Zehntausende armenische Zivilisten mussten seit Ausbruch der Kämpfe mit Aserbaidschan um die Enklave Bergkarabach Ende September nach Armenien fliehen. Außenminister Alexander Schallenberg sieht den Waffengang nach einem mehr als 20 Jahre schwelenden Konflikt als „Kollateralschaden von Covid-19“. Er gab sich überzeugt, „hätten sich die beiden Seiten in den letzten Monaten irgendwo am Rande einer internationalen Konferenz von Angesicht zu Angesicht unterhalten können, wäre es vermutlich nicht zu diesem Flächenbrand gekommen“.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte im Oktober sein Angebot wiederholt, Gastgeber für eine weitere Gesprächsrunde zwischen den Konfliktparteien zu sein. Neutrale Vermittler sind aber offenbar angesichts der Interessen der Regionalmächte Russland und Türkei nicht gefragt. Russland hat im November eine Friedensvereinbarung zwischen beiden Seiten vermittelt, bei der Armenien nach Ansicht von Fachleuten aber schlechter abschneidet als Aserbaidschan.
Österreich plane, so die Auskunft des Außenministeriums, Mittel aus dem Auslandskatastrophenfonds für humanitäre Hilfe zugunsten der zivilen Opfer des Konfliktes in Bergkarabach zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Beschluss der Bundesregierung sei in Vorbereitung.
Armenien und Österreich verbindet eine sentimentale Beziehung, die auf Franz Werfels Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“ zurückgeht. Der österreichische Schriftsteller hat darin den Genozid an den türkischen Armeniern während des Ersten Weltkrieges beschrieben. Österreich hat den Völkermord erst 2015 als solchen anerkannt, als eines der letzten Länder in der EU. Das humanitäre Engagement begann aber bereits 1988, als Armenien noch eine Sowjetrepublik war. Ein verheerendes Erdbeben zerstörte damals die Stadt Spitak, tötete geschätzte 25.000 Menschen und machte eine Million obdachlos.
Die armenisch-katholische Diaspora in Österreich wird auf 6000 bis 7000 Gläubige geschätzt, von denen die meisten in Wien leben. Dort bildet das Mechitaristenkloster seit dem 19. Jahrhundert das Zentrum des geistlichen Lebens. Seine Bibliothek beherbergt über 3000 Handschriften, über 170.000 Bände in armenischer Sprache und die größte armenische Zeitschriftensammlung weltweit.
Auch vor dem jüngsten Krieg waren für das kleine Kaukasusland Gelder aus dem Auslandskatastrophenfonds vorgesehen. Ein insgesamt zwei Millionen Euro schweres Programm für den gesamten Südkaukasus basiert auf Projekten, die von dort tätigen österreichischen Hilfsorganisationen gemeinsam vorgeschlagen werden. Sie wurden jetzt vom Außenministerium eingeladen, Projekte für Armenien vorzuschlagen. Den inhaltlichen Fokus bildet dabei der Kampf gegen Covid-19 und die sozioökonomischen Folgen der Pandemie.
Die Religion spielt in der Zusammenarbeit keine Rolle
Der Kaukasus ist seit 2011 eine der Schwerpunktregionen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit; Armenien und Georgien zählen seither zu den insgesamt elf Schwerpunktländern. Das benachbarte Aserbaidschan gehört nicht dazu, denn es sei ein Land des oberen mittleren Einkommens, ein „wirtschaftlich und ressourcenreicher Staat“, wie das für die Entwicklungszusammenarbeit zuständige Außenministerium gegenüber dem Österreichischen Rundfunk ORF erklärte. Die Religion spiele dabei keine Rolle. Außerdem habe das muslimisch geprägte Aserbaidschan zwischen 2011 und 2018 insgesamt 26 Millionen Euro an Entwicklungshilfe erhalten, vor allem langfristige Kredite für Privatbanken zur Unterstützung von Mikro-, Klein- und Mittelbetrieben.
Auch in Armenien wird vor allem die Wirtschaft gestützt. In dem agrarisch geprägten Land, wo ein Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt ist, fehlen nach Auflösung der sowjetischen Kolchosen und Staatsbetriebe Know-how und Maschinen, heißt es auf der Homepage der Austrian Development Agency (ADA), die einen Großteil der Hilfe abwickelt. Die Fördersumme wird mit rund 37,1 Millionen Euro für die Jahre 1995 bis 2018 ausgewiesen; im vergangenen Jahr wurden demnach weitere 3,3 Millionen Euro ausgeschüttet. Gefördert werden vor allem Kleinbauern.
Im Norden Armeniens ist außerdem ein Kulturtourismusprojekt in Planung, „das den Bewohnern einer Region Jobperspektiven geben soll, damit sie sich nicht weiter an der illegalen Abholzung von Wäldern beteiligen“, so ein Bericht des ORF. Projektpartner ist der armenische Regisseur David Matevossian, der regelmäßig ein Literaturfestival organisiert, zu dem auch immer Gäste aus Österreich eingeladen werden. Dieses aus dem Kulturbudget der Botschaft finanzierte Projekt liegt als Folge der Corona-Krise auf Eis.
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