„Sie glauben an ihre Fähigkeit, die Welt zu verändern“

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Studie zu afrikanischen Kirchen
Sebastian Meyer/ Corbis news/Getty images

Ermächtigender Glaube: pfingstkirchlicher Gottesdienst in Kolwezi (Sambia).

Pfingstkirchler
Mitglieder von Pfingstkirchen sind politisch deutlich aktiver als andere Christen. Das hat Rachel Beatty Riedl in ihrem Buch „From Pews to Politics“ (zusammen mit ihrer Koautorin Gwyneth McClendon) anhand von Untersuchungen in Kenia, Sambia und Uganda herausgefunden. 

Wie sind Sie darauf gekommen, den politischen Einfluss christlicher Kirchen auf ihre Mitglieder zu untersuchen?
In den letzten Jahren ist der Einfluss von Religion auf die Politik in Afrika deutlich gewachsen. Die Wahl von Frederick Chiluba – ein Pfingstkirchler – zu Sambias erstem frei gewählten Präsidenten war 1991 noch eine Überraschung – heute konkurrieren in Kenia die Präsidentschaftskandidaten offen um die Gunst der Pfingstkirchen. Gleichzeitig haben gerade in den jungen Demokratien viele Menschen das Gefühl, dass sie in ihrem politischen System keine Stimme und keine Macht haben. Wir wollten verstehen, wie religiöse Ideen und Botschaften diese Menschen trotz aller Schwierigkeiten zum politischen Handeln motivieren.

Dazu haben Sie unter anderem zahlreiche Predigten analysiert. Welche politischen Botschaften haben Sie gefunden? 
Zunächst ist es bemerkenswert, dass Predigten insgesamt eher selten ausdrücklich politisch sind. Sicherlich gibt es Themen, auf die alle Pastoren eingehen, wie etwa der Wunsch, dass es dem Land wirtschaftlich gut ergehen und dass Wahlen friedlich ablaufen mögen. Konkrete politische Anweisungen oder gar Wahlempfehlungen werden aber so gut wie nie gegeben. Alle scheinen sich einig, dass Armut, Korruption und Gewalt die drängendsten Probleme sind.

Haben Sie auch Unterschiede zwischen den Konfessionen festgestellt? 
Ja. Die Predigten unterscheiden sich massiv in ihrer Darstellung, wie die Welt funktioniert. Die pfingstkirchlichen Predigten sehen die Wurzel der genannten Probleme vor allem in den einzelnen Menschen. Indem diese sich zum Besseren verwandeln und ihren Glauben stärken, könnten auch die großen Probleme des Landes angegangen werden. Katholische und protestantische Predigten vermittelten eine ganz andere Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert. Sie betonten, dass Probleme vor allem in Systemen, Strukturen und Institutionen verwurzelt sind – nicht nur in Einzelpersonen. Deshalb müssten Probleme auch auf dieser systemischen Ebene angegangen werden.

Wie wirkt sich dies auf die politische Haltung der Gläubigen aus? 
Menschen, die katholische und protestantische Predigten hören, richten ihr Augenmerk viel mehr auf systemische und strukturelle Veränderungen, etwa auf Institutionen, politische Parteien oder wie vielleicht die Verfassung neu formuliert werden müsste. Diese Veränderungen sind oft viel schwieriger und der Erfolg eher zweifelhaft. Deshalb erscheinen Katholiken und Protestanten eher als, wie wir es nennen, „reluctant reformers“, also zögerliche Reformer. Menschen, die pfingstkirchliche Predigten hörten, sehen sich im Gegensatz dazu als das, was wir „empowered players“ nennen, also als Mitwirkende mit Einfluss. Sie streben danach, sich als Führungspersönlichkeiten in der Politik zu engagieren und wählen Personen, denen sie Führungsqualitäten und einen starken Glauben zuschreiben. Bei ihnen stellten wir eine gesteigerte politische Selbstwirksamkeit fest. Sie waren beispielsweise eher bereit, sich auf verschiedene Weise an politischen Prozessen zu beteiligen, zum Beispiel, indem sie SMS an Politiker schicken oder Eingaben bei den lokalen Behörden machten. Diese Haltung macht pfingstkirchliche Christen sehr interessant für Politiker, die auf der Suche nach Unterstützern sind, die sich leicht mobilisieren lassen.

