Mit Rum aus der Krise

Enmanuel De Sousa

Guter Stoff? Ein Mitarbeiter des venezolanischen Rumherstellers Dusa kontrolliert das aus Zuckerrohr gewonnene Destillat.

Venezuela
Obwohl die Wirtschaft Venezuelas am Boden liegt, florieren die Rumhersteller. Dank geschickter Werbung und ausgezeichneter Qualität verkaufen sie ihren Rum in die ganze Welt. 

An der Börse von Caracas kam es im Januar dieses Jahres zu einer kleinen Sensation. Zum ersten Mal seit elf Jahren ist ein venezolanisches Unternehmen an die Börse gegangen – und zwar eines, das Rum herstellt. Es hatte eine Million Aktien ausgegeben und verkauft, meldete der Wirtschaftsnachrichtendienst Reuters.  

Der Zeitpunkt hätte nicht seltsamer anmuten können. Venezuela wird seit 20 Jahren sozialistisch regiert, seit 2017 herrschen Hyperinflation und Lebensmittelknappheit, die bereits fünf Millionen Venezolaner in die Flucht getrieben haben. Der Verfall des Erdölpreises, Misswirtschaft und das strenge Wirtschaftsembargo der USA haben außerdem dazu geführt, dass die Strom-, die Wasser- und die Telekommunikationsversorgung immer wieder zusammenbrechen. Viele venezolanische Unternehmer haben schon vor Jahren das Land verlassen und machen aus dem Ausland Stimmung gegen die Regierung von Nicolás Maduro.

Für das Unternehmen Ron Santa Teresa ist das kein Grund, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Ron Santa Teresa ist eines der ältesten Unternehmen Venezuelas und produziert seit 224 Jahren Rum. Der Besitzer, Alberto Vollmer, verglich die Ausgabe neuer Aktien mit der Eröffnung der Börse Schanghais vor 30 Jahren: einer der ersten Schritte der wirtschaftlichen Öffnung Chinas und der nachfolgenden Erfolgsgeschichte. 

Autorin

Hildegard Willer

ist freie Journalistin und lebt in Lima (Peru).
Relativ unbemerkt von der Weltöffentlichkeit hat in Venezuela in den letzten zehn Jahren in einer Branche ein kleiner Wirtschaftsboom stattgefunden. Während die Erdölproduktion – die Haupteinnahmequelle des Landes – immer mehr zum Erliegen kam, trat ein anderes Produkt einen Siegeszug um die Welt an: Rum aus Venezuela kann man heute in Supermärkten, Spirituosengeschäften und Hotelbars in aller Welt genießen. 

Den Grundstein legte ein Diktator

Einen Grundstein für die gute Qualität des venezolanischen Rums legte ausgerechnet ein Diktator. Marcos Pérez Jiménez erließ vor 66 Jahren ein Gesetz, nach dem nur Rum, der mindestens zwei Jahre in Eichenfässern gelagert wurde, sich überhaupt Rum nennen darf. Der Grund dafür war die Klüngelwirtschaft zwischen dem Diktator (1952 – 1958) und einem Rumfabrikanten, der auf einem großen Lager saß und mit dem neuen Gesetz der Konkurrenz zuvorkommen wollte, erzählt Gustavo Castellanos. Der 51-jährige Datenanalyst aus Caracas ist Liebhaber des Zuckerrohrschnapses und schreibt einen Blog über venezolanischen Rum. „Eine ähnliche Vorschrift gibt es in keinem anderen Land“, sagt er und nennt damit einen der Gründe für die ausgezeichnete Qualität des venezolanischen Rums. 

Dennoch schätzten die Venezolaner ihren Rum nicht besonders. „Früher war hier importierter Whiskey angesagt, und wenn man mit einer Flasche Rum auf einer Fete auftauchte, dann galt man als Hungerleider“, erinnert sich Castellanos. Er spricht von den Zeiten, als die Erdöldollars in Venezuela nur so sprudelten und eine relativ breite Mittelschicht es sich erlauben konnte, regelmäßig zum Shoppen nach Miami zu fliegen. Auch wenn diese Zeiten längst vorbei sind, so galt Whiskey noch bis vor kurzem als prestigeträchtiger denn Rum. Ein wichtiger Meilenstein war deshalb die Schaffung einer Herkunftsbezeichnung „Rum aus Venezuela“, die mehrere Rumfabrikanten im Jahr 2005 auf den Weg brachten. „Damit war ein Standard garantiert, und es wurden verschiedene Rumsorten für das Premiumsegment entwickelt “, sagt Castellanos. Venezolanischen Rum kann man seitdem in allen Preisklassen kaufen: vom 15 Jahre gelagerten Superpremium-Rum mit nach oben offenem Preis bis zum zwei Jahre gelagerten Standard-Rum „Añejo“ für zehn Euro die Flasche. 

