreichbar, wenn sich eine Touristengruppe verspätet.“ Auf den „sanften“ Tourismus setzen inzwischen neun Dörfer der Region mit mehr als 700 Familien. In 37 Häusern können Urlauber übernachten. Weil nie alle ausgebucht sind, wechseln die Unterkünfte, damit alle Beteiligten etwas von den Einnahmen haben.
Die Frauengruppe in Chambok übernimmt die Beköstigung, 320 Frauen kochen reihum. Ausländische Touristinnen und Touristen zahlen drei US-Dollar Eintritt für den Naturpark, Einheimische zwischen 15 und 20 Cent. Die Übernachtung kostet ebenfalls drei Dollar, dabei bleiben 2,50 Dollar bei den Hausbesitzern und der Rest geht in eine Kasse für das Gemeinwesen. Damit werden mittellose Dorfbewohner versorgt. 2010 fanden 11.000 einheimische und 770 ausländische Gäste den Weg nach Chambok – rund 24.000 US-Dollar kamen so zusammen. Die Tendenz ist steigend, aber die Werbung für den Ökotourismus ist nicht immer einfach. Die Dörfler haben sich einem Netzwerk angeschlossen, das diese Art von Tourismus bekannter machen möchte.
Die Touristen helfen mit ihrem Besuch, die Landschaft zu erhalten und Arbeitsplätze zu schaffen: Als Zusatzverdienst verkaufen die Einheimischen Kunsthandwerk und Früchte aus dem Regenwald. Jeden Montag reinigen die Dorfbewohnerinnen und -bewohner den Pfad, der zu einer der Attraktionen führt: drei Wasserfälle, der größte über 40 Meter hoch. Sie haben schon Pläne für die Zukunft: „Wir möchten einen Turm errichten, damit die Besucher Vögel beobachten können und planen einen Radweg zu einem wunderschönen Platz, an dem man den Sonnenuntergang genießen kann“, sagt Nut Caam am Schluss des Rundweges.
Der Tourismus boomt in Kambodscha. Ökotourismus-Projekte wie Chambok werden allerdings die Ausnahme bleiben. Die meisten Besucher werden so wie bisher schon von Angkor Wat oder der „Shooting Range“ in Phnom Penh an die neu entstehenden Luxushotels am Strand geleitet werden.
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