Agrarindustrie lässt nicht locker

picture alliance / Federico Gamb/Federico Gambarini
Umweltschützer demonstrieren vor der Konzernzentrale von Bayer in Leverkusen gegen Gentechnik in der Landwirtschaft. Die Agrarindustrie versucht in Brüssel, bestehende Gesetze zur Anwendung neuer Gentechniken zu schwächen.
Grüne Gentechnik
In einem Urteil vor drei Jahren hat der Europäische Gerichtshof strenge Regeln für die Anwendung neuer grüner Gentechniken festgelegt. Doch mit einer groß angelegten Lobbykampagne versuchen Chemie- und Saatgutkonzerne, die bestehenden Gesetze zu schwächen.

An der grünen Gentechnik scheiden sich die Geister; daran haben auch neue Verfahren wie die sogenannte Gen-Schere nichts geändert. Mit dieser Technik wird das Erbgut von Pflanzen verändert, ohne dass dafür wie in der alten Gentechnik fremde DNA eingebaut wird. Befürworter sagen, das Ergebnis sei im Grunde das gleiche wie bei einer natürlichen Mutation, nur gezielt herbeigeführt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das anders gesehen: In einem wegweisenden Urteil vom Juli 2018 heißt es, mit der Gen-Schere veränderte Nutzpflanzen müssten ebenso streng auf mögliche Wirkungen auf Natur und Gesundheit geprüft werden wie bisherige genveränderte Organismen, bevor sie für den Markt zugelassen werden. Umweltorganisationen jubelten, große Teile der Saatgutindustrie sowie die gentechnikfreundliche Forschung hingegen schauten in die Röhre: Das Urteil bedeute einen großen Wettbewerbsnachteil für die europäische Landwirtschaft und die Wissenschaft auf dem Kontinent, monierten sie.

Die Freunde der neuen Gentechnik haben seit dem EuGH-Urteil nicht lockergelassen, die EU-Regulierung der Gen-Schere doch noch in ihrem Sinne zu beeinflussen – und die EU-Kommission hat sich dabei offenbar als Steigbügelhalterin angeboten. Das zumindest beklagen die Umweltorganisation Friends of the Earth Europe und das Corporate Europe Observatory (CEO), eine Organisation, die das Lobbytreiben der europäischen Industrie kritisch begleitet. Das CEO hat Dokumente ausgewertet, die es von der EU-Kommission sowie der niederländischen und belgischen Regierung auf Grundlage des Rechts auf Informationsfreiheit erhalten hatte. Demnach haben Industrieverbände sowie Chemie- und Saatgutkonzerne wie BASF, Bayer und Syngenta gemeinsam mit gentechnikfreundlichen Wissenschaftlern ein Netz an Lobbyorganisationen aufgebaut, das gezielt EU-Politiker sowie Regierungsvertreter aus EU-Mitgliedsstaaten zu beeinflussen versucht.

Kritische Fragen wurden ausgeblendet

Die Organisation Friends of the Earth kritisiert in einer Studie zudem, die EU-Kommission habe in einer von ihr initiierten Konsultation zur Regulierung der neuen Gentechnik vor allem Industrievertreter zu Rate gezogen und kritische Fragen ausgeblendet. Das Ergebnis dieser Konsultation will die Kommission Ende April vorlegen. Sie war vor gut einem Jahr gestartet worden, nachdem EU-Mitglieder um Rat gebeten hatten, wie sie im Detail mit dem EuGH-Urteil umgehen sollen.

Brüssel habe die Konsultation weniger dazu genutzt, das EuGH-Urteil zu erläutern, sondern um den Weg freizumachen, bestehende Gesetze „neu zu formulieren und zu schwächen“, kritisiert Friends of the Earth. Fast drei Viertel der an der Konsultation beteiligten Interessenvertreter seien von der Industrie gewesen. Bauernorganisationen ohne kommerzielle Interessen an der grünen Gentechnik, Umweltverbände und andere zivilgesellschaftliche Organisationen hingegen seien nur schwach vertreten gewesen.

Agrarindustrie setzt große Hoffnungen in neue Gentechnik

Laut Corporate Europe Observatory setzt die Industrie große kommerzielle Hoffnungen auf die neue Gentechnik. Die EU will mit der sogenannten Farm-to-Fork-Strategie und dem European Green Deal die europäische Landwirtschaft in den kommenden Jahren umweltfreundlicher gestalten. Die Industrie rechne deshalb mit erheblichen Einbußen etwa aus dem Verkauf von Pestiziden, heißt es in dem Papier von CEO. Ein neuer Markt für neue genveränderte Nutzpflanzen solle die Verluste ausgleichen.

Langwierige Zulassungsverfahren, wie sie der Europäischen Gerichtshof verlangt, stehen dem entgegen. In den vergangenen zwei Jahren haben die Industrie und Gentechnikfans in der Wissenschaft deshalb laut CEO ihre Lobbyarbeit in Brüssel verstärkt und zugleich umgestellt. So habe die industrienahe European Plant Science Organisation (EPSO), die Einfluss auf die europäische Forschungspolitik nimmt, seit September 2019 mehrmals Vertreter von Ministerien verschiedener EU-Mitglieder zu Gesprächen eingeladen. Dabei wurden dem CEO-Papier zufolge diskutiert, wie ohne großen politischen Widerstand die strengen EU-Richtlinien geändert werden könnten. Zum anderen ging es um gentechnische „Flaggschiffprojekte“, mit denen die bislang überwiegend skeptische europäische Politik und Öffentlichkeit vom Nutzen der grünen Gentechnik überzeugt werden kann.

Dieses Ziel verfolgt laut Corporate Europe Observatory auch eine im November 2020 neu gegründete Taskforce für nachhaltige Landwirtschaft und Innovation der Denkfabrik Reimagine Europe. Zu den insgesamt 55 Fachleuten hinter der Taskforce gehören vor allem Industrievertreter sowie gentechnikfreundliche Wissenschaftler und Rechtsanwälte, heißt es im CEO-Papier. Ihre Aufgabe sei es, die neue Gentechnik als den besten Weg hin zu einer klimaschonenden Landwirtschaft und als vereinbar mit der ökologisch ausgerichteten Farm-to-Fork-Strategie zu verkaufen. Für eine andere Taskforce, die in Europa für die neue Gentechnik werben soll, hat Reimagine Europe laut CEO im vergangenen Jahr von der Gates-Stiftung einen Zuschuss in Höhe von 1,5 Millionen Euro erhalten. Bill Gates hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Gen-Schere für eines der wichtigsten Werkzeuge hält, Landwirtschaft und Klimaschutz in Einklang zu bringen.  

 

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