Auf einem nüchternen Bürogebäude mitten in Caracas prangt ein seltsames Werbebanner: „Wir spielen Rugby. Wir machen Rum“. Dasselbe Unternehmen, das im Januar Aktien ausgab, ist nicht nur wegen seines Rums bekannt, sondern auch für sein soziales Engagement. Was Rugby mit der venezolanischen Tradition des Rumdestillierens zu tun hat, kann man bei einem Besuch am Ursprungsort von Ron Santa Teresa erfahren: auf der gleichnamigen Hacienda, rund anderthalb Autostunden außerhalb von Caracas.

Auf dieser Zuckerrohrhacienda hatten der 1826 aus Hamburg eingewanderte Kaufmann Gustav Julius Vollmer und seine Frau Panchita Ribas y Palacios, eine Cousine des venezolanischen Freiheitshelden Simón Bolívar, den Grundstein für eine Familiendynastie gelegt. Die weitverzweigte Familie Vollmer hat Beteiligungen an Banken, Zement- und Papierfabriken und gehört zu den großen Industriellenfamilien Venezuelas. Die Rumproduktion ist nur einer ihrer Wirtschaftszweige, wenn auch bei weitem der sichtbarste. Direktor von Rum Santa Teresa ist heute Alberto Vollmer, ein begeisterter Rugbyspieler, der schon als Student einen Rugbyclub in Caracas gründete.

„Vor 17 Jahren erwischte unser Wächter ein paar Jugendliche aus dem Nachbarort, wie sie bei uns einbrechen wollten“, erzählt Bernardo Lopez, der PR-Verantwortliche von Ron Santa Teresa. „Als er sah, dass die Polizei an den Jungs ein Exempel statuieren wollte, schritt er ein und handelte aus, dass die Straftäter drei Monate auf der Hacienda kostenlos arbeiten sollten.“ Venezuela hat eine der höchsten Kriminalitätsraten weltweit, und die Polizei ist berüchtigt für ihre Selbstjustiz. 

Das Experiment funktionierte so gut, dass alle Bandenmitglieder mitkamen. Alberto Vollmer fing an, mit ihnen Rugby zu trainieren, „um ihnen Werte weiterzugeben“, erzählt Lopez. Heute, 17 Jahre nach der ersten Begegnung mit der Bande aus dem Nachbardorf, haben elf Jugendbanden denselben Weg eingeschlagen: Viele der ehemaligen Bandenmitglieder arbeiten heute in der Rumproduktion und trainieren wiederum andere vom Weg abgekommene Jugendliche im Rugby. „Proyecto Alcatraz“ heißt dieser Sozialteil des Unternehmens und ist heute integraler Bestandteil und Aushängeschild der Werbestrategie für Rum: Wir spielen Rugby. Wir machen Rum.

Jose Covi, 33, in ein blütenweißes Hemd und eine schwarze Hose gekleidet, ist ein wenig aufgeregt vor dem Interview. Der ehemalige Häftling ist „Botschafter von Ron Santa Teresa“ und will eine gute Figur machen. Bereitwillig erzählt er seine Geschichte: wie er – unschuldig, wie er sagt – vier Jahre im Gefängnis saß, dort mit dem Projekt Alcatraz und dem Rugby in Berührung gekommen ist. Wie er, nachdem er entlassen wurde, in Santa Teresa Arbeit fand und heute sogar als „Botschafter“ das Unternehmen bei offiziellen Anlässen vertritt, publikumsgerecht Rumcocktails mixt, mit einem ovalen Rugbyball auf dem Tresen. 
Ungefähr 20 ehemalige Häftlinge arbeiten zudem im Tourismusprojekt von Santa Teresa. Die liebevoll restaurierte Hacienda empfängt jedes Jahr rund 100.000 Besucher aus ganz Venezuela zu einer „Rum-Tour“ mit anschließendem Bar- und Restaurantbesuch. Und auch hier ist alles abgestimmt auf die Werbebotschaft, die Rum und Rugby verbindet:  Die Kellner tragen statt Hemd und Fliege schwarze Shorts und ein schwarz-weiß gestreiftes Rugbyhemd.

Bei so viel Erfolg konnte es nicht ausbleiben, dass ausländische Käufer ein Auge auf das venezolanische Vorzeigeunternehmen geworfen haben. Viele hätten die Marke kaufen wollen, sagt Bernardo Lopez, ohne Erfolg. Stattdessen schloss Santa Teresa vor drei Jahren mit dem Spirituosenkonzern Bacardi ein Abkommen zur internationalen Vermarktung. Seitdem ist Rum Santa Teresa in den Hotelbars und Duty-free-Shops dieser Welt präsent. Ron Santa Teresa gibt keine absoluten Produktionszahlen bekannt, räumt aber ein, dass der Anteil des exportierten Rums gestiegen ist – auf 25% der Produktion – und den schwächelnden Absatz in Venezuela selbst wettmacht. 

