Ein Frauenteam packt die Probleme an

Kathrin Zeiske
Alejandra Urrutia, ihre Schwester Luz Urrutia und Siria Solis (von links) vom Frauenkomitee in der Gemeinde Ejido Benito Juarez.
Selbstverwaltung in Mexiko
In einer Kleinstadt im Norden Mexikos kauft ein gewähltes Frauenkomitee einen Krankenwagen und Sauerstofftanks. Das hilft den Bewohnern auch in der Corona-Pandemie.

Erste Sonnenstrahlen kriechen über die schroffen Berge am Horizont. Im Morgenlicht teilt sich die Ebene in Kuhweiden, Anbauflächen und Brachland auf, das Kakteen, Gestein und Dornenbüsche durchziehen. Abseits der Überlandstraße ziehen sich breite unasphaltierte Straßen durch die Kleinstadt Ejido Benito Juarez im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua, knapp 180 Kilometer von der Grenze zur USA entfernt. Vereinzelte Pickups und ein paar Jugendliche zu Pferd wirbeln Staub auf.

Alejandra Urrutia schließt das Küchenfenster, damit der feine Sand nicht eindringt. Sie erzählt gerne, wie das anfing, worauf sie heute voller Stolz zurückblickt: Gemeinsam mit neun weiteren Frauen aus ihrer Heimatstadt bildete sie im Dezember 2018 eine Wahlliste für das „Comite Pro-Obra“. „Wir erhielten eine überwältigende Mehrheit“, erzählt Urrutia und strahlt über das ganze Gesicht. Das Frauenteam bekam den Schlüssel zu den Räumen des Komitees.

Gute Erlöse aus dem Bierverkauf

Solche Komitees gibt es fast überall in Mexiko. Sie arbeiten parallel zur offiziellen Verwaltung und haben als einzige Gruppe die offizielle Erlaubnis zum Bierverkauf in der Stadt. Die Erlöse aus diesem Verkauf sollen sie in ihrer zweijährigen Amtszeit in diverse Projekte zur Gemeindeentwicklung stecken. „Dem Gemeinwohl kommt letztendlich zugute, dass in unserer Gemeinde so viel Alkohol konsumiert wird“, sagt Urrutia. Viele Einwohner echauffierten sich, als die Frauen das Haus des Komitees lila anstrichen. „Die Herren kaufen trotzdem weiter bei uns ein“, erzählt Urrutia und grinst. Und sie selbst fühlten sich als Frauen mit dieser Farbe gut repräsentiert.

Urrutia ist in Ejido Benito Juarez aufgewachsen. Ejidos stehen für besondere Gemeindeformen, die noch aus Zeiten der mexikanischen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts stammen. Damals widmeten die Revolutionäre die Hälfte der Agrarflächen in Gemeindeland um, auf dem alle Dorfbewohner Lebensmittel und andere landwirtschaftliche Produkte anbauen durften. So gibt es in Gemeinden wie Benito Juarez einmal die Vertretung der Angehörigen des Ejidos und die Gemeindeverwaltung des Bürgermeisteramtes.

Autoren

Kathrin Zeiske

ist freie Journalistin und berichtet aus Mexiko und Mittelamerika.

Erika Harzer

ist Autorin und Filmemacherin mit Schwerpunkt Lateinamerika.
Noch heute lebten die Menschen hier vor allem von Landwirtschaft und Viehzucht, sagt Urrutia und holt eine Tüte Walnüsse aus ihrer Tasche. Ihr Vater baut sie an. Neben Walnüssen wird hauptsächlich Chili und Paprika auf den Äckern um Ejido Benito Juarez angebaut. So viel, dass zu Erntezeiten Tausende Saisonarbeiterinnen und -arbeiter aus dem Süden in das Städtchen kommen.

Urrutia verließ Ejido Benito Juarez nur zum Studieren. In Ciudad Juarez machte sie ihren Bachelor in Jura. Ihre Eltern leben hier, genauso wie ihre Geschwister. Der Bruder betreibt eine gut laufende Käserei, ihre Schwester Luz ist Lehrerin und mit ihr im Komitee. Urrutia ist neben der ehrenamtlichen Arbeit als Kassenwartin im Komitee zurzeit Hausfrau und Mutter der kleinen Victoria, die an einem 8. März, dem internationalen Frauentag, geboren wurde.

