Wofür setzen Sie sich ein?
„Our Bridge“ entstand als Brücke zwischen Kindern im Nordirak, die durch den Völkermord des IS an den Jesiden ihre Eltern verloren haben, und Menschen in Deutschland, die ihnen helfen. Ich selbst bin als jesidischer Kurde als Baby mit meinem Bruder, meinem Vater und seiner zweiten Frau aus dem Irak nach Deutschland geflohen, wo wir Asyl bekamen. Die erste Familie meines Vaters – seine Frau und fünf Kinder – war vom irakischen Regime ermordet worden. Die Lage der Kurden war bei uns zu Hause immer Thema, nicht zuletzt auf dem Fernsehbildschirm, der immer Krieg zeigte. Als im August 2014 der IS im Sindschar-Gebirge einmarschierte, unterbrach ich mein Wirtschaftsstudium und flog ohne zu zögern hin. Ich wollte als Teil der freiwilligen Bürgerwehr die Zivilisten aus der Einkesselung befreien.
Sie haben dort gekämpft?
Es kam anders. Als ich ankam, traf ich in all dem Getümmel als erstes ein fünfjähriges Mädchen. Ich fragte sie: „Was machst du hier? Wo ist deine Mutter?“ Sie sagte: „Der IS hat sie mitgenommen.“ Ihr Vater wiederum war erschossen worden, sie war ganz allein. Und sie war nicht das einzige Kind. Ich beschloss, die Situation dieser Kinder auch in Deutschland bekannt zu machen, indem ich Bilder und Videos postete. Die Spendenbereitschaft war groß. Wir konnten zunächst Patenschaften, später ein Waisenhaus und noch später sogar eine Schule einrichten.
Welche Rolle spielen Religion und Kultur bei Ihren Hilfseinsätzen?
Wir bilden eine eigene Oase jenseits aller Konflikte, die Religion bleibt vor der Tür. Bei uns leben Waisenkinder verschiedener Religionen und auch Nationen. Wir sollten uns als Weltbürger sehen und nicht so sehr in Kategorien einteilen wie „Jeside“, „Jesidischer Kurde“ oder „Muslim“.
Wie hat die Corona-Krise Sie getroffen?
Wir mussten das Waisenhaus und die Schule im Sommer zwei Monate lang komplett schließen, das war für die Kinder furchtbar. Sie waren mit einem Mal mehr oder weniger sich selbst beziehungsweise Nachbarn oder entfernten Verwandten überlassen. Inzwischen haben wir ein Hygienekonzept, mit dem wir uns wieder um sie kümmern können.
Was tun Sie, um sich zu entspannen?
Ich höre klassische Musik, zünde eine Kerze an, mache die Balkontür auf und sehe mit meinem Teleskop den Mond an. Und genieße die Tatsache, dass ich in diesem Moment da sein darf.
Das Gespräch führte Barbara Erbe.
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