Die G8-Kampagne: Wirkungsvoll, aber...

Bis Ende 2007 hatte Deutschland die Präsidentschaft der G8 inne, der Gruppe der sieben größten Volkswirtschaften plus Russland. Eine große Kampagne hat vor und während des G8-Gipfels im Sommer 2007 in Heiligendamm für Armutsbekämpfung und Hilfe für Afrika geworben. Claudia Warning wertet die Aktionen rückblickend insgesamt als Erfolg. Stefan Mair kritisiert dagegen, die Kampagne habe das Thema Entwicklung auf die Forderung nach mehr Hilfe verkürzt.

Was hat die G8-Kampagne gebracht?

Warning: Erstens haben wir eine sehr große Öffentlichkeit erreicht. 1,4 Millionen Menschen haben die Forderungen der Kampagne unterschrieben; das Medieninteresse war enorm. Wir konnten Gruppen ansprechen, zu denen wir bis dahin kaum Zugang hatten, zum Beispiel Jugendliche an Berufsschulen oder Kindergärten. Zweitens haben wir für die Themen Armutsbekämpfung und Afrika große politische Aufmerksamkeit erregt. Ich treffe zum Beispiel im Januar zum wiederholten Mal Bundeskanzlerin Merkel. Was wir nicht erreicht haben ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Entwicklungsproblem in der breiten Öffentlichkeit. Durchgedrungen ist letztlich nur die Forderung nach mehr Entwicklungshilfe.

Mair: Die Kampagne hat zweifellos Wirkung erzielt, aber ich bin nicht sicher, ob die immer hilfreich war. Die Konzentration auf die Hilfe hat erstens das Entwicklungsproblem auf eine Geldfrage reduziert und zweitens den Eindruck erweckt, es liege an uns, die Probleme Afrikas zu lösen. Die eigene Verantwortung der afrikanischen Länder ist in den Hintergrund gerückt.

Wie sind denn die Forderungen zu Stande gekommen? Hat die Kampagnenleitung entschieden, sie zu vereinfachen, um mehr Menschen zu erreichen?

Warning: VENRO hat das Entwicklungsproblem zuerst sehr differenziert beschrieben und dann seine Forderungen auf vier reduziert: Entschuldung, mehr und bessere Entwicklungshilfe, fairer Handel sowie gute Regierungsführung im Süden – was die Eigenverantwortung der armen Länder einschließt. Im Laufe der Kampagne ist dann vor allem die zweite Forderung aufgegriffen worden. Sie ist einfach und gut handhabbar. Trotzdem war es ein Erfolg. Ohne die Kampagne wäre die Entwicklungshilfe nicht erhöht worden. Und dass das Thema Armutsbekämpfung auf die Tagesordnung des G8-Gipfels kam, war auch nicht selbstverständlich.

Mair: Dass Afrika auf dem G8-Gipfel behandelt würde, stand vorher fest. Das weiß ich aus Treffen des Sherpa-Stabes, die den Gipfel vorbereitet haben.

Warning: Aber warum kam es auf die Tagesordnung?

Mair: Ein Grund waren die Forderungen gesellschaftlicher Gruppen. Ein anderer war, dass Bundespräsident Köhler stark auf das Thema gedrängt hat. Zweierlei wurde aber in den Vorbesprechungen hervorgehoben: Erstens wollte man nicht die Entwicklungshilfe, sondern Frieden und Sicherheit sowie verantwortliche Investitionen in den Vordergrund rücken, um das Treffen nicht auf ein Gespräch zwischen Gebern und Nehmern zu reduzieren. Zweitens wollte man zurück zum Dialog zwischen der „Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ (NEPAD) und der G8, die der Gipfel in Kananaskis 2002 begonnen hatte. Auf dem Gipfel in Gleneagles 2005 war das nicht fortgeführt worden, nachdem die britische Kommission für Afrika vorgeschlagen hatte, mit einer starken Erhöhung der Entwicklungshilfe Afrika einen großen Anschub zu geben. Nun wollten die G8 zurück zum partnerschaftlichen Ansatz gegenüber NEPAD. Hier hat die Kampagne kontraproduktiv gewirkt: Sie hat es sehr schwer gemacht, die geplanten Schwerpunkte zu vermitteln, und stattdessen erneut die Höhe der Entwicklungshilfe ins Zentrum gerückt. Das war ein Rückschritt. Wir betonen zwar das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Europa und Afrika, definieren es aber meist über zwei Politikfelder, wo das Verhältnis extrem asymmetrisch ist: In der Entwicklungshilfe liegen die Rollen Geber-Empfänger fest, und im Handel sind wir nicht von Afrika abhängig, wohl aber umgekehrt. Ein partnerschaftliches Verhältnis ist leichter bei Themen wie Frieden und Sicherheit zu erreichen, wo Europa afrikanische Staaten braucht und von Entwicklungen in Afrika berührt wird. Auch bei der Beteiligung Afrikas etwa an der Klimapolitik ist das Verhältnis nicht so stark asymmetrisch. Wenn wir wirklich ein partnerschaftliches Verhältnis anstreben,müssen wir hier stärker investieren.