Ein Krankenwagen und eine Straßenbaumaschine

Die Gelder des Komitees hatten die Amtsvorgänger augenscheinlich unterschlagen, was Urrutia und ihre Mitstreiterinnen empörte. Und dann warf vor zwei Jahren auch noch ein Wahlbetrug den durch die Stimmen der Bewohner von Ejido Benito Juarez legitimierten Kandidaten für das Amt des Chef des Verwaltungsbezirks Buenaventura aus dem Rennen. Dieser war für eine Allianz angetreten, um der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) die Macht zu entreißen. Der Verwaltungsbezirk Buenaventura wird nun weiter von der PRI regiert, die ganz Mexiko von 1930 bis 2000 regierte und eine lange Geschichte von Korruption im Land hat. Profitiert hat von den Wahlmanipulationen in Buenaventura ausgerechnet eine Politikerin, die vorher Präsidentin des Komitees Pro Obra gewesen war.

Anfang Dezember 2018 übernahmen die Frauen das Komitee. Ihr erstes Projekt war der Kauf eines Krankenwagens. „Wir sind eine Gemeinde mit 13.000 Einwohnern und Städte mit Krankenhäusern sind zwei Stunden entfernt“, sagt Urrutia. Das sei „ein Unding“. „Den bisherigen Kommunalverwaltungen und den vorherigen Komitees war der Gesundheitsbereich egal. Für uns hat er Priorität.“ Sie machten weitere Anschaffungen für das Gesundheitszentrum: Sie kauften Sauerstoffmessgeräte und Sauerstofftanks sowie Matratzen, Verbands- und Pflegematerial. Daneben richteten sie ein Zentrum für alte Menschen ein und schafften eine Straßenbaumaschine an.

Die Einwohnerinnen und Einwohner spüren, dass die Frauen ihre Aufgabe ernst nehmen. In Zeiten von Corona ist die Gemeinde vergleichsweise gut ausgestattet. Ganz anders als in anderen Städten des Bundesstaats Chihuahua. Hier hat der korrupte Ex-Gouverneur César Duarte (PRI) das öffentliche Gesundheitssystem systematisch ausbluten lassen. Dessen Krankenhäuser sind vor allem in der Industriemetropole Ciudad Juárez in der Pandemie zu Sterbespitälern geworden. Eine Spezialklinik steht erst im Rohbau; Krähen nisten in den leeren Etagen.

Das Wort einer Frau ist nicht viel wert

„Im Ejido Benito Juárez hatten wir Glück“, erzählt Siria Solis. „Nicht ein einziger Coronafall ist aufgetreten.“ Die 60-Jährige ist die Älteste im Frauenteam des Komitees. Ihre Urgroßeltern haben das Ejido mitgegründet. Solis steht in der Wohnküche ihres Hauses. In einem riesigen Emailletopf brodelt menudo, eine rote scharfe Kuttelsuppe, die Solis jeden Sonntag aus ihrem Haus heraus verkauft. Solis hat viel zu erzählen. Wie ihr nach der Trennung von ihrem Mann vor zwanzig Jahren „Flügel wuchsen“ und sie zur sozialen Aktivistin wurde. Keine leichte Aufgabe: „Was eine Frau sagt, ist in Ejido Benito Juárez nicht viel wert“, sagt sie. Überhaupt gehört zu werden, sei schwierig. „Deshalb habe ich gejubelt, als diese jungen Frauen sich zur Wahl stellten.“

Die Frauen lassen sich auch von der Gewalt der Drogenkartelle nicht einschüchtern. Ejido Benito Juárez liegt seit Jahrzehnten mitten im Drogenkorridor, dem heiß umkämpften Gebiet, über das Kokain in Richtung USA transportiert wird. Dieses lukrative und schwer umkämpfte mörderische Geschäft verspricht den daran Beteiligten schnelles Geld und sorgt in der Region für Tausende von Toten und Verschwundene. „Wir haben uns daran gewöhnen müssen“, sagt Solis. Wie so viele versucht sie die jungen Männer in luxuriösen Geländewagen im Ort zu übersehen und keinerlei Konfrontation zu provozieren.

Bevor die Amtszeit des Frauenkomitees endet, wollen sie noch viel erreichen. Solis öffnet die Tür zu ihrem alten Pickup und fährt zum Ortsausgang. Diesen sollen bald solarbetriebene Straßenlaternen beleuchten. Arbeiter lassen hohe Pfosten in den Boden ein. Urrutia und ihre Schwester Luz stehen schon am Straßenrand und beaufsichtigen die Baumaßnahmen. Die Bauarbeiter scheinen leicht irritiert von diesen Frauen, die ihnen am Ende des Tages ihren Lohn in die Hand drücken. Diesen Monat wird die Landesregierung zu einer Neuwahl des Komitees aufrufen. Ein zweites Mal werden sich die drei Frauen nicht aufstellen. Doch ein neues Frauenteam will die Arbeit im Sinne ihrer Vorgängerinnen fortsetzen.

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