Die Westsahara hat Darak Abdelfatah Ubbi nie betreten: Das Gebiet, das ihr Volk für einen Staat beansprucht, liegt unzugänglich hinter dem Wüstenwall am Horizont.
Darak Abdelfatah Ubbi kniet sich in den steinigen Wüstensand. Ab hier geht es nicht mehr weiter. Sieben Millionen Landminen versperren ihr den Weg. Dahinter stehen kleine Militärposten und eine Sandmauer. Auf der anderen Seite beginnt das von Marokko besetzte westliche Gebiet der Westsahara. Dort liegen fischreiche Küstenstreifen sowie Phosphat- und andere Rohstoffvorkommen. Marokkanische, europäische und andere internationale Unternehmen bauen dort die Ressourcen ab oder stellen die notwendige Infrastruktur dafür bereit. Hinter der 26-Jährigen tut sich die trostlose Weite der östlichen Wüstengebiete auf. Es ist das „befreite Land“ – so nennt die Polisario, die Befreiungsfront der Sahrauis, diese von ihr kontrollierte Region. Darak gehört der Polisario-Jugendorganisation an.
Die Sahrauis sind Nomadenvölker auf dem Gebiet der seit 1975 umkämpften Westsahara. Marokko hat das Gebiet besetzt, während die Polisario hier einen eigenen Staat für die Sahrauis fordert, die seit Jahrzehnten in Wüstenlagern auf algerischem Territorium leben. „Der Traum kann Wirklichkeit werden“, sagt Darak. Wut liegt in ihrer Stimme, wenn sie von dem Gebiet hinter dem Wall redet. Dabei hat sie diesen Ort ihrer Sehnsucht nie selbst gesehen. Darak ist in den sahrauischen Flüchtlingslagern aufgewachsen. Richtung Westen ist sie nie weiter als bis zur Mauer gekommen.
Die Umstellung von einem nomadischen auf einsesshaftes Leben fällt schwer, noch dazu im kargsten Teil der Sahara. Trotzdem ist Agraringenieur Taleb Brahim optimistisch: „Es gibt nichts Unmögliches. Wir brauchen nur einen Wandel des Denkens“, sagt der 50-Jährige. Seit Jahren versucht er, mit dem Bau kleiner Gärten für mehrere hundert Familien inmitten der Wüste die Versorgung mit Nahrung zu verbessern.
In der Wüste wird Gemüse in Hydrokultur gezogen
Einer der Gärten liegt unscheinbar hinter Steinmauern am Rande eines der fünf Lager. Stolz zeigt ein Familienvater ein Gewächshaus, das wie eine Oase im Nirgendwo ein Quell des Lebens ist. Hier ranken sich Tomatenpflanzen empor, Paprikaschoten hängen herab, es sprießt der Mangold. Dabei handelt es sich um Hydrokulturen: Die Pflanzen wurzeln in Wasserbehältern und benötigen keine Erde. Taleb wendet die sogenannte Dutch-Bucket-Methode an, bei der in einem geschlossenen Kreislauf immer wieder dasselbe Wasser verwendet wird. Die eigene Ernährung lässt sich mit solchen Gärten aber nicht sichern. Die Sahrauis sind von der Hilfe internationaler Hilfsorganisationen und der Vereinten Nationen abhängig.
Obwohl die Auseinandersetzung zwischen der Polisario und Marokko festgefahren ist, beharren die Sahrauis auf ihrer Rückkehr in die Westsahara. Ein dauerhaftes Leben auf algerischem Terrain schließen sie aus – auch wenn das seit 44 Jahren der Fall ist. Seine Initiativen seien nicht auf lange Sicht zu verstehen, erklärt Taleb. „Wir werden die Gärten nicht mitnehmen. Aber die Idee.“
Schon einmal waren die Sahrauis von einer Idee getrieben und zogen dafür in den Krieg. Im Jahr 1975 gab Spanien nach dem Tod des faschistischen Diktators Francisco Franco seine Kolonie Westsahara auf. Der Internationale Gerichtshof der UN urteilte im gleichen Jahr, dass die Sahrauis selbst über die politische Zukunft des Territoriums entscheiden dürften. Das Ziel einer eigenen Republik schien nah. Doch auch der marokkanische König Hassan II. beanspruchte das Gebiet und besetzte Teile der Westsahara militärisch und mittels Siedlungen. Das marokkanische Militär vertrieb die Sahrauis und bombardierte sie mit Napalm. Mehr als 25.000 Menschen starben.
Autor
Timo Dorsch
ist freier Journalist und bewegt sich zwischen Deutschland und Mexiko. Seine Themen sind Menschenrechte und Migration sowie organisiertes Verbrechen und soziale Gewalt.Zusätzlich zu den Gärten von Agraringenieur Taleb gibt es größer angelegte Projekte, erklärt der sahrauische Entwicklungsminister Baba Efdeid. „Wenn man arbeitet, kann man aus der Wüste einen Garten machen“, sagt Baba, der auf Kuba Agrarwissenschaften studiert hat. Nahe einer Wasserquelle hat er eine Plantage mit verschiedenen Nutzpflanzen geschaffen. Außer Karotten und Roter Beete wachsen hier Tausende Moringabäume. Deren Samen sind im globalen Norden als Superfood bekannt und erfreuen sich vor allem in der Welt der Fitnessstudios wachsender Beliebtheit, während sie hier als überlebensnotwendige Nahrungsergänzung dienen. „Dank des Klimas können wir zweimal jährlich Blätter ernten“, erklärt Baba. In weniger sonnigen und warmen Regionen sei das nur alle vier oder zwei Jahre möglich. „Die Moringablätter haben mehr Vitamin C als Orangen. Und der Samen des Baums besteht zu 30 Prozent aus Proteinen und verfügt über mehr Eisen und Calcium als Milch“, sagt der 62-Jährige.
An Selbstvertrauen fehlt es den jungen Sahrauis nicht
Unlängst hat die Polisario Moringasamen an 800 Familien verteilt, die nun auf ihrem Terrain eigene Bäume wachsen lassen sollen. Zudem steht neben der Plantage eine Anlage zur maschinellen Verarbeitung der Blätter. Nach dem Waschen und Desinfizieren werden sie getrocknet, gemahlen und anschließend luftdicht verpackt. Das grüne Pulver wird an sahrauische Familien verteilt. „Am besten streut man es übers Essen“, sagt Baba.
Auf die Frage, ob seine Projekte zu einem Paradigmenwechsel in der sahrauischen Politik beitragen könnten, verfällt Baba in die offizielle Sprachregelung: „Sie dienen dazu, das Leben der Geflüchteten in den Lagern zu erleichtern. Aber unser Ziel ist noch immer die Unabhängigkeit und Freiheit der ganzen Westsahara.“ Hierbleiben will er nicht. Das Ziel der Rückkehr verleiht der Polisario Legitimität und gibt den Menschen eine Perspektive. Und doch könnte der Aufbau eines besseren Lebens in der kargen Wüste längerfristig selbst zum neuen Ziel werden. Doch vorerst werden junge Sahrauis wie Darak Abdelfatah Ubbi weiterhin alles für die Verwirklichung eines eigenen Staates tun. An Selbstvertrauen fehlt es ihnen nicht: „Wir sind keine künftigen Anführer“, sagt sie. „Wir sind es jetzt schon.“
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