Seit Mitte September verhandeln die Taliban mit der afghanischen Regierung über einen Friedensvertrag und eine Aufteilung der Macht. Frauenrechtlerinnen und zivilgesellschaftliche Aktivistinnen befürchten, dass die Taliban erreichte Fortschritte wieder zurücknehmen – etwa indem sie Frauen verbieten, zu studieren, oder Mädchen den Schulbesuch verweigern. Eine Studie des Overseas Development Institute hat nun untersucht, welche Bildungspolitik der radikalislamischen Gruppe vorschwebt.
Demnach haben sich die bildungspolitischen Vorstellungen der Taliban in den letzten zwei Jahrzehnten verändert. Nach dem Sieg der US-geführten Militärkoalition im Jahr 2001 hätten sie Schulen und Universitäten ausschließlich als Symbole der Besatzung gesehen, schreiben die Autoren. Bildungseinrichtungen galten zu dieser Zeit als legitime Angriffsziele. Davon seien die Taliban abgekommen; seit 2009 hätten sie sich offiziell gegen die Attacken auf Schulen ausgesprochen. Vor allem in von ihnen kontrollierten Gebieten versuchten sie nun stattdessen, Schulen zu unterwandern und zu beeinflussen, etwa indem sie die Lehre von „unislamischen“ Inhalten oder das Tragen moderner Schuluniformen verbieten.
Unterschiede bei der Auslegung
Ihre bildungspolitischen Vorstellungen haben die Taliban in einem 101 Artikel umfassenden Dokument festgehalten, das die Autoren ausgewertet haben. Das oberste Ziel sei danach die religiöse Erziehung. Dabei nutzten die Taliban den Unterricht auch, um Kinder und Jugendliche zu indoktrinieren und zu rekrutieren. Zwar wollten sie auch säkulare Wissenschaften, etwa Sprachen und Naturwissenschaften, unterrichten – allerdings nur, wenn die den religiösen Glaubenssätzen nicht widersprechen. Dabei betonen die Autoren, dass die Taliban in Bildungsfragen oft nicht einig sind und es in den verschiedenen von ihnen kontrollierten Regionen Unterschiede bei der Auslegung dieses Grundsatzes gebe.
Zur Bildung von Frauen und Mädchen äußern sich die Taliban laut der Studie nur vage. So betonten sie die Bedeutung von Bildung für die gesamte Bevölkerung, äußerten sich aber nicht dazu, ob Frauen die Schule oder Universität besuchen dürfen. Jungen Mädchen vor der Pubertät wollten die Taliban ausschließlich den Besuch einer Religionsschule oder den Heimunterricht erlauben. Somit scheint die Angst vor einem Rückfall in alte Zeiten berechtigt. Allerdings sehen die Autoren auch eine Chance, das zu verhindern. So könnten internationale Geber die Bildungspolitik der Taliban beeinflussen, indem sie Geld für das Bildungswesen daran knüpften, dass Frauen und Mädchen Zugang zu Schulen und Universitäten haben und der Lehrplan nicht beschnitten wird. Dafür müssten sie allerdings geschlossen und mit einer klaren Position in Verhandlungen auftreten.
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