Wie schaffen die Pfingstkirchen diese selbstwirksame Haltung in ihrer Gemeinde? 
Aus unserer Sicht prägen sie die persönliche Weltsicht in zweierlei Hinsicht. Erstens hören die Gläubigen, dass Veränderungen in dieser Welt tatsächlich möglich sind. Und dass sie als Einzelne, als wiedergeborene Christen die Fähigkeit haben, diese Veränderungen herbeizuführen – auch wenn es schwierig erscheinen mag. Die zweite Botschaft ist, dass die Quelle der Probleme in dieser Welt im Selbst, im Individuum, liegt. Deshalb führt der Weg zur Veränderung über die individuelle – religiöse – Transformation. Das bedeutet, dass selbst die verletzlichsten und am stärksten marginalisierten Gläubigen sich als „empowered players“ begreifen. Sie glauben an ihre Fähigkeit, die politische Welt und ihr eigenes Wohlergehen positiv zu verändern. In diesen Botschaften stimmten quasi alle pfingstkirchlichen Predigten überein. Das zeigt, wie attraktiv die Botschaft ist, und wie stark die Prediger miteinander vernetzt sind. Sie tauschen ihre Predigten und ihre Ideen über Radios und Youtube-Kanäle, über Bücher und Websites untereinander aus.

Konnten Sie erkennen, wie diese unterschiedlichen Ansätze auf nationaler Ebene zum Tragen kommen und wie sich die Kirchen politisch engagieren? 
Die etablierten katholischen und protestantischen Kirchen in den von uns betrachteten Ländern – Kenia, Sambia und Uganda – haben eine unglaublich wichtige Rolle gespielt darin, die Verfassungen ihrer Länder in Richtung Demokratie und Menschenrechte zu verändern. Pfingstkirchen auf der anderen Seite haben sich viel eher um Führungspositionen bemüht und sich um diese Führer herum mobilisiert. Um auf das Beispiel von Frederick Chiluba zurückzukommen: Er hat Sambia zur „christlichen Nation“ erklärt, ohne sich vorher mit anderen religiösen Führern zu besprechen. Er hatte einfach das Gefühl, dass Gott ihn persönlich dazu aufrief. Das ist genau die Art von Führung, die Mitglieder von Pfingstkirchen erwarten würden, und dass man auf solche Weise das Land zum Besseren gestaltet.

Das klingt, als ob Pfingstkirchler eher dazu neigen, einem populistischen Politikstil zu folgen? 
Das ist schwer zu sagen. Einerseits waren die pfingstkirchlichen Christen in unserer Studie weniger bereit, die Regierung als Ganzes zu kritisieren. Sie sahen das System insgesamt eher als gerecht an, was nicht gerade typisch populistisch ist. Auf der anderen Seite spricht die pfingstkirchlichen Christen durchaus ein bestimmter Stil charismatischer Führung an. In unserer Studie konnten wir auch nicht feststellen, dass sie per se auf eine bestimmte Partei oder ein bestimmtes politisches Programm ausgerichtet wären, im Gegensatz etwa zu den USA, wo sie eher auf dem rechten Flügel des politischen Spektrums zu finden wären. Andererseits sind in unseren Studienländern Parteien oft schwach institutionalisiert und in Bezug auf das, was sie ideologisch repräsentieren, ziemlich unbeständig. 

Man muss also nicht befürchten, dass die Pfingstkirchen den demokratischen Fortschritt untergraben könnten, den die Länder in Ihrer Studie in den letzten Jahrzehnten gemacht haben?   
Ich möchte hier sehr deutlich werden: Weder bekennen sie sich zur Demokratie noch lehnen sie sie ab. Sie erwarten Führung. Sie nehmen ihr Recht auf Teilnahme in Anspruch, aber ohne das System, wie sie es vorfinden, grundsätzlich infrage zu stellen. Es gibt also eine sehr engagierte Partizipation. Zu welchem Zweck, das hängt letztlich von den einzelnen Personen an der Spitze der Kirchen ab, und wie sie mit dieser Macht umgehen. Das kann sehr unterschiedlich sein. 

Das Gespräch führte Benjamin Kalkum.        

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erschienen in Ausgabe 9 / 2020: Die wahre Macht im Staat?
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