Warning: Das ist richtig, hat aber mit der Kampagne nichts zu tun. Das Thema Investitionen und Handel hat die G8-Präsidentschaft selbst ausgewählt.Wenn man gewollt hätte, hätte man eher für Partnerschaft geeignete Themen wie Frieden und Umwelt auf die Tagesordnung setzen können.

Mair: Sie waren auf der Tagesordnung. Aber die Regierungen fühlten sich wegen der Forderungen nach mehr Entwicklungshilfe in der Defensive und konzentrierten sich deshalb auf die Frage: Wie können wir jetzt noch mehr Geld auftreiben, das wir als Ergebnis präsentieren können. So sind in den zwei Stunden, die sich die G8 mit Afrika beschäftigen konnte, die anderen Themen in den Hintergrund getreten.

Warning: Niemand hätte die Regierungen daran gehindert, die Hilfe schon vor dem Gipfel zu steigern. Wir hätten dann nur noch wenig Wind in den Segeln gehabt. Und die Regierungen hätten in Ruhe besprechen können,was sie wollten. Das haben sie aber nicht getan.

Dafür müssten Sie sich im Grunde bedanken, oder?

Warning: Natürlich.Wäre die Steigerung der Hilfe früher angekündigt worden, dann wäre die Kampagne möglicherweise zusammengebrochen.

Mair: Eine wichtige Überlegung bei so einem Gipfel ist immer, was man der Öffentlichkeit als Ergebnis präsentieren kann.Was man schon vorher ankündigt,kann man dafür nicht mehr benutzen. Gespräche über Frieden und Sicherheit sind kompliziert, da kann man den Medien schwer griffige Ergebnisse präsentieren. Die Steigerung der Hilfe anzukündigen ist viel einfacher und medienwirksamer.

Warning: Das war keine Frage, wann man es mitteilt. Auf die 750 Millionen Euro, um die die Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe jährlich steigern will, haben Kanzlerin Merkel, Finanzminister Steinbrück und Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul sich tatsächlich erst kurz vor dem Gipfel geeinigt. Im Übrigen behandeln die Gipfel-Papiere ja auch das Investitionsklima, Patentschutz-Regeln und Ähnliches. Auch wenn in den Medien die Hilfe die Hauptmeldung war: Die G8 hat sich mit viel mehr Afrika-Themen befasst.

Sie sagen beide, Themen wie Frieden, Handel und Patentschutz seien für die Öffentlichkeit zu komplex. Heißt das, man kann zu den wirklich wichtigen Themen gar keine Kampagne machen?

Warning: Komplexe Themen mit so einer Kampagne der Öffentlichkeit zu vermitteln ist sehr schwierig. Aber auch in dieser Hinsicht sind wir ja weitergekommen. Letztlich hat erst die Kampagne uns breiteren Zugang zur Politik verschafft.

Sie hätten doch auch ohne Demonstration mit Frau Merkel reden können.

Warning: Ja, hätten wir. Nur: Die Aufmerksamkeit für unsere Arbeit ist durch die Kampagne stark erhöht worden. Die Bundeskanzlerin weiß nun, dass es uns gibt, dass wir etwas bewegen können und Kenntnisse zu bieten haben.

Mair: Aber bei sehr vielen Teilnehmern der Kampagne ist hängengeblieben: Wir können Afrikas Probleme lösen, indem wir mehr Geld geben. Das ist ein Ergebnis, mit dem ich zu kämpfen habe. Die Wirklichkeit ist sehr viel differenzierter.

Warning: Das weiß aber nur die Fachöffentlichkeit, und die wird von so einer Kampagne nicht beeinflusst. In der breiten Öffentlichkeit gab es aber auch vorher keine differenzierte Debatte über Afrika. Das hat die Kampagne verbessert. Zum Beispiel haben wir mit dutzenden Organisationen dezentrale Veranstaltungen in Schulen, Kindergärten, Jugendgruppen oder Kirchengemeinden durchgeführt, zum Teil über lange Zeit. In Bensheim gab es eine Aktionswo- che mit Schülern zum Thema Armutsbekämpfung. Einzelhändler haben ihre Schaufenster entsprechend dekoriert, Buchhandlungen Lesungen veranstaltet.

