Was schon länger zur Debatte stand, hat der britische Premierminister Boris Johnson jetzt wahr gemacht: Das britische Department for International Development (DfID) wird als eigenständiges Ministerium aufgelöst und dem Foreign and Commonwealth Office, dem Außenministerium, einverleibt. Johnson begründete die Fusion Mitte Juni in einer Rede im britischen Parlament unter anderem mit der Corona-Krise: Eine wichtige Lehre der Pandemie sei, „dass die Unterscheidung zwischen Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit künstlich und überholt ist“. Ziel sei der Fusion sei, „unseren Einfluss zu maximieren und alle Stränge auswärtigen Handelns zusammenzuführen“. Geschehe das nicht, bestehe das Risiko, „dass die linke und die rechte Hand unabhängig voneinander arbeiten“. Das neue Ministerium wird Foreign, Commonwealth and Development Department heißen; an der Spitze wird der amtierende Außenminister Dominic Raab stehen.
Der Entscheidung vorausgegangen war ein längeres Hin und Her seit dem Brexit Ende Januar, ob das DfID bestehen bleiben soll oder nicht. Johnson hatte schon früher kein Hehl daraus gemacht, dass er keine großen Stücke auf das Ministerium hält: Im vergangenen Dezember hatte der Premierminister geschimpft, die britische Entwicklungshilfe sei „verschwenderisch“, das Geld werde aus dem Fenster geworfen. Das Budget müsse deshalb unter die Kontrolle des Außenministers gestellt werden.
Ausdruck von Rassismus?
Die Reaktionen in der britischen Entwicklungsszene auf Johnsons Entscheidung reichen von krasser Ablehnung bis Zustimmung: Tim Boyes-Watson vom globalen Entwicklungsnetzwerk Humentum nannte sie in einem Kommentar für den Onlinedienst Devex „rassistisch“: Der Schritt gehe zu Lasten von People of Colour in Ländern überall auf der Welt, die früher vom Vereinigten Königreich kolonisiert gewesen seien. In einem Kommentar der politisch links stehenden Zeitschrift „New Internationalist“ heißt es ähnlich: Die Fusion „wird die britische Entwicklungshilfe zurück zu ihren kolonialen Wurzeln führen“.
Autor
Insgesamt überwiegt aber die Skepsis unter Entwicklungsfachleuten und -politikern. In einem offenen Brief fordern die Vertreter von mehr als 180 nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen und Forschungseinrichtungen Premierminister Johnson auf, die Fusion noch einmal zu überdenken. Das DfID aufzulösen erwecke den Eindruck, „dass das Vereinigte Königreich den ärmsten Menschen auf der Welt den Rücken zukehrt“. Viele Kritiker der Zusammenlegung fürchten, die britische Entwicklungszusammenarbeit könnte in Zukunft an Gewicht verlieren und vor allem außen- und sicherheitspolitischen Interessen dienen statt der Armutsbekämpfung weltweit. Johnson selbst hat solchen Befürchtungen Nahrung gegeben, indem er in seiner Parlamentsrede im Juni sagte: „Wir geben Sambia genauso viel Hilfe wie der Ukraine, obwohl letztere entscheidend für Europas Sicherheit ist.“
Sorge, dass Expertise verloren geht
Eine weitere Sorge ist, dass mit der Auflösung des DfID dessen Expertise verlorengeht. Das Ministerium genießt in der internationalen Entwicklungspolitik einen guten Ruf; der werde nun leichtfertig aufs Spiel gesetzt, sagen Johnsons Kritiker. Im diesjährigen Index zur Transparenz der Entwicklungshilfe liegt das DfID wie auch in den Vorjahren vor den meisten Agenturen anderer staatlicher Geber wie Deutschland oder Frankreich. Und vor allem schneidet es deutlich besser ab als das Foreign and Commenwealth Office, das bisher bereits einen kleinen Teil der britischen Entwicklungshilfe vergeben hat. Die guten Noten für Transparenz und Rechenschaftspflichtigkeit sind nun gefährdet, fürchten Fachleute. Kritisch wird in diesem Zusammenhang zudem gesehen, dass neben dem DfID auch der Entwicklungsausschuss des britischen Parlaments abgeschafft werden soll.
Der frühere DfID-Mitarbeiter Phil Mason, der insgesamt mehr als 30 Jahre in der britischen Entwicklungszusammenarbeit tätig war, wertet die Fusion als Endpunkt einer Marginalisierung des Ministeriums, die bereits vor zehn Jahren eingesetzt habe. In der ersten Dekade nach seiner Gründung im Jahr 1997 habe sich das DfID unter seiner ersten Chefin Clare Short mit einer wegweisenden und innovativen Entwicklungspolitik seinen ausgezeichneten Ruf erworben, schreibt Mason in einem Kommentar für Devex. Nach der globalen Finanzkrise 2008/2009 sei es dann bergab gegangen: Zum einen habe der Erfolg des Ministeriums Missgunst und Neid in der Regierung hervorgerufen. Zum anderen seien entwicklungspolitisches Engagement, Risikobereitschaft und Flexibilität zunehmend unerwünscht geworden. Stattdessen habe sich – wie in der internationalen Entwicklungspolitik generell – der Trend durchgesetzt, möglichst schnelle und messbare Ergebnisse zu liefern. Am Ende, schreibt Mason, sei das DfID nur noch ein Schatten seines früheren selbst gewesen.
Hoffnung auf „positive Wirkungen“
Marta Foresti vom Overseas Development Institute in London sieht das Ministerium daran allerdings selbst nicht ganz unschuldig, auch wenn sie der Fusion insgesamt kritisch gegenübersteht. Die britische Entwicklungspolitik habe sich eingeigelt und von der übrigen Regierung abgekoppelt. Eine starke Entwicklungsagentur innerhalb des Außenministeriums hingegen könne „positive Wirkungen“ bringen.
Das sehen auch Stefan Dercon und Ranil Dissanayake vom Center for Global Development in Washington so, die beide früher für das DfID gearbeitet haben. Mit der Zusammenlegung entstehe ein vollständig neues Ministerium, und das sei eine Chance. Um sie zu nutzen, brauche es klare langfristige Ziele für eine integrierte Entwicklungs- und Außenpolitik sowie eine Strategie, wie sie erreicht werden sollen. Es brauche zudem gut begründete politische und regionale Arbeitsschwerpunkte. Und schließlich müsse die Expertise aus beiden Häusern übernommen werden, um das neue Ministerium zum entwicklungspolitischen Zentrum der Regierung zu machen.
Neuen Kommentar hinzufügen