Hilferufe aus Moria, Vorwürfe an Europa

Frankfurt a.M./Moria - Der verheerende Brand in Moria hat die seit langem angeprangerten Zustände in dem überfüllten griechischen Flüchtlingslager ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Helfer und Menschenrechtler sprachen von einer "Katastrophe mit Ansage" und bekräftigten ebenso wie Vertreter aus Kirche und Politik ihre Forderungen nach einer Evakuierung der griechischen Lager und einer menschenwürdigen Unterbringung der Migranten und Flüchtlinge. "Die Zeitbombe ist hochgegangen", erklärte die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" auf Twitter. Das Lager Moria sei bis auf die Grundmauern niedergebrannt. 12.000 Männer, Frauen und Kinder harrten nun auf der Straße aus. Von EU und Bundesregierung kamen Zusagen zu Soforthilfen, eine politische Lösung war weiter nicht in Sicht.

Das Feuer in dem völlig überfüllten Lager auf der Insel Lesbos war laut der griechischen Nachrichtenagentur ANA gegen zwei Uhr in der Nacht zum Mittwoch ausgebrochen. Offizielle Berichte über Verletzte oder Tote lagen zunächst nicht vor. Nach dem Brand herrschen in Moria nach Berichten von Helfern chaotische Zustände. Die Versorgung sei zusammengebrochen, sagte der Mainzer Arzt Gerhard Trabert am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Hilfsorganisationen dürften das von Sicherheitskräften abgeriegelte Areal nicht mehr betreten. Tausende Menschen irrten durch die Straßen, es gebe zurzeit kein Essen und kein Wasser. Thomas Osten Sacken von der Hilfsorganisation Wadi berichtete über Facebook aus Moria von einem "Alptraum, für den es kaum Worte gibt".

Menschen haben nun keinerlei Schutz

Marco Sandrone von "Ärzte ohne Grenzen" aus Lesbos erklärte: "Wir sahen, wie sich das Feuer in Moria ausbreitete und die ganze Nacht wütete. Wir sahen, wie die Menschen aus einer brennenden Hölle flüchteten." Sie hätten nun keinerlei Schutz, viele verschwänden auf der Suche nach Unterschlupf in den umliegenden Hügeln. Oberste Priorität müsse nun die Sicherheit der Menschen haben, darunter mehr als 4.000 Kinder sowie Schwangere und Alte, erklärte die deutsche Sektion des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR auf Twitter.

Wie die offenbar mehreren Brände entstanden, war zunächst unklar. In Medienberichten wurde über einen möglichen fremdenfeindlichen Hintergrund spekuliert, aber auch darüber, ob Flüchtlinge aus verzweifeltem Protest Feuer gelegt hatten. Vorausgegangen waren Proteste von Geflüchteten gegen ihre inhumane Unterbringung und Versorgung sowie gegen unzureichende Maßnahmen zum Schutz vor einer Ansteckung mit Covid-19. Seit dem ersten offiziellen Corona-Fall Anfang September war die Zahl der bestätigten Fälle auf 35 angestiegen. Der Brand habe auch das Covid-19-Behandlungszentrum zerstört, meldete "Ärzte ohne Grenzen".

Müller: "Letzter Weckruf an EU" 

UN-Organisationen ebenso wie Vertreter aus Zivilgesellschaft, Kirche und Politik riefen dringend zu einer Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln und zur Umverteilung der Flüchtlinge in Europa auf. "Solche Orte der Verzweiflung wie Moria darf es nicht länger geben", betonte Unicef. Europa müsse schnellstens handeln und den Schutz der Menschen sicherstellen. Die Hilfsorganisation Oxfam sprach von einer "Katastrophe mit Ansage". Man könne "Menschen nicht Jahre lang im Dreck leben lassen, ihnen Rechte vorenthalten, sie schließlich ungeschützt einer Pandemie aussetzen und dann überrascht sein, wenn sie gegen ihre Lebensbedingungen aufbegehren", bekräftigte Ramona Lenz von medico international. Auch die beiden großen Kirchen forderten ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Katastrophe in Moria müsse "der letzte Weckruf an die Europäische Union sein, sich jetzt nach fünf Jahren Diskussion auf die Grundsätze einer humanitären europäischen Flüchtlingspolitik zu einigen". Außenminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete die Lage in Moria als "humanitäre Katastrophe". Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedstaaten müsse schnellstens die Verteilung der geflüchteten Menschen unter Aufnahmewilligen in der EU geklärt werden, betonte er auf Twitter.

Seehofer spricht mit griechischer Regierung

EU und Bundesregierung boten derweil akute Unterstützung für Griechenland an. Man sei in engem Kontakt mit den griechischen Behörden und bereit, finanzielle Hilfe zu leisten und sonstige Unterstützung durch die EU-Mitgliedstaaten zu koordinieren, sagte EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sevcovic in Brüssel. Zuvor hatte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson angekündigt, den sofortigen Transfer der auf der Insel noch verbliebenen gut 400 unbegleiteten Minderjährigen auf das griechische Festland und die Unterbringung dort zu finanzieren.

Aus Berlin hieß es, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) befinde sich in intensiven Gesprächen mit der griechischen Regierung, um zu definieren, welche Hilfe benötigt werde. Zu Forderungen von aufnahmewilligen Kommunen und Bundesländern, ihnen zu erlauben, Flüchtlinge in Eigenregie ins Land zu holen, sagte Seehofers Sprecher, am Prinzip der Aufnahme in Deutschland gebe es aus Sicht des Ministers keinen Änderungsbedarf. Seehofer hatte im Juli eigene Landesaufnahmeprogramme von Berlin und Thüringen gestoppt mit der Begründung, die Verhandlungen für eine europäische Asylpolitik nicht gefährden zu wollen.

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