Mair: Sind dabei wirklich andere Ziele als mehr Hilfe angekommen?

Warning: Ja. Es gab ganze Unterrichtsserien zu Armutsbekämpfung an verschiedenen Schulen. Die Schüler haben zum Beispiel den Forderungskatalog an die Bundesregierung abgeändert. Für sie war das Interessante, dass sie in eine große weltweite Kampagne eingebunden waren.

Ist es ungeachtet der anderen Probleme ein Fortschritt, wenn die Geber mehr Hilfe zur Verfügung stellen?

Mair: Mehr Geld löst das Problem meiner Meinung nach nicht. Wichtiger sind gute Regierungsführung und günstige lokale Rahmenbedingungen. Daher gibt es in vielen afrikanischen Staaten Probleme, mehr Geld sinnvoll einzusetzen. In einigen Ländern könnte man mehr Geld gut brauchen, in anderen wäre es kontraproduktiv. Wir können Rahmenbedingungen beeinflussen, indem wir beispielsweise unsere Handelsregeln ändern. Ansonsten sind unsere Einwirkungsmöglichkeiten relativ gering. Die afrikanischen Staaten müssen selbst die Verantwortung übernehmen, wir können sie dabei aber unterstützen.

Warning: Aber ohne Geld geht es auch nicht. Die von der Bundesregierung zugesagten 750 Millionen Euro mehr sind durchaus sinnvoll zu verwenden.

Sind die finanziellen Zusagen, die auf solchen Gipfeln gemacht werden, überhaupt das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen?

Warning: Die Zusage in Heiligendamm, es würden 60 Milliarden US-Dollar zusätzlich für den Kampf gegen Infektionskrankheiten aufgebracht, ist in der Tat eine Verdummung der Öffentlichkeit. Da haben die Regierungen nur das zusammengerechnet, was sie ohnehin zahlen wollen. Aber die 50 Milliarden Dollar, die in Gleneagles versprochen wurden, wollen wir schon gern sehen. Darauf werden wir beharren.

Wie hat die starke Beteiligung von Prominenten auf die Kampagne gewirkt?

Warning: Sie war einer der Erfolgsfaktoren und zugleich eine ihrer großen Schwierigkeiten. Die Kampagne war zum Teil sehr auf die Prominenz fixiert. Ein Teil der Vereinfachung und Einengung ist darauf zurückzuführen.

Braucht man Prominente?

Warning: Für Kampagnen dieser Größe und mit dieser Wirkung: Ja. Wir könnten schon allein das Geld für die Großveranstaltungen nicht aufbringen. Das Gipfel-Konzert in Rostock hat zum Beispiel Herbert Grönemeyer teilweise bezahlt und er hat Sponsoren dafür eingeworben. Es ist nichts dagegen einzuwenden, mit Hilfe von Prominenz auf Missstände hinzuweisen. Entscheidend ist die Abstimmung mit den Fachorganisationen. In der G8-Kampagne hat das im Großen und Ganzen funktioniert.

Mair: Ich nehme fast allen entwicklungspolitisch engagierten Prominenten ab, dass sie das aus Überzeugung tun. Aber natürlich verbessern sie damit auch ihr Image und vermarkten sich selbst. Man kann Prominente einbeziehen, muss sich aber über die Folgen klar sein. Ich habe an Veranstaltungen von Bob Geldof teilgenommen und dachte, ich könnte ihm die Probleme differenziert vermitteln. Aber die Einwirkungsmöglichkeiten sind gering, wenn Prominente schon eine Agenda haben. Viele verstehen eine Menge von dem, wofür sie sich engagieren. Trotzdem verkürzen sie die Dinge oft sehr, wenn sie auf die Bühne treten. In einer Kampagne sind Prominente kaum kontrollierbar. Für ihre Fans sind sie in gewissem Sinn unangreifbar – anders als Sie und ich oder auch Politiker.

Prominente können also auch eine Kampagne für eigene Ziele nutzen?

Mair: Ja. Aber die Frage, ob man Prominente braucht, ist nicht relevant, denn sie engagieren sich ohnehin. Damit müssen wir bewusst umgehen, wir müssen die Vorund Nachteile abwägen.

Dr. Claudia Warning ist Vorstandsmitglied des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Bonn und Vorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO)

Dr. Stefan Meir ist Afrikaexperte und Forschungsdirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin

Die Fragen stellten Tillmann Elliesen und Bernd Ludermann.

 

 

erschienen in Ausgabe 1 / 2008: Globale Ungleichheit

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