„Den Beschäftigten fehlt ein Sprachrohr“

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Informeller Sektor in Afrika
Jürgen Schwettmann erklärt, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den informellen Sektor in Afrika hat.

Jürgen Schwettmann ist selbstständiger Berater für verschiedene Entwicklungsorganisation. Zuvor hat er knapp 30 Jahre bei der Internationalen Arbeitsorganisation gearbeitet.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass 85 Prozent der Beschäftigten in Afrika im informellen Sektor arbeiten. Zu Beginn der Corona-Pandemie haben viele afrikanische Regierungen strikte Lockdowns verhängt. Wie hat sich die Pandemiebekämpfung auf die Beschäftigten im informellen Sektor ausgewirkt?

Viele haben von einem auf den anderen Tag ihr Einkommen verloren. In den meisten afrikanischen Ländern gibt es keine sozialen Sicherungsnetze für die Beschäftigten und Kleinstunternehmer des informellen Sektors. Auf dem Land sind traditionelle Solidargemeinschaften noch intakt, in Städten hingegen sind die informell Beschäftigten meist auf sich selbst gestellt. Möglicherweise sind in Afrika mehr Menschen an den Corona-Maßnahmen gestorben als am Virus selbst.

Haben afrikanische Regierungen versucht, die sozialen Nebenwirkungen ihrer Virus-Bekämpfung abzufedern?

Viele afrikanische Länder haben Hilfsprogramme für Unternehmen aufgelegt, zumeist aber beschränkt auf den formellen Sektor. Außerdem haben viele Regierungen Bargeld und Nahrungsmittelpakete an die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen verteilt. Wie effektiv das war, lässt sich noch nicht sagen. Grundsätzlich ist der sozialpolitische Handlungsspielraum der meisten afrikanischen Regierungen aufgrund der geringen Steuereinnahmen eingeschränkt. Ein sozialverträglicher Lockdown ist in Afrika sehr viel schwieriger als in Europa.

Haben die informell Beschäftigten von den Hilfsprogrammen profitiert?

Nicht von allen. Die Cash-Transfer-Programme, die über 20 afrikanische Länder südlich der Sahara ins Leben gerufen haben, waren sicher hilfreich. Es gab aber auch Maßnahmen, von denen sie nichts hatten. Zum Beispiel haben manche Regierungen die Gebühren für Strom und Wasser gesenkt oder ganz abgeschafft. Das hat jenen informell Beschäftigten, die weder Strom noch Wasser haben, nicht genutzt.

Gab es auch Hilfsprogramme, die speziell auf die Bedürfnisse informell Beschäftigter zugeschnitten waren?

Es gab ein paar gute Ansätze. In Burkina Faso und Kamerun hat die Abschaffung der Lizenzgebühren für Marktstände und Motorradtaxis für finanzielle Entlastung gesorgt, als die Lockdowns gelockert wurden. In Kenia, Togo und Simbabwe haben informell Beschäftigte umgerechnet zwischen 30 und 75 US-Dollar monatlich erhalten. Das ist nicht viel, reicht aber in den meisten Gegenden zum Überleben.

Warum bekommen informell Beschäftigte so wenig Aufmerksamkeit?

Ihnen fehlt ein Sprachrohr. Die regulär Beschäftigten sind in Gewerkschaften organisiert, die in einigen afrikanischen Ländern, etwa in Ghana und Kenia, sehr einflussreich sind. Die informell Beschäftigten haben zwar ihre Kooperativen und Verbände, aber die agieren nur lokal und haben keinen nationalen Dachverband. Deshalb werden sie häufig ignoriert. Seit einigen Jahren öffnen sich mehr und mehr afrikanische Gewerkschaften dem informellen Sektor. Das macht Mut.

Das Gespräch führte Moritz Elliesen

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