Ruf nach einem „Nachhaltigkeits-TÜV“

Agenda 2030
Der Bundestag will die Regierung stärker für die Umsetzung der Agenda 2030 in die Pflicht nehmen. Zivilgesellschaftliche Gruppen sind indes enttäuscht von der neuen Nachhaltigkeitsstrategie.

Kurz vor der Vorlage einer überarbeiteten deutschen Nachhaltigkeitsstrategie haben die Fraktionen erstmals eine Generaldebatte über deren Ansprüche an Politikfelder wie Umwelt- und Klimaschutz geführt. In einem mit der Mehrheit von Union und SPD angenommenen Antrag wurde die Bundesregierung aufgefordert, zur Mitte jeder Legislaturperiode künftig umfassend zu überprüfen, wie die 17 Nachhaltigkeitsziele im Rahmen der Strategie erreicht werden. Darauf aufbauend soll sie Ziele und einen Maßnahmenkatalog vorlegen, die der Bundestag jährlich prüfen will.

Damit fordere das Parlament erstmals wirksame Verfahren zur Umsetzung, begrüßte die Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 den Beschluss. Dafür sei es angesichts drängender Fragen zum Klimawandel, knappen Ressourcen und zum sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft höchste Zeit. Getragen wird die Plattform vom Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, dem deutschen Sustainable Development Solutions Network (SDSN) und dem Deutschen Komitee für Nachhaltigkeitsforschung. 

Jedoch müsse die Regierung zur Umsetzung des Beschlusses auch dafür sorgen, dass für die Nachhaltigkeitsziele relevante Entscheidungsstrukturen verbessert werden, erklärte die Plattform. Neben dem Austausch mit dem Bundestag müsse das Bundeskanzleramt seine Leitungskompetenz stärken, etwa indem ein Staatsminister oder Sonderbeauftragter die Richtung vorgebe und die Führung übernehme. 

Ähnliche Kritik hat der entwicklungspolitische Dachverband Venro geäußert. Die Regierung müsse Wandel anstoßen; dafür brauche es klare Vorgaben für alle Ministerien, damit diese koordiniert vorgehen, statt durch widersprüchliche Politik die Ziele zu konterkarieren. So stehen die Ressorts für Wirtschaft, Verkehr und Ernährung in der Kritik, wichtige Zukunftsentscheidungen etwa für den Ausbau erneuerbarer Energien, den Bodenerhalt oder eine Mobilitätswende zu blockieren oder zu verschleppen.

Der Nachhaltigkeitsbeirat will einen Bundestagsausschuss

Im Parlament wünscht Venro sich eine Aufwertung des bereits 2004 eingeführten Beirats für nachhaltige Entwicklung. Er müsse befähigt werden, alle Gesetzesvorhaben im Sinne eines „Nachhaltigkeits-TÜV“ zu prüfen. Genau das empfiehlt der Beirat selbst auch; er spricht sich zudem für einen vollwertigen Bundestagsausschuss für nachhaltige Entwicklung und einen unabhängigen Nachhaltigkeitskontrollrat aus Fachleuten und Wissenschaftlerinnen aus. Man brauche für die Agenda 2030 „einen internen Wachhund“, sagte das Beiratsmitglied Bettina Hoffmann (Grüne). Darüber ist der Bundestag aber noch uneins. Bis zu den Wahlen 2021 sollen verschiedene Modelle entwickelt werden. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Ende September mit der Veröffentlichung einer überarbeiteten Nachhaltigkeitsstrategie den Startschuss zu einem vierwöchigen Onlinedialog gegeben. Die Neuauflage soll im ersten Halbjahr 2021 verabschiedet werden. Der Entwurf enthalte keine neuen Zahlen oder Ziele, twitterte das SDSN. Dabei braucht es aus Sicht von Wissenschaft und Zivilgesellschaft dringend konkretere Vorgaben. Bei der Hälfte der UN-Nachhaltigkeitsziele gehe es nicht voran oder die Lage habe sich sogar verschlechtert, sagt Adolf Kloke-Lesch, Geschäftsführender Direktor des SDSN.

Auch das Forum Umwelt und Entwicklung reagierte enttäuscht: Das Dokument sei den Titel einer „Strategie“ nicht wert, heißt es in einer Stellungnahme. So würden wahllos Textpassagen aus bereits bestehenden Programmen zusammenkopiert. Das Vorgehen verdeutliche die „Verweigerungshaltung“ der Regierung; sie sei nicht bereit, ihre nicht nachhaltige Politik zu hinterfragen und eine Antwort auf die Krisen unserer Zeit zu erarbeiten.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2020: Erbe des Kolonialismus
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