Ideales Klima für den Rum

Santa Teresa ist nicht die einzige venezolanische Rummarke auf Erfolgskurs. Eine halbe Stunde außerhalb von Barquisimeto, einer Stadt rund 360 Kilometer südwestlich von der Hauptstadt Caracas, befindet sich die Zuckerrohrhacienda Saruro. Neben den Zuckerrohrpflanzungen ragen Stahltürme in die Luft. In ihnen wird seit 60 Jahren Rum und Schnaps gebrannt. Viele Jahre waren sie Eigentum eines kanadischen Konzerns, bis dieser seine Alkoholsparte verkaufte. Vier venezolanische Investoren aus Barquisimeto erwarben vor 18 Jahren gemeinsam die Anlage und betreiben sie bis heute unter dem Namen Destilerias Unidas S.A. (DUSA). Dort spielen die Arbeiter nicht Rugby, aber produzieren einen Rum, der seit 20 Jahren in keiner Bar fehlt: Diplomático. Dank einer engen Zusammenarbeit mit Barkeepern weltweit und einer aggressiven Werbekampagne in Hotelbars gehen heute vier von fünf Diplomático-Flaschen in den Export. In Deutschland wird der Ron Diplomático übrigens unter dem Namen Botucal vertrieben. 

Seinen Ausgang aber nimmt der Qualitätsrum auf der Hacienda Saruro. In unterirdischen Tanks lagert die Melasse, die beim Mahlen des Zuckerrohrs übrigbleibt und in großen Tankwagen angeliefert wird. Auf den ersten Blick könnte man die zähe, dunkelbraune Flüssigkeit mit Erdöl verwechseln. Aber der süßliche Geruch macht sofort klar, dass es sich hier nicht um das „Exkrement des Teufels“ handelt, wie der venezolanische Schriftsteller Arturo Uslar Pietri das Erdöl genannt hat, sondern um den Rohstoff für eine der besten Rumsorten der Welt. „Der venezolanische Rum ist so gut, weil wir ein ideales Klima haben: heiß am Tag und kühl in der Nacht“, sagt Miguel Monsalve, Pressereferent von DUSA. In großen Bottichen wird die Melasse zuerst fermentiert und dann destilliert, bis am Ende der klare Alkohol übrigbleibt. Er wird danach in Holzfässern gelagert – mindestens zwei Jahre lang, sonst darf das Getränk in Venezuela nicht Rum genannt werden.

Das Holz für die Fässer muss importiert werden, Eiche aus Kanada. Jose Silva, 25 und Julio Alvarez, 42, sind für die Reparatur der Fässer zuständig – eine der wenigen Arbeiten, die nicht automatisiert sind. „Das kann man nur mit Erfahrung lernen“, meint Julio Alvarez. Die beiden Männer kommen aus den umliegenden Dörfern und arbeiten schon seit Jahren für die Destillerie. 

Die erfolgreichen Rumdestillerien trotzen einer immer schwierigeren wirtschaftlichen Lage. „Es ist oft nicht möglich, die Lieferketten aufrechtzuerhalten, seien es Flaschen, Etiketten oder Korken“, sagt der Rumkenner Gustavo Castellanos. Und die Beziehungen zur nicht für ihre Unternehmerfreundlichkeit bekannten Regierung sind schwierig. Immerhin ist auch dem venezolanischen Staat am Erfolg des Rums gelegen, kassiert er doch 50 Prozent Steuern für jeden Liter in Venezuela verkauften und 20 Prozent von jedem Liter exportierten Rums, sagt Bernardo Lopez von Ron Santa Teresa.  

Anfang 2020 sah es aus, als ob die venezolanische Regierung ihren Griff auf die Wirtschaft des Landes lockern würde: Die Preise waren keiner staatlichen Kontrolle mehr unterworfen, der Dollar konnte frei gewechselt werden, die Hyperinflation war zum Stillstand gekommen. 

Inwiefern die Coronakrise die anfängliche Öffnung der Wirtschaft zurückwirft, ist schwer zu sagen. Momentan ist in Venezuela jegliches Wirtschaftsleben zum Erliegen gekommen – und dies weniger wegen des Virus, sondern weil Venezuela aufgrund des tiefen Erdölpreises, der Misswirtschaft und der Sanktionen das Benzin ausgegangen ist.  Auf der Hacienda Santa Teresa behilft man sich deshalb mit dieselbetriebenen Fahrzeugen. Und solange das Coronavirus die Welt – und auch Venezuela – im Griff hat, wird in der ältesten Rumdestillerie Venezuelas Alkohol zum Desinfizieren hergestellt. 

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erschienen in Ausgabe 7 / 2020: Der Plan für die Zukunft?
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